Ukraine-Krieg
Drei Jahre russische Invasion in die Ukraine: Wie sieht ein Frieden aus ukrainischer Sicht aus?

Menschen nehmen anlässlich des dritten Jahrestages des russischen Einmarsches in der Ukraine an einer Kundgebung teil.
© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Graham HughesVor drei Jahren, als Russland in die Ukraine einmarschierte, breitete sich sowohl in der Ukraine als auch in ganz Europa eine tiefe Angst und Ratlosigkeit aus. Es schien kaum vorstellbar, dass im 21. Jahrhundert ein Staat zu einer derart brutalen und grundlosen Invasion in sein Nachbarland fähig sein könnte – ein Akt, der alle Grundsätze der europäischen Friedensordnung über Bord werfen würde. Drei Jahre später hält der Krieg weiterhin an, und nun führt auch der wichtigste Verbündete der Ukraine, die USA, mit ihrer umstrittenen Verhandlungsstrategie und irreführenden Aussagen über die Ukraine, die an russische Propaganda erinnern, zu weiterer Ratlosigkeit. Wie geht es weiter in der Ukraine? Wie gestaltet sich aus ukrainischer Sicht ein nachhaltiger Frieden, und worauf hoffen die Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit mittlerweile 11 Jahren der Aggression Russlands ausgesetzt sind?
Als Donald Trump, der im Wahlkampf versprochen hatte, den Krieg in der Ukraine binnen 24 Stunden zu beenden, wiedergewählt wurde, gingen die Meinungen in der Ukraine auseinander. Die einen meinten, er würde die Unterstützung der Ukraine und somit die Chancen auf einen Sieg der Ukraine mindern. Die anderen hegten leise Hoffnung auf ein Kriegsende dank Trump – der selbsternannte „Deal Maker“ könnte möglicherweise für die Ukraine einen akzeptablen Deal mit Russland aushandeln, und somit den täglichen Terror durch Russland und den Tod von Tausenden Ukrainern stoppen. Die jüngsten Aussagen von Trump zur Ukraine und die Beleidigungen in Richtung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj lassen aber erahnen, dass der unvorhersehbare US-Präsident nicht daran interessiert ist, einen guten Deal für die Ukraine auszuhandeln. Er will über die Köpfe der Ukrainer hinweg mit Russland verhandeln und eine neue Weltordnung etablieren, in der die Stärkeren die Welt untereinander aufteilen. Es geht so weit, dass die US-Administration der ukrainischen Führung einen zuvor nicht abgesprochenen Vertrag vorgelegt hat, nach dem die Ukraine 50% ihrer Bodenschätze an die USA als Gegenleistung für weitere militärische Unterstützung abtreten sollte. Neokolonialismus àla Trump, während sein Vize JD Vance die Europäer bei der Münchner Sicherheitskonferenz über ihre eigenen Werte belehrte.
Warum Wolodymyr Selenskyj ein legitimer Präsident ist und in der Ukraine keine Wahlen stattfinden
Während sich Vertreter der USA und Russlands zu Gesprächen in Saudi-Arabien treffen – ohne die Ukraine einzubeziehen – verbreitet Trump weiterhin Unwahrheiten über die Ukraine, die an Fake-News erinnern und stark an die Propaganda-Sendungen des russischen Fernsehens angelehnt wirken. Er behauptet, dass Selenskyj nicht länger der legitime Präsident sei, lediglich 4 Prozent der Ukrainer ihn unterstützten und Wahlen in der Ukraine nötig seien. Ein schneller Faktencheck widerlegt jedoch all diese Falschaussagen.
Die Umfragewerte von Wolodymyr Selenskyj haben sich im Vergleich zu Februar 2022, als sie noch beeindruckende 90 % erreichten, tatsächlich verschlechtert. Dennoch zeigt die aktuelle Umfrage vom Februar 2025, dass immer noch 57 % der befragten Ukrainerinnen und Ukrainer dem Präsidenten ihr Vertrauen schenken. Von solch hohen Zustimmungswerten können viele Staatsoberhäupter weltweit nur träumen – in manchen Fällen werden vergleichbare Ergebnisse seit Jahrzehnten durch manipulierte Wahlen erzielt, wie zum Beispiel bei Wladimir Putin selbst und seinem treuen Helfer im Krieg gegen die Ukraine, Aljaksandr Lukaschenka.
Zwar ist anzunehmen, dass das tatsächliche Wahlergebnis von Selenskyj von diesen Zustimmungswerten abweichen könnte, doch belegen mehrere Umfragen, dass der ukrainische Präsident weiterhin das Vertrauen der Bevölkerung genießt.
