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Gesetzesänderungen
Folge 2: „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft §219a“

Gesetzesänderungen, die wir Frauen verdanken
#FemaleForward

Die Diskussionen um §219a zeigen: Der gesellschaftliche Konsens ist gefährdet.

Manche Gesetzesänderungen gehen in die Geschichte ein. Als in den 70er-Jahren Frauen für eine straffreie Möglichkeit der Abtreibung kämpften, erreichten sie einen Meilenstein für Frauenrechte. Aber heute zeigt die Diskussion um Paragraf 219a, dass wir noch lange nicht am Ziel sind. Aber worum geht’s da eigentlich?

Im Februar 2019 wurde der höchst umstrittene Paragraf 219a reformiert. Verhandelt wurde, ob Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zulässig ist. Dabei steht Werbung hier eigentlich für Information. Also: Dürfen Ärzte etwa auf ihrer Homepage darüber informieren, ob und wie sie Schwangerschaften beenden? Fakt ist: Werbung für Schwangerschaftsabbruch bleibt weiterhin strafbar und ist nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen erlaubt. Auf Zuwiderhandlung steht, neben einer Geldstrafe, eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren.

Wie kam es dazu, dass das Gesetz geändert wurde?

Das Thema Abtreibung polarisierte die Gesellschaft seit Langem. Ihren Höhepunkt erreichten die Diskussionen in den 1970er-Jahren. Damals gingen Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten auf die Straße und forderten neben umfassender sexueller Aufklärung, selbstbestimmter Sexualität und freiem Zugang zu Verhütungsmitteln, auch die ersatzlose Streichung des §218. Der Slogan „Mein Bauch gehört mir!“ wurde zum Markenzeichen des Feminismus.

Ein Meilenstein in der jahrelangen Debatte: Am 6. Juni 1971 erschien das Magazin "Der Stern" mit der Schlagzeile "Wir haben abgetrieben!" und einem Titelbild, auf dem sich 28 Frauen mit ihrem Foto öffentlich zu einem Schwangerschaftsabbruch bekannten. Die Bewegung erreichte zwar nicht die Streichung, aber immerhin eine straffreie Möglichkeit zur Abtreibung, wenn sie unter gewissen Voraussetzungen durchgeführt wird. Am 18. Mai 1976 trat das neue Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch in der Bundesrepublik Kraft. In der ehemaligen DDR konnten seit 1972 die Frauen innerhalb der ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft eigenverantwortlich über einen Abbruch entscheiden. Aus den 70er-Jahren stammte auch der Gesetzestext zur Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft – und er wurde, außer einer formalen Mini-Änderung 1993, knapp 45 Jahre nicht angerührt.

Eine erneute bundesweite Diskussion kam erst 2017 wieder in Fahrt, als sich die Ärztin Kristina Hänel vor dem Gießener Amtsgericht verantworten musste, weil sie auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informiert hatte. Dort war nicht nur zu lesen, dass sie in ihrer Praxis Abtreibungen vornimmt, sondern auch, wie diese vonstatten gehen. Sie wurde zu einer Geldstrafe verurteilt und verlor 2018 auch in zweiter Instanz vor dem Landesgericht. Der Fall rief eine breite öffentliche Kritik hervor, es wurde von verschiedensten Seiten eine Abschaffung oder Reform des Paragrafen gefordert. Im Januar 2019 legte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Gesetzesentwurf vor, der lediglich vorsah, dass Ärzte künftig darauf hinweisen dürfen, dass sie Abtreibungen unter den Voraussetzungen von §218a Abs 1 bis 3 StGB vornehmen. Dieser Entwurf wurde am 6. Februar 2019 vom Bundeskabinett gebilligt, am 21. Februar 2019 bekam er auch im Deutschen Bundestag eine breite Mehrheit.

Das hat sich konkret geändert:

Dem Gesetz wurde der Ausnahmetatbestand hinzugefügt, dass das Werbeverbot nicht für Ärzte, Krankenhäuser und andere Einrichtungen gilt, die Abtreibungen vornehmen. Diese dürfen künftig über die Tatsache informieren, dass sie Abtreibungen vornehmen. Eine umfangreiche Information über das „Wie“ ist aber weiterhin verboten. Im Schwangerschaftskonfliktgesetz wird zudem eine Regelung eingefügt, die die Bundesärztekammer verpflichtet, eine Liste von Ärzten, Krankenhäusern und Einrichtungen zu führen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Diese Liste wird auch der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zur Verfügung gestellt.

