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Regierungskrise in Kenia
Wohin steuert Präsident Ruto das Land?

Die Protestbewegung der Generation Z

Die Protestbewegung der Generation Z.

© picture alliance / Sipa USA | SOPA Images

Es sollte ein Befreiungsschlag werden. Am Donnerstag vergangener Woche veröffentlichte Kenias Präsident William Ruto eine Presseerklärung. Auf drei Seiten gab es Lob für die eigene Regierungsarbeit – auf Seite vier folgte die eigentliche Botschaft: Alle Minister und der Generalstaatsanwalt sind mit sofortiger Wirkung aus ihren Ämtern entlassen. Einzige Ausnahme: Der Premierminister, der in Personalunion auch das Außenministerium führt. Ab sofort werde er Gespräche führen, um die Regierung auf eine breitere Basis zu stellen, kündigte Ruto in der Erklärung weiter an.

Eine Regierung der nationalen Einheit als letzter Ausweg, der Kenia – lange der Stabilitätsanker in Ost-Afrika - vor einer Staatskrise bewahrt? Das dürfte gar nicht einfach werden.

Erneut Massendemonstrationen der Generation Z

Die Protestbewegung der Generation Z, die im Juni mit ihren Demonstrationen gegen ein Bündel von Steuererhöhungen die aktuelle Krise ausgelöst hatte, rief jedenfalls umgehend zu neuen Aktionen auf. Schon am Dienstag gingen die jungen Demonstranten wieder auf die Straße. Nur ein großes Polizeiaufgebot hat größere Proteste in der Hauptstadt Nairobi verhindert. „Rage and Courage“ (Wut und Mut) hieß dieses Mal das Motto der Demonstranten, und die Kampagne in den sozialen Medien läuft unter den Hashtags #RutoMustGo und #Totalshutdown.

Inzwischen richtet sich ihr Unmut gegen die korrupte Politik generell und gegen die Gewalt, mit der die Polizei versucht, die Proteste zu unterdrücken. Mindestens 39 Demonstranten wurden in den vergangen zwei Wochen erschossen. Hinzu kommen 13 verstümmelte Leichen, die am Wochenende im Ostteil Nairobis entdeckt worden waren. Dabei hatte Präsident Ruto versprochen, das außergerichtliche Töten in Kenia zu beenden.

Beflügelt wird die Generation Z von ihrem eigenen Erfolg. Zwei Tage nach der großen Demonstration im Juni, bei der das Parlament in Nairobi kurzzeitig besetzt wurde, hatte Präsident Ruto das Steuergesetz zurückgezogen, jetzt fast alle Minister entlassen und den Polizeichef zum Rücktritt gezwungen.

Radikale Forderungen

Dieses Nachgeben hat die Stimmung nicht entschärft, sondern im Gegenteil zu immer radikaleren Forderungen geführt: Rücktritt des Präsidenten, Verhaftung der Polizisten, die die tödlichen Schüsse auf Demonstranten abgegeben haben, Freilassung der inhaftieren Demonstranten und Rückzahlung des Geldes, das die korrupte Regierung seit der Wahl 2022 dem kenianischen Volk gestohlen habe. Auch Forderungen nach der Auflösung des Parlaments und Neuwahlen werden in den sozialen Medien immer lauter.

In dieser Situation ist die Aufstellung eines neuen Kabinetts, eventuell unter Einbeziehung der Opposition, alles andere als leicht. Zumal die Azimio-Koalition um Oppositionsführer Raila Odinga angesichts der jüngsten Proteste selbst gespalten ist. Der von vielen liebevoll Baba (Vater) genannte Odinga war über Jahrzehnte der Gegenspieler der Präsidenten, aber auch deren Hauptansprechpartner, wenn es galt Kompromisse auszuhandeln. Vor rund einem Jahr hat er die letzte große Protestwelle nach einem Deal mit Präsident Ruto beendet. Im Gegenzug unterstützt Ruto Odingas Kandidatur für den Kommissionsvorsitz bei der Afrikanischen Union.

Jetzt, so hört man, will der fast achtzigjährige Odinga vor allem seinen eigenen Einfluss sichern und die derzeitige politische Klasse davor bewahren, von der Gen Z von der Macht verjagt zu werden. Damit stößt er innerhalb seiner Partei ODM auf heftigen Widerstand. Viele jüngere ODM-Führer bauen darauf, dass die „Revolution“ vollendet wird – und nicht aufgehalten. So drängten der einflussreiche Generalsekretär der Partei und Senator von Nairobi, Edwin Sifuna, und weitere Senatoren ihren Parteichef Odinga, das Angebot des Präsidenten zu einem nationalen Dialog auszuschlagen.

Präsident kämpft um sein Amt

Die Zukunft des Landes ist damit völlig offen. Ohne die geplanten Steuererhöhungen klaffen gewaltige Löcher im Staatshaushalt, die die Regierung nur mit Ausgabenkürzungen stopfen kann. Das wird Anlass für weitere Unzufriedenheit geben.

Noch kämpft der Präsident um sein Amt. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob er ein neues Kabinett zusammenbringt. Wenn nicht, steht das Land ohne Regierung da. Vorzeitige Neuwahlen wären der einzige Ausweg. Doch es gibt nicht einmal eine funktionstüchtige Wahlkommission.

Bei den westlichen Partnern wachsen daher die Sorgen um die Stabilität des Landes und auch um seine traditionelle Bindung an die USA und Europa. Immer deutlicher hört man bei den Protesten die Kritik am Internationalen Währungsfonds (IMF) und den strengen Auflagen, mit denen er das hoch verschuldete Kenia zur Steigerung seiner Staatseinnahmen drängt. Neben der Korruption sehen viele darin die Ursache für die Steuererhöhungen. So sind auch die Partner und Geldgeber aus dem Westen gefragt. Wenn sie Kenia als Stabilitätsanker in Ostafrika bewahren wollen, müssen sie kurzfristig Präsident Ruto unterstützen eine neue stabile Regierungsmannschaft aufzustellen und mittelfristig einen Weg finden, die Schuldenlast des Landes zu reduzieren, ohne seine Menschen zu überfordern.

Dieser Artikel erschien erstmals am 18. Juli 2024 im Tagesspiegel.