Wahlen
Nordmazedonien: Alles wie gehabt?
Nach zwei Wochen zäher Verhandlungen gibt es in Nordmazedonien wieder eine gewählte Regierung. Die sozialdemokratische SDSM von Ministerpräsident Zoran Zaev und die albanisch-nationalistische DUI konnten sich auf eine neue Koalition einigen. Beide Parteien hatten das Land bereits zwischen 2017 und 2020 geführt. Doch diesmal sind die Vorzeichen anders.
„Ich werde eine Regierung führen, die nicht vom Weg zur EU-Mitgliedschaft abweicht, nachdem sie die Mitgliedschaft in der NATO erreicht hat“, sagte der sichtlich erleichterte und übermüdet wirkende Zaev in der Pressekonferenz, als er die erfolgreiche Bildung einer Regierung verkündete. Es ist die jüngste Episode einer acht Monate andauernden Hängepartie, in der das Land politisch gelähmt zwischen Annäherung an die EU und Rückkehr zur nationalistischen Isolation hin und her schwankte.
DUI – ein schwieriger Koalitionspartner
Der alte und neue Ministerpräsident versprach nach Monaten der Ungewissheit eine Periode der Ordnung, Gerechtigkeit und Disziplin. Erheblich selbstbewusster hingegen wirkte der Auftritt seines Koalitionspartners. Ali Ahmeti, Vorsitzender der albanischen Partei DUI, bedankte sich bei Zaev für die konstruktive Zusammenarbeit und versprach, dass dies die erfolgreichste Regierung in der Geschichte des Landes sein werde.
Vor den Wahlen hatte es jedoch ganz und gar nicht danach ausgesehen, als ob die alten Koalitionspartner sich wieder einigen könnten. Zaev hatte der DUI noch während des Wahlkampfes etwas zynisch geraten, eine zeitlang in die Opposition zu gehen und sich dort zu reformieren. Denn der DUI wird vorgeworfen, opportunistisch und gleichgültig zu agieren, da sie in 18 der vergangenen 20 Jahre in verschiedenen Regierungen immer wieder mitregiert hat. Die jahrelange Koalition der DUI mit dem ehemaligen und umstrittenen Ministerpräsidenten Nikola Gruevski von der VMRO-DPMNE ist in den Augen der SDSM auch eine Komplizenschaft gewesen.
Albanischer Ministerpräsident – Novum und Sprengstoff zugleich
Die Maximalforderung Ahmetis nach einem albanischen Ministerpräsidenten ging zunächst als Wahlkampfgepolter durch. Doch Ahmeti, ein ehemaliger Guerilla-Kämpfer, hat sich durchgesetzt – wenn auch in weichgespülter Form. Der Koalitionsvertrag sieht nämlich vor, dass der Posten des Regierungschefs in den letzten hundert Tagen der Amtszeit an einen Vertreter der DUI übergeht. Zaev musste offensichtlich diese Kröte schlucken. „Ich begrüße die Idee,“, so Ahmeti auf der Pressekonferenz, „dass ein Albaner in den letzten hundert Tagen das Mandat übernehmen wird“. Die Botschaft sollte jeder gut vernehmen können: Unsere Zeit ist gekommen.
Überhaupt konnte Ahmeti sehr gelassen in die Koalitionsgespräche gehen und aus einer Position der Stärke verhandeln. Unter den albanischen Parteien ist die DUI die größte und konnte bei den Wahlen am 15. Juli ihren Stimmenanteil und ihre Sitze im Parlament abermals erhöhen. Für den Fall, dass Zaev die Gespräche hätte platzen lassen, wusste Ahmeti, dass der nächste Aspirant auf den Posten des Ministerpräsidenten bereits an der Tür wartet.
Das gestärkte Selbstbewusstsein der albanischen DUI schlägt sich auch im Kabinett nieder. Der Anteil der DUI-Minister im Kabinett Zaev II ist signifikant angestiegen. Von den insgesamt 19 Ressorts gehen elf an die sozialdemokratische SDSM von Zaev. Jeweils ein Ministerium wird von der Liberaldemokratischen Partei (Lokale Selbstverwaltung) und der albanischen Kleinpartei BESA (Land- und Forstwirtschaft) geleitet. Die beiden Parteien gehören der pro-europäischen Allianz Mozheme („Wir können“) an, die vor den Wahlen unter Führung des SDMS geschmiedet wurde. Die übrigen sechs Ministerien gehen an die DUI, darunter einige Schlüsselressorts wie das Außen-, Finanz- sowie das Wirtschaftsministerium. Artan Grubi von der DUI wird zudem der erste Stellvertretende Ministerpräsident, der im Falle einer Abwesenheit Zaevs die Regierungsgeschäfte vorübergehend übernehmen wird.
Schwierige Aufgaben warten auf die neue Regierung
Auf internationalem Parkett bewegt sich Zaev souverän, das hat er in der Vergangenheit wiederholt unter Beweis gestellt. Doch im Inland ist er nicht unumstritten, und es warten große Aufgaben auf ihn. Nordmazedonien wurde von der Corona-Pandemie stark getroffen. Mit mehr als 15.000 Infektionsfällen und 600 Toten hat das 2-Millionen-Land die höchste Todesrate pro Kopf in der Region. Im großen Nachbarland Serbien, das fast vier Mal mehr Einwohner hat, ist die Todesrate weit geringer.
Die Corona-Krise hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Wirtschaft des kleinen Landes. Statt des noch zu Beginn des Jahres erwarteten Anstiegs des BIP von 3,8% rechnet der IWF inzwischen mit einem Wirtschaftseinbruch für Nordmazedonien von ca. 4%. Die Industrieproduktion hat zu Spitzenzeiten der Krise bis zu 33% abgenommen. die Exporte sind bis zu 60% eingebrochen. Im Laufe der Pandemie haben trotz der Hilfspakete der Regierung knapp 20.000 Menschen ihre Arbeit verloren.
Neben der Bekämpfung der Corona-Krise und ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaft muss die neue Regierung Reformen in den Bereichen Justiz und Rechtsstaatlichkeit umsetzen, um das Land fit für die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen zu machen. Nach einem mehrjährigen Hin und Her gibt es die berechtigte Hoffnung, dass die Gespräche noch in diesem Jahr aufgenommen werden. Der Kampf gegen Organisierte Kriminalität und Korruption, die Verschlankung des Staates und die Einführung eines neuen Wahlrechtes noch vor den Kommunalwahlen 2021 sind weitere ehrgeizige Pläne der Regierung.
Um all diese Pläne auch in die Tat umzusetzen, bedarf es einer starken und harmonisch arbeitenden Regierung. Die winzige Parlamentsmehrheit von einem Sitz und die opportunistische Haltung der DUI in der Vergangenheit lassen jedoch befürchten, dass dies keineswegs garantiert ist. Zwar dürfte die pro-europäische Orientierung des Landes nicht gefährdet sein, doch mögliche interne Querelen und Grabenkämpfe zwischen den Regierungsparteien könnten den Reformkurs auf Dauer gefährden. Die EU-Mitgliedstaaten hingegen sollten sich keinen weiteren Ausrutscher mehr erlauben, der das Land abermals in die politische Ungewissheit stürzen könnten. Denn Länder wie Russland, China oder Türkei machen sich bereits startklar für den Fall eines Scheiterns der EU-Beitrittsgespräche: In der Politik gibt es kein Vakuum.