Korea
70 Jahre Koreakrieg: Kein Krieg heißt nicht Frieden
Das „Neue Deutschland“, Zentralorgan der SED, teilte der DDR-Bevölkerung am 18. Juni 1953 auf Seite 1 nicht nur seine Sicht auf den Arbeiteraufstand im eigenen Lande mit. Es meldete auch, dass es auf der Koreanischen Halbinsel gelungen sei, entlang des 38. Breitengrads eine Demarkationslinie zu definieren. Die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens erfolgte Ende Juli. Damit schwiegen zumindest die Waffen und drei Jahre erbitterter Kämpfe kamen an ihr Ende. Mehrfach war die Front vom Norden der Koreanischen Halbinsel bis in den äußersten Süden gewalzt und wieder zurück, alles zerstörend, was auf ihrem Weg lag.
Immer wieder gibt es, gerade in Südkorea, Überlegungen, inwieweit die deutsche und die koreanische Teilung vergleichbar sind. Vielfach beeinflusst der Traum von einer friedlichen Wiedervereinigung diese Erwägungen, die aber schnell an Grenzen stoßen. Der Hauptunterschied ist sicherlich, dass Deutsche nie in einem Krieg auf Deutsche geschossen haben. Darüber hinaus ist die Trennung zwischen dem Norden und dem Süden Koreas von einer Konsequenz, die es so in Deutschland nie gegeben hat.
Seit 1950 ist kein Koreaner mehr geboren worden, der tatsächlich die ganze Halbinsel kennt. Das Lebensgefühl in Südkorea entspricht seit fast sieben Jahrzehnten dem auf einer Insel.
Bis heute leiden Familien unter der kriegsbedingten Trennung. Die letzten Bilder von organisierten streng limitierten Familientreffen verblassen mittlerweile. Sie waren nach der zwischenzeitlichen Annäherung Anfang der 2000er Jahre möglich geworden und treiben vielen mitfühlenden Beobachtern die Tränen in die Augen: 95-jährige Greise und 80-jährige Alte, die sich nach mehr als einem halben Jahrhundert wiedersehen, liegen einander weinend in den Armen – erste und letzte Treffen in diesem Leben.
Die Vereinten Nationen als Kriegspartei?
In den sieben Jahrzehnten seit dem Koreakrieg haben sich die Wahrnehmung und das Selbstverständnis der Vereinten Nationen gewandelt. Im Koreakrieg kämpften innerhalb des United Nations Command an der Seite der Südkoreaner Soldaten aus 16 weiteren Nationen. Das zahlenmäßig höchste Kontingent stellten nach Südkorea (591.000) die USA mit 302.000 Soldaten. Dies bedeutete für die USA eine hervorgehobene Befehlsgewalt, die die Namen von Oberkommandeuren wie MacArthur, Ridgway, Clark oder Hull bis heute präsent sein lässt. Große Kontingente stellten auch Australien (17.000), das Vereinigte Königreich (15.000), Thailand (6.300), Kanada (6.100), die Türkei (5.400) und 10 weitere Länder bis hin zu Luxemburg (44). Fünf weitere Länder konzentrierten sich auf humanitäre Hilfe.
Auch Nordkorea erhielt bei seinem Versuch den Süden einzunehmen Unterstützung: Aus der eben erst gegründeten Volkrepublik China sogenannte „Freiwillige“ und Soldaten der „Volksbefreiungsarmee“, deren Gesamtzahl auf bis zu drei Millionen geschätzt wird und die mit höchst unzureichender Ausrüstung in den Kampf zogen. Da Stalin eine direkte Konfrontation mit den USA vermeiden wollte, schickte die Sowjetunion keine Kampftruppen, versuchte aber nach Kräften, im Hintergrund zu wirken.
Geht dieser Krieg denn nie zu Ende?
Ende Juli 1953 wurde ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Die Grenze zwischen dem Norden und dem Süden wurde entlang dem 38. Breitengrad gezogen und um diese Grenze eine Demilitarisierte Zone eingerichtet, welche diesen Namen eigentlich nicht verdient.
Seither sind die Beziehungen zwischen dem Norden und dem Süden von Höhen und Tiefen gekennzeichnet. In der letzten Tauwetterperiode ab 2018 und nach den historischen Treffen zwischen Donald Trump und Nordkoreas Oberstem Führer Kim Jong-un sowie mit dem Südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in, begannen viele von einem Friedensvertrag zu träumen: Würde beim zweiten Gipfeltreffen von Kim und Moon im Februar 2019 in Hanoi womöglich eine solche Ankündigung erfolgen? Oder wenigstens eine Art „Roadmap“?
Der Gipfel endete vollkommen ergebnislos, ohne gemeinsame Abschlusserklärung – der Beginn des erneuten Niedergangs der Beziehungen des Norden mit der Außenwelt. Zu Beginn des Jahres 2020 musste man sich eingestehen: Die Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea sind in der Sackgasse. Der Ton seitens Nordkoreas wurde stetig aggressiver und die USA stellten sich stumm. Sie reagierten auch nicht, als der Norden ein „Weihnachtsgeschenk“ der besonderen Art an die USA ankündigte, falls diese nicht endlich eine Lockerung der Sanktionen erwirkten.
Die unüberwindliche Kluft der Systeme
Es gab Zeiten, da war die Wiedervereinigung Koreas durchaus auf beiden Seiten der DMZ ein Thema, wobei aber die Systemfrage ausgespart wurde. Die Wege, die der Norden und der Süden seit dem Koreakrieg gegangen sind, könnten unterschiedlicher nicht sein.