Die Frage seiner Legitimation geistert durch die russischen Propagandakanäle bereits seit längerer Zeit. Dabei ist die ukrainische Verfassung hierzu eindeutig: Der aktuelle Präsident übt sein Amt bis zur Amtseinführung seines Nachfolgers aus (Verfassung der Ukraine, Abschnitt V, Artikel 108). Die Wahl eines neuen Präsidenten ist in Kriegszeiten nicht möglich – das Kriegsrecht verbietet die Abhaltung jeglicher Wahlen, seien es Präsidentschafts-, Parlaments- oder Kommunalwahlen. Dass das Kriegsrecht in der Ukraine begründet angewendet ist, kann jeder bestätigen, der die täglichen und nächtlichen Angriffe durch Russland erlebt. Die Ukraine ist im Krieg, und das Kriegsrecht wird mit regelmäßiger Zustimmung des Parlaments angewendet. Um Wahlen in der Ukraine abzuhalten, wäre eine umfassende Gesetzesänderung notwendig. Und selbst dann bliebe festzuhalten, dass die Durchführung von Wahlen nach demokratischen Standards im Krieg praktisch unmöglich wäre.
Fast 7 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer befinden sich als Flüchtlinge im Ausland, von denen die Mehrheit konsularisch nicht erfasst ist. Auch bei der Registrierung von 3,7 Millionen Binnenvertriebenen und der Zuordnung zu den jeweiligen Wahllokalen gibt es erhebliche Schwierigkeiten. Hunderttausende Soldatinnen und Soldaten, die an der Front kämpfen, könnten nur eingeschränkt an Wahlen teilnehmen. Die Sicherheit der Menschen in den Wahllokalen wäre nicht gewährleistet – Russland ist bekannt für seine perfiden Angriffe auf zivile Infrastruktur. In den frontnahen Gebieten können durch die totale Zerstörung der Städte durch Russland gar keine Wahllokale errichtet werden.
Es ist zu erwarten, dass die russische Propaganda eine derartige Wahl als illegitim abstempeln und ihr Narrativ weiterverbreiten würde. In der Ukraine besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass vor Kriegsende und dem Ende des Kriegsrechts keine Wahlen stattfinden sollen. So lehnen 63 % der befragten Bürgerinnen und Bürger die Durchführung jeglicher Wahlen bis zum Kriegsende ab. Auch die politischen Kräfte – einschließlich aller Oppositionsfraktionen – haben sich bereits 2023 darauf verständigt, von Forderungen nach Neuwahlen abzusehen, um die Gesellschaft nicht unnötig zu spalten.
Wie stellen sich die Ukrainerinnen und Ukrainer ein Friedensabkommen mit Russland vor?
Den für die Ukraine essenziellen Grundsatz der Friedensverhandlungen hat Donald Trump bereits ignoriert – er verhandelt über die Ukraine, ohne sie einzubeziehen. Dabei ist es unerlässlich, dass die Ukraine und ihre Vertreter am Verhandlungstisch sitzen, denn es geht um die Zukunft ihres Landes. Der Ausschluss der Ukraine bestärkt den imperialistischen Anspruch Russlands auf das Land, ebenso wie die Aussage des US-Verteidigungsministers Pete Hegseth, dass eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ausgeschlossen sei.
Letztlich liegt es in der Entscheidung der Ukraine, welchem Militärbündnis sie beitreten möchte – ganz so, wie es einst die baltischen Staaten taten, trotz der Proteste und Drohungen aus Russland. Die ehemaligen Sowjetrepubliken haben sich 1991 von der sowjetischen Okkupation befreit und können seither eigenständig über ihre geopolitische Ausrichtung bestimmen. Russland spricht ihnen jedoch diese Selbstbestimmung ab, und Äußerungen wie die von Hegseth untermauern dieses Narrativ zusätzlich. Der NATO-Beitritt ist in der ukrainischen Verfassung verankert, 75% der Bevölkerung befürworten ihn.
Auch eine andere Aussage von Hegseth stößt in der Ukraine auf große Ablehnung: Er bezeichnet die Rückkehr zu den Grenzen von 2014 als „unrealistisch“. Dabei verfolgt die ukrainische Führung das klare Ziel, sogar bis zu den Grenzen von 1991 zurückzukehren – das schließt auch die Wiedererlangung der Krim ein. Über 80 % der befragten Ukrainerinnen und Ukrainer lehnen jegliche territorialen Zugeständnisse an Russland ab. Gleichzeitig signalisiert eine wachsende Zahl von Befragten die Bereitschaft, in Verhandlungen mit Russland zu treten – ohne jedoch den russischen Forderungen nachzugeben.
