Freiheitspreis
„Mut machen zur Veränderung"
Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren,
ganz herzlich darf ich Sie heute zu der Verleihung des Freiheitspreises 2018 in der Frankfurter Paulskirche begrüßen. Als Vertreter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die diesen Preis alle zwei Jahre vergibt, ist es mir eine Ehre und Freude an diesem historischen Ort zu stehen – ein Ort, der wie kein zweiter in Deutschland für den Liberalismus von überragender historischer Bedeutung ist. Ich begrüße im Namen des Stiftungsvorstands, aus dem meine liebe Kollegenin Bettina Stark-Watzinger anwesend ist. Und ich begrüße im Namen des höchsten Stiftungsgremiums, des Kuratoriums, dessen Vorsitzender Professor Jürgen Morlok gleichfalls anwesend ist.
Ich darf mich gleich zu Beginn bei Ihnen, sehr geehrter Herr Bürgermeister und Stadtkämmerer Uwe Becker und der Stadt Frankfurt bedanken, dass wir in jedem geraden Kalenderjahr im November hier zusammenkommen dürfen, um die Preisträgerin oder den Preisträger zu ehren und in würdiger Form zu feiern.
Besonders begrüßen darf ich den heutigen Preisträger, Herrn Bundespräsident a. D. Joachim Gauck. Sehr verehrter, lieber Herr Gauck, es ist für uns eine große Ehre und Freude, Sie und Ihre Partnerin Daniela Schadt unter uns zu wissen. Herzlich willkommen. Ebenso darf ich die Generalsekretärin der Freien Demokraten, Frau Nicola Beer herzlich begrüßen. Sie wird nach meiner Begrüßung noch ein Grußwort sprechen, auf das wir uns freuen. Herzlich willkommen, liebe Nicola. Schließlich darf ich den Laudator willkommen heißen, Professor Dr. Ludwig Theodor Heuss, stellv. Vorsitzender des Kuratoriums und – ich darf das hinzufügen – Enkel des ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland und Gründer der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Lieber Ludwig, ich freue mich, dass Du hier bist und ich freue mich noch mehr auf Deine Würdigung von Joachim Gauck.
Es sind heute rund 700 Gäste hier, übrigens aus Sicherheitsgründen 200 weniger als noch vor zwei Jahren, denn die Vorschriften sind inzwischen schärfer geworden – wir sind eben in Deutschland. Interesse hatten jedenfalls noch viel mehr. An alle, die da sind, ein herzliches Willkommen, genauso wie an jene, die per Livestream zugeschaltet sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herrn,
als mein Vorgänger Wolfgang Gerhardt, der heute leider nicht hier sein kann, den Freiheitspreis der Stiftung 2006 aus der Taufe hob, ahnte er wahrscheinlich noch nicht, wie bedroht die liberalen Kernforderungen Freiheit, Rechtsstaat, Marktwirtschaft wenige Jahre später in der Welt sein würden. Seither hat sich nämlich einiges gewandelt, und nicht zum Besseren. Darauf werfen die Termine der beiden letztmaligen Preisverleihungen ein charakteristisches Licht:
- 2014 erhielt den Preis Helen Zille, die großartige Kämpferin für Demokratie und Menschenrechte in Südafrika, mutige Politikerin der liberalen Democratic Alliance und amtierende Gouverneurin der Cape Town Province – und wenige Monate vorher hatte Russland völkerrechtswidrig die Krim besetzt.
- 2016 erhielt den Preis Kaspar Villiger, der ehemalige Bundespräsident der Schweiz und engagierter Liberaler – und wenige Tage vorher hatte Donald Trump in den USA die Präsidentschaftswahl gewonnen, nach einem überaus populistischen Wahlkampf, der mit freiheitlichen Zielen nichts zu tun hatte.
- Heute, 2018, wird Joachim Gauck den Preis erhalten – wenige Tage nach einer der härtesten Verhandlungen innerhalb der Europäischen Union, bei denen es um die Ausgestaltung des Brexit geht, also des Ausscheidens eines großen und wichtigen Mitgliedslands, ein bisher einmaliger Vorgang in der EU, die bisher nur Hochzeiten und keine Scheidungen erlebt hat.
Kurzum: Die Welt hat sich verändert. Autokratische Tendenzen in Osteuropa und zuletzt auch in Südamerika, populistische Tendenzen in den USA und auch in Europa, und Spaltungstendenzen in Europa – wer hätte dies in den neunziger Jahren nach Fall von Mauer und Eisernem Vorhang erwartet? Damals schwärmten Beobachter der Welt vom unaufhaltsamen Fortschritt in Richtung Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft – sprichwörtlich vom „Ende der Geschichte“, wie es der amerikanische Historiker Frances Fukuyama in einem Bestseller formulierte. Es kam anders: Der klare Sieg über kommunistische Diktatur und sozialistische Planwirtschaft führte nicht zu einem ebenso klaren Sieg von Demokratie und Marktwirtschaft, jedenfalls nicht auf Dauer. Es entstanden merkwürdige Mischformen: autoritärer Staatskapitalismus in China und Russland; nationalistische und dezidiert illiberale Herrschaft von gewählten Parteien und Präsidenten in Polen und Ungarn – und dies bei Mitgliedschaft in der EU; sowie rechtspopulistische Parteien fast im gesamten Kontinentaleuropa sowie scharfschneidige Volkstribunen im Vereinigten Königreich und in den USA, wo die Medien- und Pressefreiheit zu Fake-News-Schlachten genutzt und missbraucht wurden.
