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Todestag
Liberaler Demokrat und Zeitdiagnostiker

Zum 100. Todestag von Ernst Troeltsch
Ernst Troeltsch

Ernst Troeltsch

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Das Begräbnis für den am 1. Februar 1923 verstorbenen Ernst Troeltsch geriet zum Medien- und Gesellschaftsereignis der krisengeschüttelten Weimarer Demokratie. Hunderte von Nachrufen im In- und Ausland, die Trauerfeier mit zahlreichen Politikern, Intellektuellen und Wissenschaftlern, den Angehörigen der kulturellen Elite, soweit sie sich demokratisch verstand –  kein Zweifel, dass die junge Republik hier einen bedeutenden Gelehrten, Kulturkritiker und Philosophen verloren hatte.

Troeltsch war an den politischen Debatten seiner Zeit prominent beteiligt. Dies galt bereits vor 1914, besonders aber nach 1918, als er zu den wenigen Intellektuellen gehörte, die sich öffentlich für den neuen Staat und seine demokratische Ordnung engagierten. Für ihn war die Weimarer Verfassung – im Unterschied zu vielen Kritikern der Weimarer Demokratie von rechts und links – „sicherlich nicht das letzte Wort, wenn sie auch das erste und bis jetzt vernünftigste ist“. In den Untergangsjahren des Kaiserreichs, der Revolution und Nachkriegszeit wurde Troeltsch zum hellsichtigen und viel gelesenen politischen Kommentator. Zudem gehörte er zu den führenden Kräften des bürgerlichen Linksliberalismus, die auch für eine Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie eintraten – und somit das Modell der „Weimarer Koalition“ vorformten. Kein Zufall, dass 1919 bei der Kandidatenkür für die Wahl zum Reichspräsidenten in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) auch der Name Troeltsch diskutiert wurde.

„Liberaler Demokrat“ und „Verständnispolitiker“ – das war nicht immer so gewesen, denn auch der 1865 in Augsburg geborene Arztsohn Troeltsch entwickelte seine Überzeugungen erst im Laufe der Zeit. Geprägt hatte ihn – ähnlich wie die ihm politisch verbundenen Walther Rathenau und Friedrich Naumann – die Übergangsepoche vom Kaiserreich zur Republik. Ursprünglich noch vom konstitutionellen System überzeugt, wuchsen besonders in den Kriegsjahren seine Zweifel an der Funktionsfähigkeit der monarchischen Ordnung. Troeltschs Werdegang ist nicht untypisch für die Ambivalenz des Kaiserreichs zwischen der Rückständigkeit der politischen Führung einerseits und dem fortschrittlichen Ideenlabor und der exemplarischen Modernität in Wissenschaft und Technik andererseits. Aufgewachsen war Troeltsch noch in einer weitgehend kaisertreuen, bürgerlich-protestantischen Welt, die der Theologe aber zunehmend in Unruhe versetzte.

Typischer „Kulturprotestant“

Troeltsch hatte Theologie und Philosophie studiert, bevor er nach zweijähriger Tätigkeit an der Universität Bonn 1894 nach Heidelberg wechselte, um Systematische Theologie zu lehren. Hier sammelte er auch erste praktische Erfahrungen in der Politik, denn als Vertreter seiner Universität wurde er Abgeordneter in der Ersten Badischen Kammer. Wissenschaftlich gesehen war er ein Grenzgänger zwischen Theologie, Philosophie und Soziologie, sein Denkhorizont ging wesentlich über konventionelle Bahnen hinaus. Die Bühne der kritischen akademischen wie öffentlichen Auseinandersetzung hatte er 1896 mit einem Paukenschlag betreten: „Meine Herren, es wackelt alles!“, rief der gerade zum Professor Berufene den in Eisenach versammelten protestantischen Theologen zu, um anschließend die Rolle von Religion und Ethik neu zu bestimmen. Mit der Ablehnung allen Dogmatismus zielte Troeltsch auf eine Theologie, die vor den wissenschaftlichen Rationalitätsstandards der Moderne bestehen sollte. Als typischer „Kulturprotestant“ bettete er die Religion in historische und gesellschaftliche Bezüge ein und verfolgte wissenschaftlich weit über das Theologische hinausgehende Ansätze, mit denen er stark über sein eigentliches Fach in die historischen und Gesellschaftswissenschaften hinaus ausstrahlte. Ihn bewegte die Frage, wie die sozialen Ordnungsmodelle der Weltreligionen, speziell des Protestantismus, an der Ausprägung einer europäischen Moderne mitgewirkt hatten. Seine Berufung auf einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Berlin 1915 – als Nachfolger von Wilhelm Dilthey – war dementsprechend keine Überraschung.

