China Bulletin
EU auf Konfrontationskurs mit China: Droht ein Handelskrieg?
Die europäischen Ausgleichszölle auf chinesische Elektrofahrzeuge sind erst der Anfang. Vieles deutet darauf hin, dass die Wirtschaftsbeziehungen mit China noch innerhalb des nächsten Jahres in einen Handelskrieg abrutschen könnten. Für Europa steht nicht nur die eigene Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch die Stellung als globaler Akteur auf dem Spiel.
In vielen Bereichen konkurrieren Europa und China um dieselben Märkte. Von erneuerbarer Energie über Kommunikationstechnologie bis hin zu Transport bleibt der europäische Qualitätsvorsprung zwar weiterhin bestehen, nimmt aber immer stärker ab. Ein wichtiger Grund dafür sind überbordende staatliche Subventionen, die nicht nur den technologischen Fortschritt in China anfeuern, sondern auch die weltweiten Märkte mit chinesischen Produkten überfluten. Als ersten Gegenschritt entschied die EU vor wenigen Wochen nun, Ausgleichszölle von bis zu 38 Prozent für chinesische Elektrofahrzeugimporte zu erheben. Die chinesische Regierung hat die Ausgleichszölle bereits im frühen Stadium als provokative Maßnahme und Bruch internationaler Handelsregeln bewertet und droht mit Vergeltungsschlägen. Dabei sind Elektrofahrzeuge erst der Anfang. Weitere Subventionsuntersuchungen der EU gegen China, beispielsweise zu Stahlrohren und verschiedenen Lebensmittelerzeugnissen, sind bereits unterwegs. Insgesamt gibt es 13 neue Untersuchungen, Tendenz steigend. Ursula von der Leyens „geopolitische EU-Kommission“ zeigt hier klare Kante.
Autobahn Richtung Handelskrieg?
Bei den Elektroautos handelt es sich um eine absolute Schlüsselbranche für China. Satellitenaufnahmen zeigen den Ehrgeiz, mit dem etwa der chinesische Elektroauto-Hersteller BYD im ganzen Land Fabriken für Elektrofahrzeuge und Batterien aufbaut, deren Dimensionen bereits kleinen Städten gleichen. Auch in Ungarn und anderen europäischen Ländern hat der Automobilkonzern neue Fertigungsstätten geplant. Schon heute macht BYD etablierten internationalen Herstellern, darunter insbesondere BMW, Mercedes, Volkswagen und Tesla, Konkurrenz.
Klar ist, dass diese Produktionsdimensionen nicht nur für den chinesischen, sondern auch für den Exportmarkt bestimmt sind. Ausgleichszölle in diesem Sektor treffen die chinesische Exportagenda daher empfindlich. Ebenso sensibel reagieren aber auch führende europäische Autohersteller sowie der Importriese Tesla, die zu großen Anteilen in China herstellen lassen und dadurch von den Ausgleichszöllen ebenfalls direkt betroffen sind. Dazu besteht die Angst, dass Werke in China geschlossen werden könnten und das Land mit einem bis zu 25 Prozent hohen Zoll für motorgetriebene Fahrzeuge kontert.
Die EU im Sog des US-chinesischen Handelskriegs
Verschärft wird die Situation durch die USA. Diese verzeichnen seit der Erhebung neuer, höherer Zölle von nunmehr 100 Prozent im Mai dieses Jahr praktisch keine Importe chinesischer Elektroautos mehr. Aus der zeitlichen Korrelation mit den neuen europäischen Zöllen mag in Peking leicht ein Bild gezeichnet werden, das eine gemeinsame Strategie suggeriert. Tatsächlich sind das Timing und die Radikalität der neuen US-Zölle stärker auf innenpolitischen Druck im Kontext des US-Wahlkampfes denn auf einen rein formellen Subventionsausgleich zurückzuführen. Im Gegensatz zu den europäischen Maßnahmen sind es Strafzölle, die eine Verschiebung der Importe von Europa in die USA verhindern sollen. Sie sind auch eine Geste an republikanische Wähler, die demonstriert, dass auch die Demokraten engagiert sind, den heimischen Markt vor der chinesischen Konkurrenz abzuschirmen. Peking deutet dies als protektionistische Maßnahme und Missachtung des WTO-Regelwerks und sieht unmittelbar einen Anlass, eigene Zuwiderhandlungen gegen WTO-Klauseln zukünftig leichter rechtfertigen zu können.
