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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

20 Jahre EU-Osterweiterung
Intensive Integration

Vor 20 Jahren wurden die Staaten des östlichen Mitteleuropa Mitglieder der Europäischen Union. Ihr Beitritt wurde wirtschaftlich zu einem grandiosen Erfolg.
01.05.2004, Warschau, Masowien, Polen - Menschen feiern den EU-Beitritt Polens auf dem Schlossplatz (Plac Zamkowy).

01.05.2004, Warschau, Masowien, Polen - Menschen feiern den EU-Beitritt Polens auf dem Schlossplatz (Plac Zamkowy).

© picture alliance / Caro | Bastian

Am 1. Mai 2004 traten zehn Länder der EU bei: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern; am 1. Januar 2007 kamen noch zwei weitere dazu: Bulgarien und Rumänien; am 1. Juli 2013 folgte Kroatien.

Die Beitrittswelle, die vor genau 20 Jahren begann, ist wirtschaftlich zu einer gigantischen Erfolgsgeschichte geworden. Um dies zu erkennen, muss man sich eigentlich nur an einer jener Autobahnen postieren, die von Deutschland in Richtung des östlichen Mitteleuropa führen: auf der A 2 zwischen Hannover und Berlin, der A3 zwischen Nürnberg und Passau, der A 4 zwischen Erfurt und Görlitz, der A 8 zwischen München und Salzburg oder der A 14 zwischen Magdeburg und Dresden. Was ist zu sehen? Massenhaft moderne Lastkraftwagen mit Nummernschildern aus mittel- und osteuropäischen Beitrittsnationen, allen voran natürlich aus dem größten Land Polen, die vom Westen in den Osten oder vom Osten in den Westen fahren, sei es in oder aus Richtung Polen, Estland, Lettland oder Litauen, sei von oder nach Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien oder Kroatien.

Die Statistiken bestätigen den Augenschein eindrucksvoll. Alle mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer mit der Ausnahme Rumäniens weisen heute eine Exportquote auf, die deutlich über dem EU-Durchschnitt liegt - und bei Rumänien nur leicht darunter. Sie sind also, was ihren Außenhandel und ihre Wirtschaftsstruktur betrifft, komplett integriert in die innereuropäischen Wertschöpfungsketten. Sie haben massenhaft Direktinvestitionen von Industrieunternehmen aus dem Westen angezogen, und sie haben ihre eigene "indigene" Wirtschaftskraft entwickelt. All dies ist auch an Ihrem Bruttoinlandsprodukt abzulesen: pro Kopf haben sie in den letzten 20 Jahren massiv aufgeholt und liegen heute - je nachdem, wie man es genau misst - im Pro-Kopf-Einkommen bei 70 bis 90 Prozent des EU-Durchschnitts.

Was für eine gigantische Erfolgsgeschichte! Um ihr Ausmaß intuitiv zu würdigen, muss man wie der Verfasser dieser Zeilen ein Alter erreicht haben, das einem erlaubt, sich an die Zustände der siebziger und achtziger Jahre zu erinnern, als gelegentlich - aber wirklich nur gelegentlich - komplett veraltete, marode und pannengeplagte Lastwagen aus dem sozialistischen Osten über die bundesdeutschen Autobahnen ächzten. Es waren absonderliche Fahrzeuge aus der rohesten Zeit der Industrialisierung, knatternd und stinkend.

Kurzum: Es gibt wirtschaftlich für die EU keinen Grund, sich nicht selbst herzlich zu gratulieren zu dieser gemeinsamen Aufbau- und Integrationsleistung, die natürlich vor allem auf das Konto der Menschen in den betreffenden Ländern geht, aber zumindest zum Teil auch auf kluge Unterstützung der EU zurückzuführen ist. Dass dabei die volle Angleichung auf das Niveau des Westens noch lange nicht erreicht ist, kann nicht überraschen: Die letzten 20 Prozentpunkte des Weges zur Spitze sind die schwierigsten, wie auch die inzwischen langjährige Erfahrung nicht nur in Mittel- und Ostdeutschland, sondern auch in westlichen Aufholländern wie Spanien zeigt. Auf den "letzten Metern" zur Spitze geht es nämlich darum, die Innovationskraft der westlichen Technologiezentren zu erreichen - und das ist nicht leicht. Es bleibt die große Aufgabe für die Zukunft.

Also: Grund zum motivierenden Ansporn, aber auch - nach 20 Jahren - zur Zufriedenheit. Dass von dieser in einigen Ländern wenig zu spüren war oder ist, wie bis vor Kurzem im PiS-regierten Polen und aktuell unverändert im Fidesz-regierten Ungarn Viktor Orbáns, kann man nur als höchst bedauerlich bezeichnen. Aber es darf die Politik nicht entmutigen - weder in Brüssel noch in Berlin. Das postkommunistische Europa ist ein großartiges Beispiel der intensiven Integration. Es zeigt, wie neu etablierte Marktwirtschaften auch nach den schlimmsten sozialistischen Experimenten zu Kräften kommen. Es funktioniert, auch nach 40 Jahren Planwirtschaft, wenn man es nur will und sich von den Schwierigkeiten der Transformation nicht entmutigen lässt.

 

"Europe falters, but it does not fail" - Europa stolpert, aber es ist nicht gescheitert! Das war auch die ermutigende Botschaft von Timothy Garton Ash bei seiner grandiosen Isaiah Berlin Lecture im National Liberal Club in London, veranstaltet von Liberal International mit Unterstützung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Seine Rede können Sie hier aufrufen.

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20 Jahre nach der “Big Bang”-EU-Osterweiterung: Erfolge, Rückschläge und Zukunftsperspektiven

Ein Arbeiter entfernt die Reste eines eisernen Grenzzauns aus der Zeit des Kalten Krieges an der deutsch-tschechischen Grenze in Bayerisch Eisenstein, Süddeutschland, Samstag, 1. Mai 2004, während eine Menschenmenge aus Deutschen und Tschechen um Mitternacht die Erweiterung der Europäischen Union feiert.

Der 20. Jahrestag der Osterweiterung der EU gibt Anlass zum Nachdenken über ihre Auswirkungen. Die Erweiterung hat Frieden, Demokratie und Wirtschaftswachstum gesichert, steht aber auch in der Kritik, wenn es um die Nachsicht gegenüber Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit geht. Angesichts der globalen Unsicherheiten ist es wichtiger denn je, dass Europa liberale Werte stärkt und sich für eine Fortsetzung der Erweiterung mit dem Schwerpunkt der Demokratieförderung einsetzt.

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