Mit dem Wechsel nach Berlin gelangte Troeltsch ins Zentrum der politischen und kulturellen Auseinandersetzungen. Er wurde Mitglied in den stark liberal geprägten Netzwerken wie dem „Mittwoch-Klub“ und der „Deutschen Gesellschaft 1914“. In diesen Kreisen wurde offen über die Neuordnung von Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur nach dem Krieg debattiert; auch Troeltsch trug hier vor und verteidigte sein Konzept der „deutschen Idee von der Freiheit“. Mit dem fortdauernden Kriegsgeschehen wuchsen seine Vorbehalte gegenüber der militärischen Führung und der alten Ordnung des Kaiserreichs: „Noch wird manches Schwere bevorstehen“, fürchtete er bei Kriegsende 1918, aber „allein das Morden ist zu Ende, die Illusion zerstoben, das alte System ist unter seinen Sünden zusammengebrochen“.

Stabilisierung der neuen Demokratie

In den Vordergrund rückte nun die Stabilisierung der neuen Demokratie. Zusammen mit Walther Rathenau plante Troeltsch die Gründung eines „Demokratischen Volksbundes“. Das sehr kurzlebige – und durch die Gründung der DDP überholte – Projekt bestand in der Sammlung aller bürgerlichen Reformkräfte unter Einschluss der Mehrheitssozialdemokraten, entgegenwirken sollte dies auch den politischen Extremen von links und rechts. Ende 1918 schloss sich Troeltsch dann der DDP an und errang bei den Wahlen zur verfassunggebenden preußischen Landesversammlung im Januar 1919 als deren Berliner Spitzenkandidat („Liste Dr. Troeltsch“) ein Mandat. Dieses behielt er zwei Jahre; zugleich wurde er zum (Unter-)Staatssekretär im preußischen Kultusministerium berufen, mit der Zuständigkeit auch für die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche. In dieser Funktion, die einem modernen Parlamentarischen Staatssekretär entsprach, hatte er großen Anteil an der demokratischen Neuausrichtung des Bildungs- und Kirchenwesens im größten Einzelstaat der Weimarer Republik.  

Troeltsch gehörte zu den wenigen Intellektuellen, die sich vorbehaltlos hinter die neue Demokratie stellten. Auch wenn er sich nach 1921 wieder mehr auf seine Lehr- und Forschungstätigkeit konzentrierte, kommentierte er die politische und geistige Lage unverändert scharfsichtig. Dabei schienen ihm die Defizite der politischen Entwicklung grundsätzlicher Art: „Noch streben wir nach einem sozialen und politischen Neubau der Völkerwelt und im Zusammenhang damit nach einer neuen Konzentration und Vertiefung ihrer Ideenwelt.“ Die Ermordung von Walther Rathenau 1922 bestärkte seine Sorge um den inneren Zusammenhalt und die friedliche Krisenbewältigung: „Immer waren es die von rechts“, begann er an der Universität seine erste Vorlesung nach dem Attentat, „immer wieder waren es die Feinde des neuen Staats“.

Seine politischen Zeitkommentare – die sogenannten „Spectator-Briefe“ – wurden nach Troeltschs Tod von seinem Berliner Kollegen Friedrich Meinecke gesammelt; sie vermitteln heute ein nachdrückliches Bild der zeitgenössischen liberalen Sicht auf die Anfänge der Weimarer Republik, ihre Krisen und Gefährdungen.