Südkorea stand zunächst einige Jahre lang wirtschaftlich schlechter da als der Norden. Heute hat es sich vom ehemals zweitärmsten Land der Welt zur zwölftstärksten Wirtschaftsnation entwickelt. Jahrzehntelang wurde das Land autoritär regiert, bevor es Ende der 1980er Jahre damit begann sich zu einer rechtsstaatlichen Demokratie zu wandeln. Das von westlichen Beobachtern konstatierte „Wunder vom Han-Fluß“, war nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein politisches. Südkorea gehört zu den großen Globalisierungsgewinnern.
Der Norden hingegen wird durch „Juche“ geprägt, jenen Weg, der auf die eigene Kraft vertraut. Er wird in dritter Generation von der Familie Kim geführt. Die wirtschaftliche Entwicklung wird durch die Arbeiterpartei vorgegeben und erinnert stark an kommunistische Modelle, wobei aber die Bezeichnungen „Kommunismus“ oder „Sozialismus“, nicht mehr gebräuchlich sind: „Juche“ eben, der eigene Weg, von dem man sich auch unter dem Druck von außen nicht abbringen lässt. Parlamentswahlen werden auch im Norden abgehalten: Pro Wahlkreis gibt es einen Kandidaten: Wahlbeteiligung und Zustimmung liegen stets bei ca. 99%.
Ein militärischer Schlag „jenseits der Vorstellungskraft“: Verschoben
Das Jahr 2020 würde bislang von einer deutlichen Verschärfung des Tones, steigender Selbstisolation, erkennbarer Frustration des Nordens wegen ausbleibender Sanktionserleichterungen, Aufrüstungsankündigungen und unverhohlenen Drohungen gegen den Süden geprägt. Dies kulminierte am 16. Juni in der Sprengung des gemeinsamen Verbindungsbüros durch Nordkorea in Kaesong. https://www.freiheit.org/korea-was-nordkoreas-drastischer-schritt-bedeu…
Dabei wurden auch klare Zeichen an die eigene Bevölkerung gesandt, die bereits seit längerer Zeit auf weitere Entbehrungen im Zuge der Stärkung der Wehrhaftigkeit des Landes vorbereitet wird. Die Staatsmedien (andere gibt es nicht) zeigten mit roten Krawatten und blauen Hosen bekleidete im Gleichschritt marschierende junge Menschen, die ihrem Zorn über den Abwurf von Ballons mit Flugblättern durch südkoreanische Aktivisten Ausdruck verliehen.
Ort und Zeitpunkt im Juni 2020 waren mit Bedacht gewählt und könnten symbolträchtiger nicht sein: 70 Jahre nach Beginn des Koreakrieges, 20 Jahre nach dem ersten Gipfeltreffen zwischen Nord und Süd, zwei Jahre nach dem Trump-Kim-Gipfel. Mit der Sprengung wurde die Kommunikation mit dem Süden beendet, der jetzt wieder ganz offen als „Feind“ bezeichnet wird – und bedroht. Nur wenige Tage nach der Sprengung erfolgte die Ankündigung, die Stärke der nächsten Militäraktion werde „jenseits aller Vorstellung“ liegen.
Im selben Zuge begann Nordkorea mit der Re-Installation von Propagandalautsprechern, die erst im Zuge der Entspannung 2018 abgebaut worden waren und mit Vorkehrungen zur Remilitarisierung der Gegend um Kaesong, wo sich – noch so ein Symbol vergangener Zusammenarbeit – eine Sonderwirtschaftszone befunden hatte. Sie war im Zuge der Sanktionen bereits vor einigen Jahren geschlossen worden.
Angesichts eines solchen Maßes an demonstrativer Entschlossenheit, machte sich nun auch in Teilen der südkoreanischen Bevölkerung, die in ihrer überwiegenden Mehrheit die Höhen und Tiefen der innerkoreanischen Beziehungen eher stoisch hinnimmt, eine gewisse Nervosität breit. Würde der angekündigte Militärschlag womöglich am 70. Jahrestag des Ausbruchs des Koreakrieges erfolgen?
Auch geübte Beobachter staunten nicht schlecht, als die staatliche Nachrichtenagentur KCNA zwei Tage vor diesem traurigen Jubiläum in einer weiteren Wendung meldete, Kim Jong-un habe die Verschiebung der Militäraktion angeordnet. Die gerade re-installierten Propagandalautsprecher wurden wieder abgebaut und eingelagert.
Nicht die Zeit zum Träumen: Friedliche Koexistenz ist das höchste realistische Ziel
Am Jahrestag des Kriegsausbruchs ist ein Friedensvertrag in denkbar weiter Ferne. Schon lange waren die Beziehungen Nordkoreas zur Außenwelt nicht mehr so schlecht wie zurzeit. Die offene Ablehnung, Verachtung und massiv angedrohte Aggression des Nordens gegenüber dem Süden sind wieder da. Auch die notorischsten Optimisten müssen konstatieren, dass auf absehbare Zeit kleine Brötchen gebacken werden müssen und das hohe Ziel einer Koreanischen Halbinsel in Frieden und Wohlstand und ohne Atomwaffen in denkbar weite Ferne gerückt ist.
Ein friedliches Leben nebeneinander erscheint in Zeiten wie diesen schon als hohes Ziel. Der Weg dorthin wird lang und beschwerlich und von kleinen Schritten geprägt sein, vielfach auch frustrierend. Er wird eine Rückkehr zur Diplomatie erfordern. Selbst solche Selbstverständlichkeiten erscheinen dieser Tage fast überambitioniert.
Dr. Christian Taaks ist Projektleiter Korea der FNF. Er lebt in Seoul.
Am 25. Juni 1950 begann der Koreakrieg. Anlässlich des Gedenktages sprach Christian Taaks heute live im Interview mit der Tagesschau.