Infrastruktur
Infrastruktur-Update für das Grundgesetz
Am 27. Oktober 1994 wurde der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen – und damit auch der Umwelt- und Klimaschutz – als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen. Mit dieser Erweiterung wurde der Umwelt- und Klimaschutz zu einer echten Pflichtaufgabe für alle staatlichen Organe. Was heute nicht mehr wegzudenken ist, war damals heftig umstritten. Der Aufnahme ins Grundgesetz gingen jahrelange Auseinandersetzungen voraus.
Um es klar zu sagen: Die Anpassung des Grundgesetzes wurde damals völlig zurecht vorgenommen. Doch zur Wahrheit gehört, dass der Infrastrukturausbau bei der Abwägung von Interessen meist das Nachsehen gegenüber dem Umwelt- und Klimaschutz hat. Diese strukturelle Benachteiligung des Infrastrukturausbaus geht zu weit. Wir wollen auch in Zukunft mobil sein und brauchen eine Infrastruktur, die dem Anspruch Deutschlands als wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort gerecht wird. Gerade in der aktuellen wirtschaftlich schwierigen Situation ist Deutschland als führende Exportnation auf eine bestmögliche Infrastruktur angewiesen.
Die Qualität der deutschen Verkehrsinfrastruktur hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschlechtert. Einst war Deutschland ein Land, das um seine Straßen, Schienen und Brücken international beneidet wurde. Heute sehen laut einer Studie des IW Köln 80 Prozent aller Unternehmen ihre Geschäftsabläufe durch die marode Infrastruktur beeinträchtigt. Die bestehenden Infrastrukturmängel behindern also nicht nur den Verkehrsfluss, sie mindern auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und schaden dem internationalen Renommee der Bundesrepublik Deutschland.
Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der Staat seine ambitionierten Klimaschutzziele erreicht und gleichzeitig bestmögliche und saubere Mobilität ermöglicht. Eine bewusste Einschränkung unserer Mobilität und damit unserer Wirtschaftskraft ist keine gangbare Alternative. Ganz im Gegenteil: Das eine geht nicht ohne das andere. Wo sollen die sauberen Verkehrsmittel der Zukunft denn fahren, wenn nicht auf modernen Straßen? Und wie sollen wir die notwendigen Ressourcen für klimafreundliche Zukunftstechnologien aufbringen, wenn Deutschland als Wirtschaftsstandort immer mehr an Bedeutung verliert?
Es geht beim Thema Infrastrukturausbau nicht allein um die Frage, ob man für oder gegen das Auto ist. Diese Abwägung ist von individuellen Präferenzen, vom Familienstand und oftmals auch vom Wohnort geprägt. Es geht um mehr. Denn ganz zentral geht es dabei um die Frage, wie wir Deutschland in einer zukünftigen Welt sehen wollen: Als Land, in dem Umwelt- und Klimaschutz sowie eine starke Wirtschaftsentwicklung gleichermaßen von Bedeutung ist, oder als Land, in dem wir dem kurzfristigen (oder kurzsichtigen) Umwelt- und Klimaschutz alles unterordnen – ohne Rücksicht auf Verluste? Ich wünsche mir ohne jeden Zweifel die zweite Option, denn nur sie ist nachhaltig und vermag es, die ganze Gesellschaft für den Klimaschutz zu aktivieren.
In einem Gutachten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit sehen Dr. Michael Sitsen und Dr. Kerstin Bogusch von der Rechtsanwaltskanzlei Orth Kluth eine eindeutige Möglichkeit, den Klima- und Umweltschutz mit dem Infrastrukturausbau zu vereinen. Hierzu braucht es ein weiteres Update für unser Grundgesetz: ein Staatsziel Infrastruktur.
Eine solche Änderung des Grundgesetzes würde dem Infrastrukturausbau neue Priorität verleihen. Die Bereitstellung finanzieller Mittel allein reicht nicht aus. Die Umsetzung termingerecht einzuhalten und Projekte insgesamt zu beschleunigen, anstatt sie zu Dauerbaustellen zu machen, ist die viel komplexere Aufgabe. Ein Staatsziel Infrastruktur kann – zusammen mit den flankierenden Möglichkeiten zur Gesetzgebung – ein echter Katalysator zur Beschleunigung von Infrastrukturprojekten sein. In Zukunft käme es dann nicht mehr nur auf den guten Willen des Gesetzgebers, der Verwaltung und der Rechtsprechung an. Alle drei Staatsgewalten befänden sich vielmehr in einer unweigerlichen Pflichtstellung, für die Bereitstellung einer zeitgemäßen Infrastruktur zu sorgen.
Mit einem Staatsziel Infrastruktur würde der Staat ein Angebot an die ganze Gesellschaft machen und endlich Planungssicherheit schaffen. Diese Planungssicherheit braucht es, um den Weg für die sauberen Verkehrsmittel der Zukunft zu ebnen, die Klimaschutzziele zu erreichen und die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands zu stärken.