Thailand
Lebhafter Wahlkampf in Thailand
Am 24. März sind über 51 Millionen Wahlberechtigte in Thailand aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Damit soll nach fünf Jahren die Militärregierung abgelöst werden. Die Mischung aus neuen Akteuren, einer neuen Wahlgesetzgebung und einer großen Zahl an Erstwählern macht eine seriöse Wahlprognose unmöglich. Allerdings tritt auch der aktuelle Regierungschef, General Prayut Chan-Ocha, nun als Premierministerkandidat an.
Die bevorstehende Parlamentswahl in Thailand ist die erste seit 2011, aus der wieder ein neues Parlament hervorgehen könnte. 2014 hatte eine von Boykott und Sicherheitsproblemen überschattete Wahl stattgefunden, die vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt worden war. Das Militär putschte. Es regiert seitdem mit einem "Nationalen Rat für Frieden und Ordnung" (NCPO), dem General Prayut vorsteht. Sein erklärtes Ziel war es, Stabilität zu schaffen und das Land umfassend zu reformieren. Dafür ließ er eine neue Verfassung, mehr als 400 Gesetze und einen 20-jähigen Entwicklungsplan verabschieden. Folgeregierungen werden an den Plan gebunden sein. Allerdings könnte es auch sein, dass General Prayut selbst weiterregiert: Er ist nun Premierministerkandidat einer neuen, militärnahen Partei.
Laut neuer Verfassung und Sonderregelungen wird Thailands Premierminister nicht mehr allein vom Parlament gewählt. Stattdessen bilden Parlamentarier mit Senatoren eine Versammlung, die den Regierungschef wählt. Die Senatoren werden von der Militärregierung bestimmt. Prayut braucht alle Senatoren und ein gutes Viertel der gewählten Abgeordneten, um Regierungschef zu bleiben.
Offiziell ist das allgemeine Versammlungsrecht in Thailand weiterhin eingeschränkt. Privatpersonen bleibt die Zusammenkunft von mehr als fünf Personen grundsätzlich untersagt. Gleichzeit wurden 2018 durch eine Ausnahmeregelung wieder Parteiregistrierungen und vereinzelte Parteitreffen erlaubt. Zu Wahlkampfveranstaltungen kommen in diesen Wochen Tausende. Es sind die ersten erlaubten politischen Kundgebungen seit dem Putsch 2014. Der Wahlkampf ist lebhaft.
Neue Dynamik im politischen Lagerkampf
Früher waren die Fronten in Thailand klar: es standen sich zwei politische Lager gegenüber - die sogenannten Rot- und die Gelbhemden. Die Rothemden unterstützen den ehemaligen Premierminister Thaksin Shinawatra (2001-2006). Seine Parteien, die ärmere Bevölkerungsschichten ansprechen, gewannen seit 2001 alle Wahlen. Die Gelbhemden stehen dagegen den traditionellen, royalistischen Eliten nahe. Bis zum jüngsten Coup hatten sie in der Demokratischen Partei von Abhisit Vejjajiva ihre politische Heimat. Sein Gegner, Ex-Premier Thaksin - dessen Regierung von Populismus, Korruption und Menschenrechtsverletzungen geprägt war - ist nach wie vor sehr populär. Das Militär empfand ihn als zu unbequem und putschte ab 2006 zwei Mal gegen Shinawatra-Regierungen.
Mit dem Eintritt von General Prayut in die Politik haben sich die Pole verschoben. Es gibt jetzt zwei weitere, neue, ernstzunehmende politische Kräfte: Die neue, militärnahe Phalang Pracharat Partei mit Prayut und, auf der anderen Seite, eine neue Anti-Militär-Partei, die Future Forward Partei, die viele junge Wähler begeistert.
Überblick: Vier politische Kräfte
1. Das Militär-Lager
Außer der Phalang Pracharat Partei, die General Prayut zu ihrem Kandidaten für den Posten des Premierministers gemacht hat, gibt es auf Seiten des Militär-Lagers zudem die Action Coalition of Thailand und die kleine People's Reform Party. Mehrere bekannte Gesichter aus der aktuellen Regierung sind hier aktiv, aber auch frühere Oppositionspolitiker, welche die Seite wechselten. Sie stehen für die Weiterführung der aktuellen Junta-Politik, sprich: Stabilität durch Strenge.
2. Das Shinawatra-Lager
Thaksins größte Partei, die Pheu Thai Partei, ist der stärkste Gegner des Militär-Lagers. Thaksin selbst ist nach Verurteilungen wegen Korruption seit 2006 im Exil. Und auch seine Schwester Yingluck, 2011 bis 2014 Premierministerin, ist kurz vor ihrer Verurteilung ins Exil geflüchtet. Dennoch ist es Thaksin möglich, aufgrund seines Einflusses und seiner Popularität aus dem Exil heraus am politischen Geschehen in Thailand mitzuwirken. Ihm stehen außer der Pheu Thai Partei drei kleinere Parteien (Pheu Chart, Pheu Tham und Prachachart) sowie die mittelgroße Thai Raksa Chart Partei nahe. Die Thai Raksa Chart Partei sollte Stimmen in jenen Provinzen gewinnen, in denen die Pheu Thai Partei nicht so stark ist. Aber am 7. März löste Thailands Verfassungsgericht die Partei auf, weil sie die ältere Schwester des Königs als Premierminister-Kandidatin nominiert hatte. Durch diese Parteiauflösung ist das Thaksin-Lager benachteiligt. Es ist die dritte Auflösung einer Thaksin-Partei seit 2007. Alle Thaksin-Parteien haben ein populistisches Programm.
