Wahlen im Vereinigten Königreich
Historischer Erfolg für die Liberal Democrats
Im Vereinigten Königreich ist die Festlegung des Wahltermins dem Premierminister überlassen. Rishi Sunak hätte bis Dezember im Amt bleiben können, entschied sich aber, die Bürgerinnen und Bürger fünf Monate früher zur Wahlurne zu bitten, in der Hoffnung, die Labour-Partei damit in Bedrängnis zu bringen. Er scheiterte spektakulär, und nach neun Jahren konservativer Mehrheitsregierung hat das Vereinigte Königreich wieder eine Labour-Regierung. Der Sieg von Keir Starmer ist zwar nicht so groß wie der von Tony Blair im Jahr 1997, aber seine Partei wird mit einer beträchtlichen Mehrheit der Sitze im Unterhaus regieren. Ebenfalls bemerkenswert ist das historische gute Abschneiden der LibDems, die die politischen Debatten in Zukunft entscheidend mitbestimmen dürften.
Mit den gestrigen Wahlen enden die chaotischen neun Jahre seit der Cameron-Clegg-Koalition von 2010-2015. Diese Jahre waren geprägt vom verheerendem Brexit-Referendum und dem anschließenden Rücktritt von Premierminister David Cameron im Jahr 2016. Seitdem wurde Großbritannien von vier verschiedenen konservativen Premierministern regiert: Theresa May, Boris Johnson, Liz Truss und Rishi Sunak.
Labour gewinnt trotz niedrigem Stimmenanteil
Das Wahlergebnis wirft ein Schlaglicht auf die Besonderheit des nicht-proportionalen Wahlsystems des Vereinigten Königreichs. Die neue Regierung wurde mit nur 33,8 % der Stimmen gewählt, dem niedrigsten jemals erzielten Ergebnis. Obwohl die Labour-Partei nur 1,6 % der Stimmen mehr erhielt als 2019 (und deutlich weniger als die 40 %, die sie 2017 unter Jeremy Corbyn erreichte), stürzte sie die komfortable Mehrheit der Konservativen und bildet nun selbst eine große Mehrheit. Die Liberaldemokraten steigerten sich von 11 auf über 70 Sitze (11,6% 2019 auf 12,2%). Die schottische SNP erhielt über dreißig Prozent der abgegebenen Stimmen in Schottland, wurde aber mit nur 15 % der 57 schottischen Sitze im britischen Unterhaus belohnt.
Die Stimmen für die Konservative Partei gingen um 20 Prozentpunkte zurück. Sie stellte damit weniger Abgeordnete als bei jeder Parlamentswahl in den letzten 100 Jahren. Besonders hart traf sie der in letzter Minute erfolgte Eintritt von Nigel Farage in den Wahlkampf, dessen Reformpartei über 14 % der Stimmen erhielt und ihre ersten Abgeordneten nach Westminster schickt (insgesamt 4). Dennoch erreichten die Konservativen und die Reformpartei zusammen 38 % der Wählerstimmen, knapp fünf Prozentpunkte mehr also als die Labour-Partei.
Liberaldemokraten erzielen historische Zugewinne
Die Zugewinne der Liberaldemokraten konzentrierten sich südlich der Autobahn M4, insbesondere im traditionellen Kernland der Partei im Südwesten. Auch wenn der Traum, die Tories als offizielle Opposition abzulösen, wie es in ein oder zwei unseriösen Meinungsumfragen angedeutet wurde, nicht in Erfüllung ging, so haben die Liberaldemokraten doch eine Reihe von Ministern aus der Regierung gedrängt und verfügen über so viele Abgeordnete wie seit über einem Jahrhundert nicht mehr. Verglichen mit den anderen Parteiführern wird dem Vorsitzenden der LibDems, Sir Ed Davey, nachgesagt, dass er den effektivsten Wahlkampf geführt hat. In Nordirland unterlag der stellvertretende Parteivorsitzende der liberalen Alliance Party (ALDE), Stephen Farry, obwohl die Partei einen weiteren Sitz dazugewann.
Die Zugewinne der Labour-Partei erfolgten landesweit, waren aber besonders stark in Schottland, wo die Partei die schottischen Nationalisten schlug und die SNP von fast 50 auf weniger als 10 Sitze herunterstutzte. Dieses Ergebnis ist so zu deuten, dass es die Entschlossenheit der Schotten ausdrückt, die Tories zu verdrängen, sowie ihre Unzufriedenheit mit der schlechten Leistung der SNP in der Regierung in Edinburgh, und nicht etwa einen Rückgang der Unterstützung für die schottische Unabhängigkeit.
Skandale und Versäumnisse
Der Wahlkampf lief für die Konservativen von Anfang an schlecht. Der Ton wurde durch die improvisierte Pressekonferenz des Premierministers vor den Türen der Downing Street Nr. 10 vorgegeben, die zur Farce wurde, als sich der Himmel über Sunak auftat, und seine Rede, ohne Regenmantel oder Regenschirm, im Regen unterging. Hinzukam der Skandal, als aufgedeckt wurde, dass seine engen Mitarbeiter mithilfe von Insiderwissen Wetten über das Datum der Parlamentswahlen abgeschlossen hatten; und Sunaks Versäumnis, sie zu disziplinieren, verstärkte lediglich das Gefühl der Bürgerinnen und Bürger, dass seine Regierung schon zu lange im Amt war.
Die Angebote der Konservativen und der Labour-Partei ähnelten sich grundsätzlich. Ein Land, das unter dem Brexit und einer wirtschaftlichen Rezession schwer gelitten hat, hat kaum eine andere Wahl, als die Steuern zu erhöhen und die Staatsausgaben zu begrenzen. Die Hoffnung, dass eine Labour-Regierung für eine Annäherung an die EU offener sein könnte, wurde jedoch durch die Erklärung des Parteivorsitzenden Sir Keir Starmer zunichtegemacht, der verlauten ließ, dass das Vereinigte Königreich dem EU-Binnenmarkt zu seinen Lebzeiten nicht wieder beitreten würde. Dies bleibt eine Bruchlinie in der politischen Topographie des Landes und ist ein Thema, das die Regierungspartei voraussichtlich erneut spalten wird.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass unter den gewählten LibDem-Abgeordneten fünf Mitglieder des Brighton Circle sind: Brian Matthew, Vikki Slade, David Chadwick, Caroline Voaden und Ed Morello. Der Brighton Circle ist eine Dialoginitiative der Friedrich-Naumann-Stiftung Europa und den Liberaldemokraten, die erstmals 2019 ins Leben gerufen wurde. Er bringt aufstrebende liberale Führungskräfte aus dem Vereinigten Königreich mit Vertretern von liberaler Parteien in Kontinentaleuropa zusammen, um liberale Lösungen für gemeinsame Herausforderungen zu finden. Der Brighton Circle verfolgt das Ziel, die Beziehungen zu liberalen Partnern und politischen Netzwerken in der EU auch nach dem Brexit aufrechtzuerhalten und zu stärken, wobei seine jungen Mitglieder danach streben, sich dem Vereinigten Königreich und der EU langfristig wieder anzunähern.