Erste Gegenmaßnahmen von chinesischer Seite gegen die europäischen Zölle waren Untersuchungen zu französischem Brandy und zu Schweineprodukten. Auch vor dem Hintergrund der Bauernproteste in der EU hat Peking strategisch für europäische Wählerinnen und Wähler kritische Produktgruppen ins Auge gefasst. Die EU war selbst Vorbild für diese Strategie: Schließlich hat sie nach der Einfuhr von Stahlzöllen unter US-Präsident Donald Trump bereits früh Gegenzölle auf Bourbon Whiskey, Harley-Davidson-Motorräder und amerikanische Sportboote erlassen, um die US-Regierung zu einem Umdenken zu bewegen.
Die EU sollte jedoch künftig davon absehen, sich stark auf strategische Ausgleichszölle zu berufen. Künftig könnten sonst ganze Industrien, wie etwa die Luftfahrt, oder auch weitere Teile der Agrarexporte schnell von neuen chinesischen Maßnahmen betroffen sein.
Ebenfalls kann es kein Ziel sein, chinesische Produkte vom europäischen Markt fernzuhalten, denn kaum eine Wirtschaft ist so in globale Lieferketten eingebunden wie die europäische. Der traditionell-diplomatische Kurs der EU, an dem sie voraussichtlich auch erst einmal festhalten wird, wäre, auf die Einhaltung von WTO-Vorgaben zu verweisen und eher davon abzusehen, offensiv von einem „Handelskrieg“ zu sprechen. Anstatt sich also in einem Streit um Begrifflichkeiten zu verstricken, sollte die EU sich bemühen, einen effektiven Dialogmechanismus zu finden, um Schlüsselbranchen vor überbordenden Subventionen zu bewahren. Hier könnte die EU China gegenüber auch Zugeständnisse in Bereichen machen, in denen man von chinesischer Subventionspolitik profitiert, beispielsweise, um die Energiewende voranzutreiben.
Integrität in der internationalen Kommunikation
Die chinesische Führung interpretiert bereits jetzt den Kurs der EU-Kommission offiziell als deutliches Zeichen geopolitischer Rivalität. Auch der Diskurs in Brüssel verschiebt sich vermehrt von „Partner“ und „Wettbewerber“ weiter in Richtung „strategischer Rivale“. Allzu oft werden derartige Narrative in der medialen Echokammer rasch zu harter Realität, jedoch sollte man seine Wirtschaftspolitik von Tatsachen, nicht von Emotionen leiten lassen.
Eine Stärkung des europäischen De-Risking-Ansatzes beinhaltet, die eigene Neutralität in Bezug auf den US-chinesischen Handelskrieg zu verteidigen, und sich im Rahmen selbst gesetzter Standards genau soweit abzugrenzen, wie es die Konkurrenzfähigkeit europäischer Unternehmen zulässt. Noch ist prinzipiell möglich, eine Eskalation zu vermeiden. Dies kann aber nur gelingen, wenn Peking die Eigenständigkeit der EU in Handelsfragen anerkennt und sie nicht der Blockbildung mit den USA verdächtigt. Dies ist letztlich eine Statusfrage, die sich nicht allein in Wirtschaftsfragen, sondern im Auftreten der EU in der internationalen Politik insgesamt entscheidet. Es ist daher von größter Bedeutung, dass es der EU gelingt, die eigene Souveränität in Zukunft umso deutlicher zu demonstrieren. Die EU wird, von China wie im Übrigen auch von den USA, daran gemessen werden, wie konsequent sie am eigenen Kurs festhält und die eigenen Standards verteidigt. Die EU muss daher die chinesische Rezeption zukünftiger Ereignisse treffsicher antizipieren und klar kommunizieren, dass sie für ihre eigenen Interessen eintritt.
Dass die internationale Konsensbildung in Handelsfragen zukünftig erschwert bleibt, steht außer Frage. Entscheidend wird sein, wessen Spielregeln sich durchsetzen. Fairness und Regelgebundenheit bleiben oberste Grundvoraussetzung für den freien Marktwettbewerb, von dem letztlich alle profitieren wollen. Im Dreieck China-USA-EU ist die EU die einzige Kraft, die aktuell noch genügend politische Unabhängigkeit hält, diese Standards auch im Sinne der internationalen Gemeinschaft offen und dezidiert zu kommunizieren und zu verteidigen. Wie viel Rückendeckung sie dabei zukünftig erhält, wird die anstehende US-Präsidentschaftswahl entscheiden.
Dr. Nele Fabian ist Senior European Affairs Managerin im Regionalbüro Europäischer Dialog der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel. Sie ist Sinologin und Politikwissenschaftlerin.
Akim van der Voort ist Experte für Marktwirtschaft, Freihandel und Globalisierung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.