Also: ganz neue Herausforderungen, bei denen ein historisch fader Beigeschmack aufkommt: Hat dies nicht doch viel Ähnlichkeiten zur Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als die erste Welle der Globalisierung, die es in der Welt gab, zwar zu mehr Wohlstand, aber auch zu schärferen internationalen Konflikten und Spaltungen der Gesellschaft im wilhelminischen Kaiserreich, im viktorianischen und edwardianischen Großbritannien und im Frankreich der Belle Époche führten? Fast genau 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs fragt man sich: Könnte es wieder zu einer Katastrophe kommen? Sind die Schlafwandler, wie sie Christopher Clark eindrucksvoll beschrieb, wieder unterwegs?
Manche Beobachter liefern bereits die nötige pessimistische Analyse und den angeblich Schuldigen: den Liberalismus – so der amerikanische Politikwissenschaftler Patrick Deneen in seinem Buch „Why Liberalism Failed“ – natürlich in den USA ein Bestseller.
„Gemach, Gemach!“ ist man versucht, bei derlei Aufregung auszurufen. Es gibt schwere und tiefe Probleme in unserer freien Gesellschaft, aber man muss sie mit berechtigter Sorge, aber eben auch mit kühlem Kopf analysieren. Am treffendsten erscheint mir die Beobachtung, dass sich Spalten in unserer Gesellschaft auftun, ökonomische und kulturelle, echte und gefühlte. David Goodhart, ein britischer Journalist, hat sie beschrieben als die Lücke im Lebensgefühl zwischen „Anywheres“ und „Somewheres“ – in schlechter deutscher Übersetzung: den „Mobilen“ und den „Verwurzelten“. Die Mobilen surfen auf den Wellen der digitalen Globalisierung, den Verwurzelten fällt dies schwerer. Sie leiden: manchmal, aber keineswegs immer ökonomisch, aber oft genug im Selbstwertgefühl. Sie neigen zu trotzigen Reaktionen – bis hin zur Wahl von rechtspopulistischen Parteien, die einfache Antworten auf schwierige Fragen versprechen.
Der Liberalismus muss den Menschen mehr zuhören und er muss Mut machen zur Veränderung.
Was kann die Antwort des Liberalismus sein? In jedem Fall mehr zuhören. Und nicht in einer ritualisierten politischen Korrektheit stecken bleiben. Aber auf keinen Fall die eigenen Ideale anpassen oder gar aufgeben, sondern versuchen, politische Konzepte zu entwickeln, um möglichst viele im Prozess der gesellschaftlichen Veränderung mitzunehmen. „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“ So schon Perikles vor zweieinhalb Tausend Jahren. Dies gilt immer noch: Mut machen zur Veränderung und dabei den Menschen politisch jene Instrumente geben, um die Herausforderungen zu bewältigen. Dazu zählen Bildung und Weiterbildung, aber auch der Respekt vor der Verwurzelung. Wer in der Globalisierung nicht gut gelaunt vorneweg surft, ist kein Versager, sondern ein Bürger, der ernstgenommen werden will. An diesem Respekt hat es in der Vergangenheit oft genug gefehlt – und fehlt es noch immer.
Wichtig ist dabei, dass die Politik keine Sicherheit vorspiegelt, die es nicht gibt. Auch dieser Fehler wurde in der Vergangenheit oft gemacht – mit der Folge von Frustrationen. Es begann schon vor Jahrzehnten mit der Behauptung, die Rente sei für immer „sicher“ – und es hat sich fortgesetzt mit einer langen Liste von Versprechungen aus jenem politischen Klima, das in Deutschland der „sozialdemokratische Konsens“ genannt wurde.
Das sind alles große Herausforderungen, vor denen wir stehen – als liberale Mitte der Gesellschaft. Genau da liegt auch ein Schwerpunkt der Denkfabrik – genannt Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Da fühlen wir uns fest in der Tradition eines Ralf Dahrendorf, der schon in den späten achtziger Jahren als leidenschaftlicher Befürworter der Globalisierung deren problematische Folgen in den Blick nahm und geradezu prophetisch vorhersagte.
Allerdings gilt auch: Wir dürfen nie vergessen, wo wir herkommen, nämlich aus einem Europa, in dessen östlichen Teilen noch vor 30 Jahren keine Freiheit herrschte, inklusive der DDR. Mich hat es in Zeiten der real existierenden DDR immer sehr bedrückt, dass meine Generation sich so wenig für die Zustände im Osten interessierte. Man schaute zu meiner Studienzeit gebannt in die Ferne, nach Nicaragua etwa, aber was in der DDR passierte, bekümmerte wenig. Dass es dort keine Freiheit gab, wurde fast achselzuckend zur Kenntnis genommen. Zur Ehrenrettung muss man sagen, dass genau diese Generation sich dann ohne Murren nach der deutschen Wiedervereinigung am Aufbau Ost beteiligt hat. Die Vergangenheit war schnell vergessen, natürlich auch das, was man selbst dazu gesagt hatte. Und so werden heute vor allem natürlich die Probleme gesehen – und nicht das, was vorher war.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
lieber Herr Gauck,
Sie sind immer gegen das Vergessen angetreten. Und Sie haben die Phantasie, sich zu erinnern. Ich bin sicher: Hätte man Ihnen seinerzeit als Pastor in der DDR jene Probleme beschrieben, die wir heute haben, dann hätten Sie vielleicht gesagt: „Nun gut, das sind wahrlich schwierige Probleme. Aber es sind Probleme ohne Stasi, ohne Stacheldraht und ohne Schießbefehl. Es sind Probleme ohne Abschottung vom Weltmarkt und ohne Bewirtschaftung des Mangels. Es sind Probleme ohne Unrechtsstaat und ohne Behördenwillkür. Kurzum: Es sind Probleme der Freiheit.“