Journalisten unter Druck
Mit Bezug auf die Gesetzgebung deckt Bulgarien die wesentlichen Grundzüge für den Schutz der Meinungsfreiheit ab. Das Land hat die relevanten internationalen Gesetze in diesem Bereich ratifiziert, während die freie Meinungsäußerung und die zulässigen Grenzen in der Verfassung, im Strafgesetzbuch und im Rundfunkrecht festgelegt sind. In Bulgarien unterliegen Druck- und Onlinemedien keiner spezifischen Regulierung. Mit Blick auf die Sicherheit und den Schutz von Journalisten besteht in Bulgarien nach den Ergebnissen des Monitors für Medienpluralismus 2016 des Zentrums für Medienpluralismus und Medienfreiheit jedoch ein erhöhtes Risiko.
Wie ist es aktuell um die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen gegen Journalisten im Land bestellt?
Das Land wendet keine spezifischen Rechtsvorschriften im Bereich des Schutzes der journalistischen Tätigkeit an. Obgleich dies dem Parlament von der Union der bulgarischen Journalisten im Jahr 2017 vorgeschlagen worden ist, hat es hierzu noch keine breitere öffentliche Debatte gegeben. Nach Informationen der Assoziation der Europäischen Journalisten (AEJ) haben die staatlichen Behörden noch keine konkreten Maßnahmen ergriffen, um das Bewusstsein der Strafverfolgungsbeamten, der Journalisten und der Zivilgesellschaft für die internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts sowie die Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Sicherheit von Journalisten zu erhöhen. Das Monitoring und die Berichterstattung über Angriffe auf Journalisten werden vorwiegend von lokalen und internationalen NGOs und Regierungsorganisationen durchgeführt – dazu gehören das bulgarische Helsinki Komitee, die Vereinigung europäischer Journalisten, Reporter ohne Grenzen, das US-Außenministerium und der Europarat. Die genannten Organisationen verurteilen Angriffe auf Journalisten öffentlich. Obwohl die Mehrzahl von Verbrechen gegen Journalisten und Medienanstalten streng verfolgt wird, wurden in einigen Fällen Untersuchung und Verfolgung als unzureichend beschrieben.
Hat sich die Lage in den vergangenen Jahren verbessert oder verschlechtert?
Anders als in anderen Ländern der Balkanregion sind Morde und vorsätzliche Inhaftierungen in Bulgarien in den letzten Jahren nicht registriert worden. Gewalttätige Angriffe auf Journalisten sind glücklicherweise selten. Dennoch zeigt der Mediennachhaltigkeitsindex 2017 von IREX, dass in den letzten Jahren gewalttätige Angriffe und Drohungen gegen Journalisten zugenommen haben. 2016 wurde der Journalist Stoyan Tonchev in seiner Heimatstadt Pomorie mit einem Baseballschläger brutal angegriffen. Im Juli 2017 wurde der TV-Moderator des öffentlich-rechtlichen Senders BNT, Ivo Nikodimov, in einem Park im Zentrum von Sofia zusammengeschlagen. Während die Angreifer von Tonchev später verhaftet wurden, bleibt Nikodomovs Fall weiterhin ungelöst. Brandstiftungen gegen Autos von Journalisten sind eine immer wieder zu beobachtende Methode der Einschüchterung. 2013 und 2015 wurde das Auto der prominenten investigativen Reporterin Genka Shikerova in Brand gesetzt, 2017 auch das der investigativen Reporterin Zornitsa Akmanova aus der TV-Sendung „Lords of the Air“.
Physische Angriffe sind jedoch nicht das bevorzugte Mittel, um Journalisten in Bulgarien zum Schweigen zu bringen. Laut einer Umfrage von AEJ unter 200 bulgarischen Journalisten ist der politische Druck heute die häufigste Form der Einschüchterung gegen Medienschaffende in Bulgarien – dicht gefolgt von Druck durch Wirtschaftsakteure wie Werbetreibenden oder mächtige Unternehmen. Eine erschreckende Zahl von 92 Prozent der Befragten gab an, dass es ein verbreitetes Phänomen im öffentlichen Leben Bulgariens ist, Journalisten unter Druck zu setzen.
Inwieweit wirkt sich die Straflosigkeit auf die Meinungs- und Pressefreiheit im Land aus?
