"Diese Wahl wird sehr eng werden"
Die norwegische Politik - das sind derzeit acht Parteien im Parlament, unendliche Koalitionskombinationen und eine lange Tradition von Minderheitsregierungen. Wer blickt da noch durch? Håvard Sandvik zum Beispiel. Er ist politischer Referent der liberalen Partei im Storting, dem norwegischen Parlament. Freiheit.org hat ihn zum Stand des Wahlkampfes befragt.
Am 11. September wählen die Norweger ihr Parlament. Noch regiert in Oslo die konservative Partei der Ministerpräsidentin Erna Solberg zusammen mit der rechtspopulistischen Fortschrittspartei in einer Minderheitsregierung. Das könnte sich bald ändern, denn das Bündnis hat laut aktuellen Umfragen viel Zuspruch verloren. Was können wir vom Ausgang der Wahl erwarten?
Diese Wahl wird sehr eng werden und ihr Ausgang wird maßgeblich vom Erfolg oder Misserfolg der liberalen Partei Venstre abhängen. Schafft es Venstre, die in Norwegen gültige 4%-Hürde zu überwinden, so wird sie an der Vergabe der insgesamt 19 Ausgleichsmandate beteiligt. In diesem Fall werden die Parteien des Mitte-Rechts-Blocks eine Mehrheit erreichen. Auf Seiten des Mitte-Links-Blocks kämpft die Arbeiterpartei im Moment mit rekordverdächtig schwachen Umfragewerten. Ihr Parteivorsitzender und Spitzenkandidat für das Amt des Premierministers, der ehemalige Außenminister Jonas Gahr-Støre, erfreut sich offenkundig keiner großen Beliebtheit. Ihr bevorzugter Koalitionspartner, die agrarpopulistische Zentrumspartei, genoss zwar bis vor kurzem viel Zustimmung, scheint ihren Zenit in den Umfragen jedoch überschritten zu haben. Weil die Arbeiterpartei aber eine Koalition mit den Grünen ausschließt, und die Zentrumspartei eine Zusammenarbeit mit der sozialistischen Linken ablehnt, bleiben für eine linke Mehrheitsregierung kaum Optionen. Wahrscheinlicher ist dagegen eine Fortsetzung der norwegischen Tradition von Minderheitsregierungen. Wenn die Liberalen ihre Wähler erfolgreich mobilisieren, wäre eine Mitte-Rechts-Regierung aus Liberalen, Christdemokraten und Konservativen, geduldet von der rechtspopulistischen Fortschrittspartei, realistisch.
"Wahrscheinlich ist eine Fortsetzung der norwegischen Tradition von Minderheitsregierungen."
Welche Themen bestimmen momentan die politische Diskussion und den Wahlkampf in Norwegen?
Bisher haben Koalitionsoptionen und die Persönlichkeiten der Spitzenkandidaten den Wahlkampf bestimmt. Hoffentlich werden in den letzten beiden Wochen vor der Wahl politische Themen stärker im Vordergrund stehen. Im Kontext zunehmender Einwanderung nach Norwegen wurde eine Debatte über die norwegische Leitkultur geführt. Die beiden größten Parteien, Konservative und Arbeiterpartei, haben sich außerdem über das Thema Vermögenssteuer gestritten. Unsere Spitzenkandidatin, Trine Skei Grande, machte erfolgreich Schlagzeilen, indem sie diesen Sommer in einem Elektro-Auto durch Norwegen gereist ist und ihren Urlaub abgesagt hat, um Unternehmer zu treffen.
Die Liberalen haben die Minderheitsregierung im Parlament während der letzten vier Jahre unterstützt. Welche Bilanz ziehen Sie und was haben sie in dieser Zeit gelernt?
In den letzten vier Jahren hat Venstre rekordverdächtig viele Politikvorhaben durchgesetzt. 29 von 31 Wahlversprechen wurden entweder ganz oder zumindest teilweise umgesetzt. Zu den größten Erfolgen zählen der verbesserte Zugang zu Kapital, die Stärkung sozialer Rechte für Unternehmer, die entschiedene Umgestaltung der Wirtschaft nach ökologischen Maßstäben und eine Reihe von Verwaltungsreformen zum Bürokratieabbau. Unglücklicherweise drücken sich diese politischen Erfolge nicht in besseren Umfragewerten aus, weil die Liberalen die Regierung nur unterstützt, ihr jedoch nicht angehört haben. Die Erfolge werden ihnen deshalb von den Wählern nicht angerechnet. Sollte die Partei bei den kommenden Wahlen erfolgreich sein, ist die Mitwirkung an der nächsten Regierung daher das klare Ziel.
Håvard Sandvik arbeitet als politischer Referent für die liberale Partei Venstre im norwegischen Parlament.