Wie wurde das Gesetz diskutiert?

Auf jeden Fall sehr hitzig. Liberale und Vertreter der Frauenbewegung kämpfen für eine Abschaffung des § 219a StGB, Lebensschützer hätten eine weitere Verschärfung begrüßt. Pro familia engagiert sich bereits seit 1952 als gemeinnütziger Verein für eigenverantwortliche Familienplanung und selbstbestimmte Sexualität. Und auch dort spricht man sich für die ersatzlose Streichung von §219a aus dem Strafgesetzbuch aus. Der Paragraf sei auch nach der Reform „nicht geeignet, sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte zu stärken, Selbstbestimmung zu fördern und Demokratie weiterzuentwickeln.“

Eine der weltweit führenden juristischen Menschenrechtsorganisationen, das Center for Reproductive Rights, schickte eine Stellungnahme an den Deutschen Bundestag: Der §219a StGB verstoße gegen internationale Menschenrechtsnormen. In fast allen europäischen Ländern sei es erlaubt, medizinisch korrekte Informationen über sichere und legale Schwangerschaftsabbrüche öffentlich zu verbreiten. Zu den wenigen Ausnahmen zählt Deutschland. Für die Organisation untragbar. Sie warnte vor den Gefahren, die vom Gesetz ausgehen: Es führe zur Diskriminierung von Frauen. Und die Abschreckungswirkung könne „medizinische Fachkräfte davon abhalten, sich für Schwangerschaftsabbrüche und die damit verbundene Gesundheitsversorgung beruflich zu qualifizieren oder sich darüber zu informieren“.

Auch Kristina Hänel, die Gießener Ärztin, die den Stein ins Rollen gebracht hatte, zeigt sich entsetzt: „Bei genauerem Hinsehen erweist sich der als Kompromiss ausgegebene Vorschlag als Nullnummer. Aus politischem Machtkalkül“ würden Frauenrechte verraten und Medizinerinnen weiterhin kriminalisiert. „Informationsrechte sind Menschheitsrechte. Das gilt auch für Frauen“, sagt Kristina Hänel in einer Erklärung.

Wichtig zu wissen:

Im Deutschen Bundestag sprachen sich die Fraktionen der Freien Demokraten, Linken und Grünen für eine Streichung von §219a StGB aus. Die große Koalition hat nach monatelangem heftigem Streit minimale Änderungen beschlossen. Die AfD setzte sich massiv selbst gegen die minimalen Änderung ein.

In der Fraktion der Freien Demokraten prüft man eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae erklärt in einem Interview mit der taz, warum: „Die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erhalten geradezu den gesetzlichen Auftrag, sachliche Information für ungewollt schwangere Frauen und Mädchen zu veröffentlichen – und die gleiche Information auf der Webseite eines Arztes soll strafbares Unrecht sein?“ Dieses Missverhältnis halte man für so „grotesk, dass sich die Frage stellt, ob das nicht auch verfassungsrechtlich bedenklich ist.“

Was hat die Diskussion eigentlich verändert?

Leider nicht viel. Es wird für betroffene Frauen etwas einfacher, an Informationen zum Thema Abtreibung zu kommen. Aber eine große Veränderung wird es dadurch nicht geben. Immerhin hat die Diskussion wieder mehr in den Fokus gerückt, dass „Mein Bauch gehört mir“ auch 2019  nicht selbstverständlich ist.

Man muss es sich noch einmal vor Augen führen: In den 70er-Jahren setzten sich Frauen für mehr Selbstbestimmung ein und erreichten eine straffreie Möglichkeit zur Abtreibung – wenn sie unter gewissen Voraussetzungen besonders nach Beratung durchgeführt wird. Das Gesetz war ein Meilenstein für Frauenrechte. Dieser grundsätzliche Kompromiss darf nicht aufgeschnürt werden. Noch heute sind Ärzte, die Antreibungen durchführen und darüber informieren, von Strafe bedroht und müssen sich mit Demonstrationen radikaler Abtreibungsgegner auseinandersetzen. Auch deshalb führen immer weniger Ärzte und Krankenhäuser überhaupt noch Abtreibungen durch. Die Diskussionen um §219a StGB zeigen: Der damalige gesellschaftlich befriedende Konsens ist gefährdet. Gerade jetzt braucht es Frauen, die sich politisch für ihre Rechte engagieren.