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Internationale Politik
Desinformation aus dem Kreml – wie gefährlich ist sie, wie wirkt sie?

Isolated red letter cubes FAKE NEWS.

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Desinformation

Sie ist unter uns. Sie erreicht viele. Und sie wirkt. Die Desinformation, die der Kreml in Deutschland und Europa verbreitet, beeinflusst den Diskurs und das Denken vieler Bürger. Der Ukraine-Krieg verdeutlicht, wie dringend dieses Thema ist und so hat die Thomas-Dehler-Stiftung am 9. Februar in München eine Podiumsdiskussion dazu veranstaltet. Als Podiumsgäste waren die Politologin Dr. Susanne Spahn und der ungarische Parlamentarier Márton Tompos, Mitglied der liberalen Partei Momentum, eingeladen. Dies war die erste derartige Kooperation der Thomas-Dehler-Stiftung mit Momentum. Wenn es um Kreml-Desinformation in der Europäischen Union geht, ist Ungarn ein besonders wichtiges Beispiel. Denn in Ungarn ist sie, wie die Podiumsdiskussion das gezeigt hat, viel stärker verbreitet als in den meisten anderen Ländern. 

Waffen im Informationskrieg

Die Veranstaltung begann Dr. Susanne Spahn mit einem Impulsvortrag zur Situation in Deutschland. Das ist ihr Spezialgebiet: Als Politologin hat sie sich auf Russland und Osteuropa spezialisiert und mehrere Studien zu Medien in Russland und zur Desinformation aus Russland verfasst. Laut Spahn versucht der Kreml in Deutschland vor allem mit Medien wie Russia Today oder Sputnik den Diskurs zu beeinflussen. Nach den Worten der Chefredakteurin von Russia Today, Margarita Simonjan, sei der Sender „eine Waffe im Informationskrieg“.

Neben diesen Medien spielen laut Spahn auch Verbindungen zu Parteien wie der AfD und pro-russische Influencer eine Rolle. Mit ihren Bemühungen habe die russische Regierung durchaus Erfolg: Die Internetseiten von Russia Today und ähnlichen Medien seien in Deutschland im September 2022 etwa 5,2 Millionen mal aufgerufen worden. Ein hoher Wert, vor allem wenn man bedenkt, dass diese Medien in der EU kurz nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs verboten wurden. Und Umfrageergebnisse zeigen, dass die Narrative des Kremls von vielen Deutschen geglaubt werden. Gut ein Drittel der Wähler der Union, der SPD und der FDP stimmen teils oder ganz der Aussage zu, dass die NATO Russland so lange provoziert habe, dass Russland in den Krieg ziehen musste. Bei den Anhängern der AfD liegt der Wert sogar bei 72 Prozent.

In Ungarn ist die Situation in vielerlei Hinsicht anders. Dort benutzt die Propagandamaschinerie aus Russland eher Social Media Profile, um ihre Narrative zu verbreiten. Der ungarische Parlamentsabgeordnete Márton Tompos hat in den vergangenen Monaten viele solche Profile mit seriös klingendem Namen entlarvt und die Wähler in Ungarn darüber aufgeklärt, wie sie solche Profile erkennen. Zum Teil greifen diese Profile auf groteske Methoden zurück: Beispielsweise tauchen Bilder von einer Klimademonstration in Wien als angeblicher Beleg für die ukrainische Manipulation von Bildern von toten Zivilisten in Butscha auf.

Dreiteiliges Vorgehen

Die Desinformation arbeite dabei nach einem klaren dreiteiligen Schema, erklärte Tompos: „Zuerst geht es darum, dass man an nichts mehr glaubt“. Die Propagandaseiten fluten den Leser mit vielen verschiedenen Erklärungen der Ereignisse, so dass er das Gefühl hat, gar nichts mehr sicher zu wissen und keiner Quelle mehr vertrauen zu können. Beispielsweise seien nach dem Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 im Sommer 2014 innerhalb kürzester Zeit acht verschiedene Erklärungen für den Absturz in den russischen Propagandakanälen aufgetaucht. Diese hätten das Ziel gehabt, den Publikum zu verwirren. Doch die Propaganda verwirrt nicht nur den Leser, er umschmeichelt ihn auch. „Zweitens geht es darum, eine Art Geheimwissen zu präsentieren, die dem Leser das Gefühl gibt, ein Eingeweihter zu sein“, sagte Tompos. Dieses Geheimwissen bestehe dann exakt aus den Narrativen, die der Kreml die Bürger glauben lassen will. „Und schließlich geht es darum, die Sympathie für die Opfer unmöglich zu machen.“ Dabei gehe es im Kontext des Krieges um die Diffamierung der ukrainischen Seite.

Im Gleichklang mit Moskau

Ein wichtiger Unterschied zwischen Deutschland und Ungarn wurde in der Podiumsdiskussion deutlich. Während in Deutschland nur die AfD und zu einem gewissen Teil die Linke die Deutungen des Kremls wiedergeben, ist es in Ungarn die Regierung selbst. So haben laut Tompos die Regierung und die regierungsnahen Medien in Ungarn im Sommer und im Herbst 2022 immer wieder die EU-Sanktionen gegen Russland für die Inflation und die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich gemacht. Und sie haben ständig davor gewarnt, dass in Deutschland Menschen wegen der Energiekrise erfrieren werden. Die Politologin Spahn hat exakt diese Narrative als die Narrative Moskaus über den Westen identifiziert.

Ein Dilemma für liberale Demokratien

Bei der Diskussion mit dem Publikum kam immer wieder eine Frage auf: Was kann man tun? Keine leicht zu beantwortende Frage, denn sie berührt ein Kernprinzip liberaler Demokratien, die Meinungsfreiheit. Tompos sprach sich für eine stärkere Regulierung der sozialen Medien aus. Spahn deutete darauf, dass es eine breitere Debatte über Desinformation geben muss, denn oft fehle das Problembewusstsein. Das sei etwas, bei dem Deutschland zum Beispiel im Vergleich zu Großbritannien hinterherhinke.    

Es bestand Konsens darüber, dass vor allem das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen gestärkt werden muss. Tompos appellierte dabei an die Bürger, aktiv zu werden. Es sei wichtig, seine Meinung zu sagen und sich Desinformation entgegenzustellen, wenn man sie bemerkt. Je mehr Menschen gegen die Narrative des Kreml Position beziehen, desto weniger wird sie sich ausbreiten können. Man dürfe den Diskurs nicht der Kreml-Propaganda überlassen

 

Über Momentum:

Momentum ist eine pro-europäische, liberale ungarische Partei und Mitglied der europäischen Parteienfamilie Alliance of Liberals and Democrats for Europe. Sie wurde 2017 als Partei gegründet. Sie geht auf eine Jugendbewegung zurück, ihre erste bedeutende politische Aktion war die erfolgreiche Initiierung eines Referendums in Budapest über die Bewerbung der Stadt für die olympischen Spiele 2024. Momentum ist seit 2017 bei Wahlen auf allen Ebenen angetreten. Sie ist im ungarischen Parlament mit zehn Abgeordneten und im Europaparlament mit zwei Abgeordneten vertreten. Sie stellt auch Bürgermeister und zahlreiche Stadträte in Ungarn.