Ein zentraler Verhandlungspunkt ist die Rückführung aller Kriegs- und politischen Gefangenen sowie der mittlerweile fast 20.000 entführten ukrainischen Kinder. Russland hat sowohl Kinder als auch Erwachsene verschleppt und betreibt seit 2014 auf den okkupierten Gebieten Foltergefängnisse. Die Bedingungen, unter denen ukrainische Kriegsgefangene festgehalten werden, sind menschenunwürdig. Daher muss ihre Rückkehr oberste Priorität in den Verhandlungen haben – ein Thema, zu dem sich bislang kein amerikanischer Verhandler geäußert hat.
Die russischen Kriegsverbrechen und die Zerstörung der Ukraine dürfen nicht ungesühnt bleiben. Das von der Ukraine und der EU initiierte Sondertribunal für Russland muss so schnell wie möglich seine Arbeit aufnehmen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Russland soll die Kriegsschäden begleichen – wenn dies nicht freiwillig geschieht, muss die EU endlich die eingefrorenen russischen Vermögenswerte im vollen Umfang für den Wiederaufbau der Ukraine einsetzen.
Klare Sicherheitsgarantien – damit Russland nicht wieder angreift
Klare Sicherheitsgarantien bilden für die Ukraine den Kern eines nachhaltigen Friedens, der weitere russische Aggressionen verhindert – genau das wünschen sich die Ukrainerinnen und Ukrainer. Sie haben bereits schmerzhaft erfahren, dass Russland Friedensabkommen nicht ernst nimmt: Bereits nach drei Tagen wurde das Minsker Abkommen durch den Sturm auf Debalzewe ad acta gelegt. Die Erfahrungen mit Minsk II und dem Budapester Memorandum haben deutlich gemacht, dass Russland sich nicht an Abmachungen hält und Zusagen des russischen Machthabers Putin nichts wert sind. Seit 2014 führt Russland einen Krieg in der Ukraine, der 2022 in eine umfassende Invasion eskalierte. Die Welt – und insbesondere Europa – hatte genügend Zeit, sich auf die Bedrohung an der NATO-Ostflanke einzustellen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Stattdessen wurde nach der Annexion der Krim „business as usual“ fortgesetzt: Es wurden lediglich milde Sanktionen verhängt, und gigantische Infrastrukturprojekte wie die Nord Stream 2-Pipeline zur großen Empörung der östlichen Nachbarn Deutschlands vorangetrieben.
Europäische und deutsche Politiker haben es versäumt, die wachsende Bedrohung durch Russland rechtzeitig zu realisieren und einzudämmen, und tragen somit eine Mitschuld an der russischen Invasion. Deshalb muss Europa nun endlich die Verantwortung übernehmen, den Krieg zu beenden und einen dauerhaften Frieden zu sichern. Es darf nicht darauf hoffen, dass sich etwa Donald Trump kurzfristig umentscheidet und die Ukraine sowie Europa rettet. Europa muss der Ukraine verlässliche Sicherheitsgarantien bieten – etwa durch umfassende militärische Unterstützung und eine eigene Präsenz zur Friedenssicherung. Gleichzeitig sollten die Sanktionen aufrechterhalten werden, um der russischen Wirtschaft die Kapazitäten für weitere militärische Aufrüstung zu entziehen.
Niemand sollte daraufsetzen, dass das Regime in Russland zusammenbricht und dadurch alles wieder in Ordnung gerät. Der russische Krieg beruht nicht allein auf Wladimir Putin und seinem Größenwahn, sondern vor allem auf einem tief in der Gesellschaft verankerten Imperialismus. Die Mehrheit der Russen unterstützt diesen Krieg und wäre auch bereit, militärische Aktionen gegen andere Nachbarländer zu rechtfertigen – etwa gegen Estland, Lettland, Litauen, Polen, Moldau und Georgien, wie schon 2008 bewiesen.
Russland hat es versäumt, die Chancen der 1990er Jahre zu nutzen, um sich kritisch mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Stattdessen wachsen neue Generationen mit einem imperialistischen Weltbild heran, in dem die Ukrainer als unselbständiger, kleiner Bruder betrachtet werden, der sich aus Trotz vom mächtigen großen Bruder abwendet und dafür bestraft werden soll. Die Aufgabe der Geschichtsaufarbeitung kann jedoch keine andere Gesellschaft für Russland übernehmen.
Wir hingegen haben die Möglichkeit, Russland in die Schranken zu weisen, gemeinsam stark für unsere Werte einzutreten – auch militärisch – und die Ukraine endlich als gleichwertiges Mitglied in unsere Wertegemeinschaft aufzunehmen. Es gilt, die ukrainische Souveränität, das Leben der Ukrainerinnen und Ukrainer sowie die ukrainischen Städte und Dörfer genauso wertzuschätzen wie die deutschen, französischen oder spanischen, und bereit zu sein, sie zu verteidigen. Sonst werden wir die nächsten Opfer der russischen Aggression sein.