Brexit
Der Deal liegt jetzt im Eisfach
3 Fragen - 3 Antworten mit Sebastian Vagt
Unser Europa-Experte Sebastian Vagt erklärt im Interview mit Freiheit.org, welche Folgen die gestrige Abstimmung im britischen Unterhaus für den weiteren Verlauf der Brexit-Saga haben werden.
Das Unterhaus hat sich gestern für Johnsons Deal ausgesprochen. Was bedeutet das konkret?
Das britische Parlament hat mit einer überraschend großen Mehrheit von 329 zu 299 Stimmen dafür gestimmt, dass Boris Johnsons Brexit-Gesetz in die zweite Lesung geht. Es ist das erste Mal während des zähen Brexit-Prozesses, dass das Unterhaus positiv über einen Brexit-Vorschlag entschieden hat. Johnsons Regierung möchte diese Entscheidung gerne als Erfolg verkaufen. Tatsächlich aber haben viele Labour-Abgeordnete nur deshalb für den "Deal" gestimmt, da sie diesen in der nächsten Lesungsrunde substantiell verändern möchten, zum Beispiel indem sie einen Verbleib ihres Landes in einer Zollunion mit der Europäischen Union oder ein zweites Referendum zur Bedingung machen. Sowohl Boris Johnson als auch die Europäische Union müssen weiter große Zweifel daran haben, ob die Vereinbarung im Unterhaus wirklich eine Chance hat.
Johnsons Zeitplan wurde dagegen abgelehnt. Welche Folgen hat das für Boris Johnson und sein Abkommen mit der EU?
In einer zweiten Abstimmung hat sich das Unterhaus mit einer knappen Mehrheit von 14 Stimmen gegen den straffen Gesetzgebungszeitplan der Regierung ausgesprochen. Boris Johnson wollte seinen "Deal" und die dazugehörige Gesetzgebung in nur drei Tagen durch das Parlament bringen. Der Labour-Abgeordnete Karl Turner brachte die Skepsis vieler Abgeordneter auf den Punkt, als er einwendete, dass er sich mehr Zeit bei der Auswahl eines Sofas lasse, als er nun bei der Abstimmung über das wichtigste Gesetz seit Jahrzehnten habe. Durch diese Entscheidung steht nun fest, dass das neue Austrittsabkommen nicht vor dem 31. Oktober ratifiziert werden kann. Die Europäische Union wird nun mit großer Wahrscheinlichkeit eine Verlängerung einräumen. Boris Johnson kann damit sein wichtigstes Versprechen, die Europäische Union – komme was wolle – am 31. Oktober zu verlassen, nicht einhalten.
Was passiert als nächstes?
Schon während des vergangenen Wochenendes sind neue Informationen zu den Konsequenzen des Austrittsabkommens bekannt geworden. So musste Brexit-Minister Stephen Barclay einräumen, dass nordirische Unternehmen künftig Zollformulare ausfüllen müssen, wenn sie Waren in nach Großbritannien "exportieren". Johnsons Regierung weigerte sich am gestrigen Montag, ein juristisches Gutachten zu den Konsequenzen zu veröffentlichen. Dies deutet daraufhin, dass noch weitere mögliche Folgen unbekannt sind, die Abgeordnete auf beiden Seiten des House of Commons problematisch finden könnten. In London ist man daher der Auffassung, dass Johnsons "Deal" nie wieder so viele Stimmen bekommen wird wie gestern. Ob es überhaupt nochmals für eine Mehrheit reicht, ist sehr zweifelhaft. Wahrscheinlich ist, dass die Europäische Union nun eine Verlängerung einräumt und sich Regierung und Opposition in London auf Neuwahlen vor Weihnachten einigen. Das Abkommen liegt so lange im Eisfach und wird dieses womöglich nie wieder verlassen.
Sebastian Vagt ist European Affairs Manager und leitet den Expert Hub für sicherheitspolitischen Dialog der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel