Krieg in Europa
"Die Sicherheitspolitik der EU ist ein einziges Defizit"
Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs hat sich das westliche Verteidigungsbündnis eine neue Strategie verordnet. Russland gilt jetzt als klare Bedrohung, die militärische Rolle der Nato wird wieder in den Vordergrund gestellt. Und politisch geht es künftig um einen globaleren Ansatz mit Augenmerk auf China. Der Krieg in der Ukraine hat empfindliche Defizite in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik aufgedeckt.
Eine kurze Einschätzung über diese Thenatik gibt uns Prof. Dr. Stephan Bierling. Er ist seit Mai 2000 Professor für Internationale Politik und Transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg. Häufig analysiert er die deutsche Außenpolitik sowie die US-Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik in deutschen und internationalen Zeitungen sowie in Rundfunk und Fernsehen.
Anna-Lena Trümpelmann: Die Verabschiedung des strategischen Kompasses in diesem Jahr zeigt, dass die EU sich zu einem stärkeren sicherheitspolitischen Akteur entwickeln will. Welche Defizite in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik können Sie erkennen und welche Hindernisse müssen die EU und ihre Mitgliedsstaaten auf institutioneller und struktureller Ebene überwinden, um diese Defizite zu beheben?
Prof. Dr. Stephan Bierling: Die Sicherheitspolitik der EU ist ein einziges Defizit. Ohne die USA sind wir weder materiell noch logistisch noch konzeptionell verteidigungsfähig. Die EU sollte diese Anstrengungen einfach aufgeben und ihre Sicherheit als europäischer Teil der Nato anstreben.
Durch die aktuellen Krisen taucht die Frage immer wieder auf, integrierte Streitkräfte zu einer Armee unter der Führung eines europäischen Verteidigungsministers zusammenzuführen. Wie stehen Sie zu einer solchen Armee?
Wie so viel in der EU-Fantasie eine gute Idee, aber die Chance haben wir 1954 mit dem Scheitern der EVG verspielt. Sie kommt auch nie wieder. Keine große EU-Nation wird da mitmachen, am wenigsten die Deutschen. Allein die USA können die politische Führung bieten, um den europäischen Flohzirkus zusammenzuhalten.
Der russische Angriff auf die Ukraine hat auch in Skandinavien zu einer sicherheitspolitischen Zeitenwende geführt. Finnland und Schweden, die jahrzehntelang ihre militärische Neutralität betonten, beantragten ihre Aufnahme in die NATO. Wie stehen Sie zu dem Doppelbeitritt: Erhöht er das Risiko einer Eskalation oder können die Beitrittsgesuche als Chance für ein stärkeres westliches Verteidigungsbündnis angesehen werden?
Das ist fantastisch - für die Sicherheit der Nato wie die Sicherheit Schwedens und Finnlands. Russland muss jetzt eine viel längere Grenze im Blick haben und seine Streitkräfte an anderen Stellen ausdünnen. Die wichtige Ostsee kann Moskau auch nicht mehr so leicht als Aufmarschgebiet seiner Seestreitkräfte nutzen, um gegen Mittel- und Nordeuropa vorzugehen. Ob der Kreml weiter eskaliert, liegt allein an ihm, nicht an uns. Aber die neuen Mitglieder in der Nato, vor allem die militärisch starken Finnen, machen jede Eskalation für Putin schwieriger.