Die oben genannten Probleme haben zu einer weitverbreiteten Kultur der Selbstzensur in Bulgarien geführt. In der von AEJ durchgeführten Umfrage haben mehr als 26 Prozent der Befragten angegeben, dass sie sich selbst zensieren. Diese Art der Zensur ist auch Resultat etablierter Praktiken in den Redaktionsräumen, da kritische Berichte über einflussreiche Personen von den Eigentümern und Chefredakteuren oft unterbunden werden. Zuwiederhandlungen haben aufgrund der großen Konzentration der Medien drastische Konsequenzen: Es ist schwierig, eine neue Anstellung im bulgarischen Medienmarkt zu finden. Die New Bulgarian Media Group etwa hält nicht nur sechs Zeitungen, sondern kontrolliert auch fast 80 Prozent der Verbreitungswege von Printmedien. Journalisten geben verbittert an, dass sie sich in solchen Fällen ungeschützt fühlen und es daher bevorzugen sich selbst zum Schweigen zu bringen. Entsprechend schlecht schnitt Bulgarien in der Rangliste der weltweiten Medienfreiheit ab. Das Land belegt im „Global Press Freedom Ranking“ der Reporter ohne Grenzen nur Rang 109 von 180 und ist damit Schlusslicht der EU in Sachen Medienfreiheit.
Wird die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten in der öffentlichen Debatte thematisiert? Gibt es konkrete Fälle, die in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind?
Verbrechen gegen Journalisten sind in Bulgarien glücklicherweise nicht häufig zu verzeichnen. Kommt es dennoch dazu, ist es stets ein Thema öffentlicher Debatten und Verurteilungen. Aufgrund der weitverbreiteten Korruption und der langsamen und ineffektiven Justiz ist das allgemeine Gefühl der Straflosigkeit unter der bulgarischen Gesellschaft weit verbreitet. Das spiegelt sich auch in dem niedrigen Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen wider.
Kürzlich haben einige Fälle aggressiver Rhetorik mancher Politiker gegen Journalisten öffentliche Empörung und entsprechende Reaktionen der Mediengemeinschaft ausgelöst. Am 11. Oktober 2017 protestierten hunderte bulgarische Journalisten gegen die Drohungen von Valeri Simeonov, stellvertretender Ministerpräsident der Nationalen Koalition der vereinigten Patrioten, an Victor Nikolaev, einem bekannten TV Moderator von NOVA TV, einem der wichtigsten Privatsender des Landes. Unbequeme Fragen seitens des Journalisten waren für Simeonov schon Grund genug, ihm live mit dem Verlust des Arbeitsplatzes zu drohen.
Die darauffolgenden Ankündigungen Simeonovs, gegen die wichtigsten privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Bulgariens zu klagen, da sie einen Fall völlig falsch interpretiert hätten, lösten eine Reaktion der Europäischen Rundfunkunion aus, welche sich hinter die bulgarischen Journalisten stellte.
Welche Organisationen setzen sich im Land gegen die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten ein? Inwieweit unterstützt die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit diese Bemühungen?
Unter den aktivsten Organisationen in Bulgarien, die die Unabhängigkeit von Journalisten verteidigen, gehören die bulgarische Sektion der Vereinigung Europäischer Journalisten und das Programm „Access to Information“. Die größte Journalistenorganisation in Bulgarien, die Union der Bulgarischen Journalisten, hat ebenfalls die sich verschlechternde Situation für bulgarische Journalisten verurteilt und erst kürzlich ein Gesetz zum Schutz des Journalistenberufs vorgeschlagen. Dennoch wird sie teilweise für eine zu inaktive Rolle bei der Verteidigung von Medienschaffenden in Bulgarien kritisiert.
Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und die Vereinigung der Europäischen Journalisten haben im Laufe der Jahre eine nachhaltige Partnerschaft aufgebaut. Dabei unterstützt die Stiftung aktiv Schulungen, Diskussionen und Konferenzen, um die Kompetenzen bulgarischer Journalisten und der Medienlandschaft als Ganzes zu verbessern. Die beiden Organisationen veranstalten zusammen mit anderen NGOs am 9. November eine Konferenz über den Kampf der EU gegen Desinformation und Fake News. In den darauffolgenden Tagen finden auch zwei praktische Schulungen für Journalisten statt. Darüber hinaus veröffentlicht die Stiftung jährlich ein Schwarzbuch der Steuerverschwendungen, das die Korruption und den schlechten Umgang mit öffentlichen Geldern in Bulgarien aufdeckt. Die Zuarbeit hierfür übernimmt ein Team von nationalen und lokalen investigativen Journalisten, welche eine Plattform für die Verbreitung ihrer Rechercheergebnisse unabhängig vom zentralisierten Medienmarkt erhalten.
Maria Cheresheva arbeitet als Project Manager bei der Association of European Journalists-Bulgaria (AEJ).
Daniel Kaddik ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Südosteuropa.