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Georgien: Trittbrettfahrer der „samtenen Revolutionäre“?

Georgien: Trittbrettfahrer der „samtenen Revolutionäre“?

Die Polizei steht mehreren tausend Demonstranten gegenüber

© FNF

Am Wochenende kam es nach Aktionen von Sicherheitskräften in zwei Techno-Clubs in Tbilissi, zu Protestdemonstrationen von mehreren Tausend jungen Georgiern im Zentrum der Hauptstadt. Brutal waren die Spezialkräfte gegen Club-Besucher bei einer Drogenrazzia vorgegangen. Die Clubs wurden daraufhin geschlossen. Einer der betroffenen Clubs ist das Bassiani, das in der Techno-Szene oft mit dem legendären Berghain in Berlin verglichen wird. Am Sonntag gab es Gegendemonstrationen rechter Gruppierungen. Die Situation drohte in der Nacht zum Montag zu eskalieren. Über die Geschehnisse in der georgischen Hauptstadt sprach freiheit.org mit dem Projektleiter der Stiftung für die Freiheit im Südkaukasus, Peter-Andreas Bochmann.

Sie waren erst vor wenigen Tagen in Armenien, nun flammen Protestaktionen im Nachbarland Georgien auf, gibt es Parallelen?

Möglicherweise fühlen sich einige der Protestierenden von den jüngsten Ereignissen in Armenien inspiriert - aber die Ursachen in Georgien sind ganz andere. Die Menschen protestieren gegen die brutale Vorgehensweise der Polizei bei Razzien, für die Freigabe leichter Drogen und fordern, dass die Clubs wieder öffnen dürfen. Deshalb waren es auch vor allem Jugendliche – aber immerhin einige Tausend - die am Samstag vor dem alten Parlamentsgebäude in Tbilissi zu Protestaktionen zusammenkamen und auf dem Rustaveli-Prospekt zu Rave-Musik tanzten. Zwischenzeitlich drohte die Situation zu eskalieren, weil es zu Gegendemonstrationen aus dem rechten, nationalistischen Lager kam.

Wie konnte die Situation entschärft werden?

Durch das direkte Engagement des Premierministers und des Innenministers, die am Sonntag mit den Demonstranten verhandelten und Aufklärung gelobten. Im Anschluss  entschuldigte sich der Innenminister für den unverhältnismäßigen Polizeieinsatz. Er stellte in Aussicht, dass die Clubs wieder geöffnet werden könnten und versprach, dass das seit längerer Zeit immer wieder vertagte Thema der Entkriminalisierung von leichten Drogen in dieser Woche im Parlament auf die Agenda gesetzt werde. Nach Mitternacht meldete sich auch das Patriarchat der einflussreichen georgischen Orthodoxie (der man noch immer einen erheblichen Einfluss auf die Gesellschaft nicht absprechen kann) zu Wort und bot sich als Vermittler an, obwohl es auch Skepsis im Hinblick auf die liberalen Forderungen bezüglich der Entkriminalisierung von leichten Drogen äußerte und außerdem die Initiatoren bezichtigte, für den Aufruhr verantwortlich zu sein. Die Nacht zum Montag blieb ruhig in Tbilissi. Die Organisatoren kündigten aber weitere Demonstrationen an.

Wer sind die Demonstrationsteilnehmer, welche Gruppierungen und Richtungen waren auf der Kundgebung vertreten?

Jugendliche und zahlreiche Oppositionspolitiker – auch von unseren Partnerparteien Freie Demokraten und Republikanische Partei – nahmen an der Aktion vor dem Parlament teil. Die Initiatoren wollten jedoch keine Bekundungen von Politikern. Auch wenn die Demonstrationen spontan „nur“ durch einen Polizeieinsatz und Club-Schließungen entstanden sind, zeigen sie doch einen Riss in Teilen der georgischen Gesellschaft: So genannte traditionelle georgische Werte vs. moderne, westlich orientierte Einstellungen und Lebensvorstellungen.

Insgesamt protestierten eine bunte Mischung aus NGOs, Studenten, Menschenrechtsaktivisten, Umweltschützern und Oppositionspolitikern mit einer zumeist pro-westlichen Ausrichtung. Die Redner stellten die unterschiedlichsten Forderungen auf: Vom Systemwechsel bis hin zu sozialpolitischen Forderungen.

Welches sind die Szenarien für die nächsten Tage und Wochen?

Der Innenminister versprach die Entkriminalisierung leichter Drogen zu beschleunigen und die Clubs wieder zu öffnen. Damit wären zwei Hauptforderungen der Demonstranten erfüllt. Doch mag das nur der Auftakt für weitergehende Forderungen sein. Immerhin hatte in Armenien auch keiner erwartet, dass ein Protestmarsch von nicht einmal einhundert Menschen Anfang April durchs Land zu einer neuen Regierung im Mai führen wird.