Jahrestag
„Das wird Wellen schlagen“ – Der Widerstand der „Weißen Rose“ vor 80 Jahren
Mutig, unbeugsam und sich der Gefahren bewusst protestierten die jungen Mitglieder der „Weißen Rose“ in den Jahren 1942 und 1943 gegen das Hitler-Regime. Mit zahlreichen Aktionen klagten sie die Menschenrechtsverletzungen und Freiheitseinschränkenden der nationalsozialistischen Diktatur an und forderten zum Widerstand gegen das Regime auf.
Sie vertrauten auf die Kraft des Wortes, auf Vernunft und Moral: In ihren Flugblättern klärten sie über die Verbrechen im Krieg und den Mord an den Juden auf – niemand sollte sagen dürfen, er habe nichts gewusst und deshalb nichts getan. Ein Appell an das moralische Empfinden und die humanistische Verantwortung – ein lebendiger Widerstand junger Studierender, getragen von klassischer Bildung und den Erfahrungen des Krieges und des Unrechts im eigenen Land und an der Front.
Sechs Flugblätter gegen das NS-Regime verfasste der Widerstandskreis um Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und Kurt Huber. Weitere Personen waren an der Herstellung und Verteilung der Flugblätter beteiligt, beschafften unter schwierigsten Bedingungen mühevoll Vervielfältigungsapparate, Papier und Briefmarken. Vom Sommer 1942 bis zum Februar 1943 versendete und verteilte die Gruppe Hunderte, später sogar Tausende Exemplare der „Flugblätter der Weißen Rose“ in München, in süddeutschen Städten, in Österreich. Insbesondere seit Bekanntwerden der deutschen Niederlage in Stalingrad – einer entscheidenden Zäsur für den Stimmungsumschwung in der deutschen Bevölkerung – wuchs in der Gruppe die Hoffnung, dass sich mehr Menschen dem Regime verweigern würden. Die Aktionen der „Weißen Rose“ wurden intensiviert, die Appelle noch eindringlicher, das „Wachrütteln“ sichtbar in die Straßen getragen: In mehreren Februarnächten 1943 schrieben die Widerständler ihren Protest an zahlreiche Hauswände in der Münchner Innenstadt – Hakenkreuze wurden durchgestrichen, „Freiheit“ und „Nieder mit Hitler“ war stattdessen zu lesen.
„Entscheidet Euch, eh' es zu spät ist“
„Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt habt. Entscheidet Euch, eh' es zu spät ist.“ Diese eindrückliche Aufforderung der „Weißen Rose“ zur Abkehr von Hitler blieb auch nach „Stalingrad“ vergeblich, so sehr nach mehreren Kriegsjahren die ursprüngliche Begeisterung vieler Menschen der Nüchternheit gewichen war. Die Verteilung des letzten Flugblatts in der Münchner Universität wurde Sophie und Hans Scholl zum Verhängnis: Sie wurden entdeckt und verhaftet, ebenso wie andere Mitglieder des Kreises. In einem Schnellverfahren vor dem Volksgerichtshof, einem Scheinprozess, zu dem dessen Präsident, der berüchtigte Roland Freisler, nach München anreiste, wurden die Widerständler heute vor 80 Jahren, am 22. Februar 1943, zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet: Sophie und Hans Scholl, Christoph Probst, wenige Tage später auch Willi Graf, Alexander Schmorell und Kurt Huber. Nach der verheerenden Niederlage an der Front begegnete die Diktatur jeglichem zivilen Widerstand mit unerbittlicher Gewalt. Die nationalsozialistische Propaganda begann, die Bevölkerung auf den „totalen Krieg“ einzuschwören, wie ihn Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast am Tag der Verhaftung der Geschwister Scholl androhte.
Die „Weiße Rose“ ist ein besonders eindrückliches Beispiel für den Widerstand, den es in Deutschland gegen das Regime Hitlers gegeben hat. Angesichts der totalitären Bedrohung waren es zwar nicht viele, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens gegen den Nationalsozialismus aufstanden, aber doch eine bemerkenswerte Vielfalt: Angefangen bei Georg Elser, der seine Gegnerschaft ebenso mit dem Leben bezahlte wie viele Persönlichkeiten aus kirchlichen und politischen Kreisen, zu denen nicht wenige Liberale zählten – etwa Eduard Hamm, der Sperr-Kreis und die Robinsohn-Strassmann-Gruppe – bis zur organisierten Verschwörung des 20. Juli. Motive und die Ziele der Neuordnung mögen unterschiedlich gewesen sein, einig aber war man sich in der Ablehnung des NS-Regimes. Insbesondere bei der „Weißen Rose“ nahmen das Inhumane des Nationalsozialismus, das Leid der Menschen und die an den Juden begangenen Verbrechen eine zentrale Rolle für ihren Widerstand ein.
Mitglieder der „Weißen Rose“ waren keine weltabgewandten Idealisten
Dabei musste der Weg zum Widerstand – das galt auch für die Mitglieder der „Weißen Rose“ – erst gefunden werden. Die 1921 geborenen Sophie Scholl begeisterte sich, wie viele andere Jugendliche anfänglich für die NS-Jugendorganisationen; mit der beobachteten Ungerechtigkeit und dem Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Leben wurde allerdings ihre Ablehnung immer stärker. Auch konnte sie ihren christlichen Glauben mit dem Massensterben und den Verbrechen an der Front nicht in Einklang bringen: „Ich begreife es nicht, dass Menschen Menschen in Gefahr bringen.“
Die Mitglieder der „Weißen Rose“ waren keine weltabgewandten Idealisten, sondern waren durch ein klares politisches Bewusstsein bestimmt, sich nicht herauszuhalten, sondern gegen die Unfreiheit anzugehen. Leitend war für sie, was Sophie Scholl in den Verhören im Februar 1943 bekräftigte – und was gleichsam als Handlungsmaxime einer freiheitlichen Gesellschaft gelten kann: „Einer muss ja doch mal schließlich damit anfangen zu handeln.“ Auch die letzte, zur Verhaftung führende Flugblattaktion war eine solche bewusste politische Entscheidung. Nach „Stalingrad“ schien das Kriegsende bevorzustehen; die Menschen sollten sich aus eigener Kraft aus dem verbrecherischen Regime des Nationalsozialismus befreien. Dies allerdings scheiterte: In der deutschen Bevölkerung hatte der Widerstand nicht genug Rückhalt.
Vor heutigen „Instrumentalisierungs- und Okkupationsversuchen“ (Johannes Tuchel) durch extremistische Gruppen müssen die Geschwister Scholl und ihre Mitstreiter in der „Weißen Rose“ bewahrt werden: Sie stehen nicht einfach für den Protest gegen ein System, sondern waren – getrieben vom Sinn für Gerechtigkeit und Vernunft – Verteidiger von Toleranz und Rechtsstaatlichkeit. Mit ihrer unbedingten Zivilcourage haben sie dauerhaft und bis heute viele Menschen bewegt: „Das wird Wellen schlagen“, vermutete und hoffte die unbeugsame Sophie Scholl in den Tagen ihrer Haft. Ihre Haltung ist ein bis heute nachwirkendes Zeichen gegen Mitläufertum, gegen Beschweigen, gegen Weggucken und Wegducken, ein politisches Zeichen gegen Ausgrenzung – für Freiheit, Humanität und Toleranz. Bis heute gilt, wie die mit dem Kreis der „Weißen Rose“ gut bekannte Hildegard Hamm-Brücher mahnte: „Man darf nicht mit den Wölfen heulen.“