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Tag der Befreiung
8. Mai 1945 – Ein Ende, das ein Anfang war

Vor 75 Jahren wurde in Berlin Deutschlands Kapitulation unterschrieben und damit der Zweite Weltkrieg in Europa beendet.
Ende des Weltkriegs
Die deutsche Stadt Muenchen unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs, aufgenommen im Mai 1945. Anzeigetafeln informieren die Bevoelkerung, da Tageszeitungen noch fehlen. © picture alliance/KEYSTONE

Anders als in früheren Jahrzehnten besteht heute – nach 75 Jahren – ein breiter Konsens über die Bedeutung des 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des Zweiten Weltkrieges“. Die Erinnerung an diese historische Zäsur ist Teil der politischen und moralischen Legitimation unserer Gesellschaft. Dabei verdeckt die Eindeutigkeit keineswegs, dass die konkreten Nachkriegserfahrungen der Menschen individuell sehr verschieden sein konnten. Jenseits des „Eisernen Vorhangs“ etwa mündete die Zerschlagung des menschenverachtenden NS-Unrechtsregimes in neue Formen der Unfreiheit.

Die Ambivalenz des Erlebten deutete bereits 1949 Theodor Heuss an, als er im Parlamentarischen Rat bei der Beschlussfassung des Grundgesetzes die Symbolkraft dieses Datums befragte: „Im Grunde bleibt dieser 8. Mai die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“ Es war dann Walter Scheel, der als  Bundespräsident und FDP-Ehrenvorsitzender 1975 erstmals den Gedanken der Befreiung offen ansprach: „Wir wurden von einem furchtbaren Joch befreit, von Krieg, Mord, Knechtschaft und Barbarei. Und wir atmeten auf, als dann das Ende kam. Aber wir vergessen nicht, dass diese Befreiung von außen kam…“.

Die Fragen von Leid und Schuld prägen das Gedenken an den „8. Mai 1945“ eindrücklich. Die Erinnerung wäre aber nicht vollständig ohne den Blick auf die damalige Neuordnung nicht nur der deutschen Gesellschaft, sondern auch der internationalen Staatengemeinschaft. Die grundlegenden Weichenstellungen für die Schaffung einer liberalen Friedensordnung konnten zwar zu diesem Zeitpunkt nicht überall gleichermaßen umgesetzt werden, deren Prinzipien und Instrumente aber wurden etabliert – und bestehen vielfach bis heute fort. 

Wie sollte dauerhafte Stabilität in den vom jahrelangen Krieg zurückgeworfenen Ländern erreicht werden? Ziel war nicht nur, Deutschland in die Wertegemeinschaft der liberalen Demokratien zurückzuholen; vielmehr sollten Freiheit und Sicherheit zum Ausgangspunkt der internationalen Neuordnung werden. Die Verflechtung in internationalen Organisationen und ein breit gespanntes Netz multilateraler Politik sollten wechselseitigen Schutz, Wiederaufbau und wirtschaftliche Erholung auch der bisherigen Kriegsgegner gewährleisten. Zum entscheidenden Faktor wurde die faktische Führungsrolle der USA, die damit weltpolitische Verantwortung wahrnahmen und sich auch nach Ende des Krieges nicht auf den früheren Isolationismus aus der Zeit vor den Weltkriegen zurückzogen.

Bereits in der Atlantikcharta vom August 1941 waren erste Grundsätze festgelegt worden, die auch für die Nachkriegszeit Gültigkeit besitzen sollten, zuvorderst internationale Kooperation und das Selbstbestimmungsrecht der Staaten auf gleichberechtigter Grundlage. Auf der Konferenz von Bretton Woods beschlossen die beteiligten Staaten 1944 ein mehrschichtiges System zur Krisenbewältigung, wirtschaftlichen Entwicklung und Währungspolitik, zu dem dann der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (später OECD) gehörten. Flankiert wurde es vier Jahre darauf durch das – nach dem US-Außenminister George C. Marshall benannte – Konjunkturprogramm, das als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht war und neben Krediten auch Rohstoffe, Lebensmittel und Waren bereitstellte.. Das 1947 abgeschlossene Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), dem das westliche Deutschland 1951 beitrat, beschleunigte den Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen erheblich. Die Grundsätze – Gleichbehandlung und Verbot der Diskriminierung – haben sich bis heute als leitende Prinzipien einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung bewährt. Die Liberalisierungspolitik sollte schließlich ein erster Schritt zur europäischen Integration werden.

Das Angebot einer liberalen Grundordnung galt dabei für alle Nationen – auch über Europa hinaus. Dass sich die meisten Staaten innerhalb des Einflussbereichs der Sowjetunion nicht beteiligen konnten, wies bereits auf den Zerfall der Anti-Hitler-Koalition, die den Systemkonflikt nur kurzzeitig verdeckt hatte. Der Kalte Krieg stärkte die mit der Truman-Doktrin eingeleitete Politik des containment

Aber auch unter den Bedingungen der bipolaren Weltlage hat die vor 75 Jahren ins Leben gerufene Ordnung für relative Stabilität gesorgt, auch wenn sich das Bretton-Woods-System ebenso wie die Institutionen zwischenzeitlich erheblich verändert hatten. Welche Attraktivität sie noch besaßen, zeigte sich nach dem Umbruch 1989/90, als die osteuropäischen Staaten hinzustießen. Die Politik der Multilateralität und Deeskalation hat über lange Jahre den Frieden in Europa gesichert. 

Der Zusammenbruch 1945 war zum Aufbruch geworden – „ein Ende, das ein Anfang war“ (Hermann Rudolph). Mit zunehmendem zeitlichen Abstand wächst jedoch offenbar die Abkehr von den Prinzipien dieser Politik: Die USA stellen – nicht erst seit der Präsidentschaft Donald Trumps, aber seitdem verschärft –  die multilaterale Verflechtung in Frage, der von den Briten verfolgte Brexit ist ein weiteres Beispiel. Die Büchse der Pandora scheint wieder geöffnet. Wenn manche nun hinsichtlich der EU fordern, die „alten“ Narrative der Nachkriegserfahrung zu ersetzen, ist daran zu erinnern, welche Stabilität und Freiheiten das damals geschaffene multilaterale Ordnungsprinzip den Menschen gebracht hat. Der 8. Mai 1945 erinnert daran, dass Krieg, Unterdrückung und Unfreiheit in Europa weitgehend Vergangenheit geworden sind. Die liberalen Grundlagen für Freiheit, Zivilgesellschaft und Demokratie in der Welt sollten nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.