3. Die Demokratische Partei
Die Demokratische Partei existiert seit 73 Jahren und hat einen konservativ-royalistischen und einen liberalen Flügel. Viele Konservative befürworteten den jüngsten Putsch und wechselten zu militärnahen Parteien. Bei internen Wahlen zur Parteiführung (die übrigens als erste parteiinterne Wahl weltweit mit Hilfe von Blockchain-Technologie durchgeführt worden war) gewann der liberale, langjährige Parteichef Abhisit Vejjajiva knapp vor einem militärnahen Gegenkandidaten, der die Partei ins konservativere Lager zu Prayut gezogen hätte. Abhisit hat es ausgeschlossen, Prayuts Wahl zum Premierminister zu unterstützen. Das Programm der Demokratischen Partei enthält, genau wie das der anderen Parteien, eine Reihe von wirtschaftspolitischen Angeboten an die ärmere Bevölkerung. Die Partei versucht sich unter anderem mit einigen jüngeren Kandidaten jugendlicher und dynamischer aufzustellen als bisher.
4. Die Future Forward Partei
Die Future Forward Partei gilt als die Partei, die das junge, neue Thailand repräsentiert. Sie wurde von Jungunternehmern, Politologen und Rechtswissenschaftlern gegründet. Ihr erklärtes Ziel ist es, den Einfluss des Militärs auf die Politik Thailands zu reduzieren. Die Future Forward Partei wird von dem jungen Unternehmer und Milliardär Thanathorn Juangroongruangkit geführt. Er wirbt mit Transparenz und Partizipation in der Politik, Menschenrechten, Dezentralisierung und dem Ende von Wirtschaftsmonopolen und Kartellen. Damit fordert er die alten Machtstrukturen Thailands heraus, die geprägt sind vom Königshaus, dem Militär, der Bürokratie und einer durch mächtige Familien dominierten Wirtschaft. Bislang hatte sich niemand getraut, diese Eliten so deutlich öffentlich zu kritisieren. Gegen den Parteivorsitzenden und einige seiner Mitstreiter laufen Gerichtsverfahren.
Sehnsucht nach politischer Teilhabe
Insgesamt treten 49 Parteien zur Wahl an. Seit der Verkündung des Wahltermins dominiert Wahlkampf das öffentliche Leben. Es ist zu spüren, dass viele Leute sich danach gesehnt haben, wieder politisch teilzuhaben. Viele rechnen mit einer sehr hohen Wahlbeteiligung. So brach auf Grund der hohen Besucheranzahl die Webseite zur Registrierung zur vorzeitigen Stimmabgabe nach wenigen Stunden zusammen. Die Samthandschuhe, die sich Parteien und Kommentatoren in den vergangenen Jahren vorsichtshalber angezogen hatten, werden jetzt wieder abgestreift. Auch Prayut bekommt das zu spüren. Seine Kritiker wagen allerhand: sie können beispielsweise unter dem von der Junta verabschiedeten „Computer Crime Act“ angeklagt werden. Das brisanteste Beispiel hierfür ist einer der Prozesse gegen drei Spitzenpolitiker der Future Forward Partei. Die Klage bezieht sich auf Behauptungen der Parteiführung während eines Online-Livestreams Mitte 2018: Die Militärregierung versuche, Politiker anderer Parteien als Mitglieder für ihre Phalang-Pracharath Partei zu gewinnen. Laut Staatsanwaltschaft wurden damit Fake News verbreitet, die die Stabilität des Landes gefährden. Am 26. März, zwei Tage nach der Parlamentswahl, soll das Urteil gesprochen werden. Die Future Forward Partei gilt als ernstzunehmender Gegner des Militärlagers, des Thaksin-Lagers und der Demokratischen Partei.
Die Mischung aus neuen Akteuren, einer neuen Wahlgesetzgebung und einer großen Zahl an Erstwählern macht eine seriöse Wahlprognose unmöglich. Dass ein Lager die absolute Mehrheit im Parlament und genügend Stimmen bei der Premierminister-Wahl von Parlament und Senat erhält, ist unwahrscheinlich. Thailands Parteien haben kaum Koalitions-Übung. Falls Prayut mit Hilfe des Senats zum Premierminister gewählt werden sollte, wäre er keinesfalls sorgenfrei. Im Parlament wird seine Partei höchstwahrscheinlich keine Mehrheit haben und somit nicht alleine Gesetze verabschieden können. Auch ein Blick in die Geschichtsbücher verheißt für Prayut in diesem Falle nichts Gutes: Alle Generäle, die in der Vergangenheit erst geputscht und danach Wahlen gewonnen hatten, scheiterten.
Katrin Bannach leitet die Arbeit der Friedrich-Naumann-Stiftung in Myanmar und Thailand.
Pia-Sophie Noack arbeitet als Praktikantin im Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung Thailand.