Zum 50. Todestag
Karl Hamann – Ringen um die liberale Existenz
Als in den Junitagen 1953 fast eine Million Menschen in der DDR protestierten und die Ablösung der SED-Herrschaft forderten, befand sich Karl Hamann bereits seit einem halben Jahr in DDR-Haft. Die im Volksaufstand erhobenen Forderungen hätte Hamann mit Sicherheit mit großen Hoffnungen begrüßt und als Bestätigung seiner Haltung empfunden: freie Wahlen und Wiedervereinigung, das Ende von Willkür und sozialistischer Planwirtschaft. Auf dem Eisenacher Parteitag der Liberaldemokraten 1949 zum Parteivorsitzenden gewählt, war er der letzte LDPD-Spitzenpolitiker, der nicht von den Sowjets „eingesetzt“ worden war, sondern das Amt ausübte, weil er großes Vertrauen bei den Mitgliedern besaß.
Der 1903 geborene Karl Hamann, promovierter Landwirt mit einem Bauernhof im thüringischen Hildburghausen, war 1946 den Liberaldemokraten beigetreten. In einem rasanten politischen Aufstieg vertrat er alsbald auf Kreisebene und schließlich auch im Landtag Thüringens die Interessen der selbständigen Gewerbetreibenden, Bauern und Handwerker. Mit großer Leidenschaft versuchte er unter den sich zunehmend verschlechternden Bedingungen sowjetischer Besatzungsherrschaft der Spaltung des Landes entgegenzuwirken und liberale Grundsätze zu verteidigen. Nach dem Tod von Wilhelm Külz 1948 wurde er – zunächst kommissarisch – Parteivorsitzender und arbeitete ein Jahr später am Eisenacher Programm mit, einem Programm, das sich noch auf Grund- und Freiheitsrechte berief.
Nach 1949 vermochte Hamann, der nun auch Minister für Handel und Versorgung in der ersten Regierung wurde, die allmähliche Gleichschaltung der Partei allerdings nicht mehr zu verhindern; die LDPD wurde Blockpartei. Die „Fortexistenz der Partei“ war für Hamann das oberste Gebot gewesen – immer in der expliziten, am Ende aber vergeblichen Hoffnung, die Einheit Deutschlands und freie Wahlen würden die Macht der SED brechen. Für diese Ziele trat er unermüdlich ein, reiste in die Bundesrepublik, um die abgebrochenen Kontakte zu den Liberalen in der FDP neu zu knüpfen, und traf sich auch mit Politikern anderer Parteien im Westen.
Hamann als Sündenbock
Mit Karl Hamann fiel im Dezember 1952 der ranghöchste LDPD-Politiker den Machenschaften der SED zum Opfer. Auf Geheiß von Walter Ulbricht und der Sowjetischen Militäradministration sollte der ehemalige Minister jetzt als Sündenbock für die desolate Versorgungslage dienen und ihm der Schauprozess gemacht werden, an dessen Ende häufig die Todesstrafe stand. Noch wichtigeres Motiv der SED-Führung für die Inhaftierung war aber wohl, den letzten noch eigenständigen und bei der Parteibasis einflussreichen Politiker zu beseitigen.
Die vier Jahre, die Hamann nach seiner Verhaftung erleiden musste, zeigen, mit welch brutaler Gewalt und Kompromisslosigkeit die SED ihre Herrschaft durchsetzen und bewahren wollte. Zunächst wurde Hamann wegen angeblicher „Sabotage“ Anfang Dezember 1952 aller Ämter enthoben. Anders als erwartet, gab er sich in einer Sitzung der Führer aller „Blockparteien“ drei Tage später aber keineswegs reumütig und selbstkritisch, sondern kritisierte die Lage in der DDR, wies auf die Systemmängel der Planwirtschaft hin und auf den im Mai von der SED beschlossenen verschärften „Aufbau des Sozialismus“. Handwerker und Selbständige verlören dadurch ihre Existenz, Betriebe würden verstaatlicht und Bauern in die Kollektivierung gezwungen. Viele Missstände seien überdies auf die bevorzugte Versorgung des Militärs – der kasernierten Volkspolizei als Vorläufer der Nationalen Volksarmee – zurückzuführen.
Lebenslange Haft
Hamann blieb mit seiner Verteidigung jedoch allein, denn seine anwesenden Parteifreunde, darunter der Mitvorsitzende Hans Loch sowie Johannes Dieckmann und Manfred Gerlach, unterstützten die Angriffe der SED. Tags darauf setzte der Führungszirkel der LDPD Hamann dann auch noch als Parteivorsitzenden ab, ein einmaliger und unrechtmäßiger Vorgang in der liberalen Geschichte.
Aufgrund der kritischen Lage nach dem 17. Juni 1953 verzichtete die SED-Spitze dann auf ein öffentliches Schauspiel und ließ Hamann in einem Geheimprozess zu lebenslanger Haft verurteilen. Zuvor war er psychisch und physisch im Gefängnis Hohenschönhausen gefoltert worden: über 100 Vernehmungen, die längsten davon über 50 Stunden, Schlafentzug, Bespitzelung und mehr. War erst von „Sabotage“ die Rede, wurde er bald beschuldigt, „Volksschädling“ und „Spion“ zu sein.
Im Zuge des „Tauwetters“ 1956, als die SED mit Hilfe der inzwischen weitgehend gleichgeschalteten LDPD auf Gespräche mit den westdeutschen Liberalen setzte, kam Hamann, auch dank einer Intervention der FDP-Führung unter Thomas Dehler, wieder frei. Noch in der DDR bemühte er sich um seine Rehabilitation, was aber vergeblich blieb. 1957 gelang ihm die Flucht in die Bundesrepublik.
Das Vorgehen des DDR-Regimes, Repressionsmaßnahmen sogar gegen eine Blockpartei, erregten großes Aufsehen und zerstörten die Hoffnungen vieler LDPD-Mitglieder auf Besserung der Lage. Hamanns Verhaftung markierte das endgültige Ende einer eigenständigen liberalen Partei in der DDR – bis zur Wiederbelebung liberaler Ideale Ende der 1980er Jahre. Hamann erlebte diesen neuen „Frühling“ nicht mehr, ebenso wenig wie seine Rehabilitierung im Mai 1990 vom Bund Freier Demokraten und ein Jahr später vom Landgericht Berlin. Vor 50 Jahren, am 16. Juni 1973, verstarb Karl Hamann in München.