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Extinction Rebellion
Radikalität bei den Klimaprotesten hilft nicht weiter

Wie radikal darf und muss der Klimaprotest sein?

Extinction Rebellion nennt sich die weltweite Sammlungsbewegung, die dieses Wochenende Aufmerksamkeit sucht. Ob Blockaden in Berlin und London oder grelle Kunstaktionen, radikaler als Fridays for Future möchten die selbsternannten Rebellen sein. Jenseits von aller PR bleibt die Frage, wie radikal gegen den Klimawandel getrommelt werden soll. Im Duden heißt es, radikal sei „von Grund aus erfolgend, ganz und gar; vollständig, gründlich“. Selbstverständlich darf und muss der Klimaprotest von Grund aus erfolgen. Eine halbherzige Protestaktion hätte wohl nur begrenzte Wirkung und bei weitem nicht das erreicht, was durch die Klimaproteste der Fridays for Future-Bewegung erreicht worden ist. Schließlich ist es dieser beeindruckenden jungen Protestbewegung zu verdanken, dass die Klimapolitik weltweit ganz oben auf der politischen Agenda gelandet ist. Nach Jahren des oft kümmerlichen und widersprüchlichen umweltpolitischen Klein-Kleins. Doch radikal sein bedeutet eben auch, mit „Rücksichtlosigkeit und Härte“ vorzugehen und eine „extreme politische oder ideologische“ Richtung zu vertreten.

Die Frage, welche Herausforderungen radikale Maßnahmen nach sich ziehen müssen, ist so alt wie die Zivilisation selbst. Die Frage nach der Radikalität ist zuerst eine ethische: Kommen durch die getroffenen Maßnahmen andere Menschen zu Schaden? Ist es, wenn keine anderen Menschen betroffen sind, überhaupt eine radikale Maßnahme? Und gibt es in einer konkreten Situation nicht auch andere, weniger radikale Wege, um das gesteckte Ziel zu erreichen?

Dass sich ein kleiner Teil der weltweiten Klimabewegung angesichts der Komplexität demokratischer Entscheidungsprozesse radikalisiert, überrascht. Bislang steht die Fridays for Future-Bewegung für bunten und kreativen Protest von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie diskutieren, protestieren oder feiern und zeigen, dass junge Leute sich um ihre Zukunft sorgen. Und trotz aller Umarmungsversuche der Politik und auch außergewöhnlicher PR-Aktionen wie der Atlantiküberquerung von Greta Thunberg sind weite Teile der Gesellschaft neugierig und aufgeschlossen. 

Das reicht aber einem kleinen Teil von Klimaaktivisten nicht. Ziviler Ungehorsam, also der symbolische Bruch mit rechtlichen Normen, ist das neue Zauberwort. Extinction Rebellion interpretiert diesen Ungehorsam als Sitzblockaden und Hausbesetzungen. Die linksextremistische „Vulkangruppe OK“ ging noch einen Schritt weiter und verübte im Namen des Klimaschutzes einen Brandanschlag auf die Berliner S-Bahn. Unabhängig davon, dass der bewusste Regelbruch im demokratischen Rechtsstaat etwas völlig anderes ist als in einem autoritären Regime, verstört der bewusste Schritt in die Illegalität. Die Weigerung von radikalen Klimaschützern, politische Prozesse, in denen Kompromisse ausgehandelt werden müssen, anzuerkennen, kann sogar der gesamten Klimabewegung schaden. Warum sollen gerade S-Bahn Pendler, die auf öffentliche Verkehrsträger setzen um zur Arbeit kommen, von einem Brandanschlag betroffen sein? Warum sollen Arbeitnehmer, die ihren täglichen Weg gar nicht anders als im Auto zur Arbeit zurücklegen können, zum Feindbild und Opfer von illegalen Aktionen werden? 

Radikalität basiert auf der Anmaßung, im Besitz der letzten und absoluten Wahrheit zu sein. Wer einem Ziel alles andere unterordnet, ist daher nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Mit diesem absolutistischen Ansatz werden die Grundprinzipien der demokratischen Entscheidungsfindung untergraben. Sie basieren auf Regeln, Verhandlungen und der Wahrung der Interessen aller Bürger.

Demokratie ist hochkomplex, gerade weil in ihr - im Gegensatz zur Diktatur - niemand im Besitz der letzten Wahrheit ist und vermeintliche Lösungswege, selbst wenn sie mit dem besten Willen vollzogen werden, der Gesellschaft nicht aufgezwungen werden können. Erst der Wettbewerb von Ideen und Interessen führt zu Ergebnissen, die für alle Bürgerinnen und Bürger gut sind. Das gilt in besonderem Maße für den Klimawandel: Selbst für die größte Herausforderung dieses Jahrtausends liegt kein eindeutiger Lösungsweg vor. Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Wie ernähren wir uns im Zeichen des Klimawandels? Werden marktwirtschaftlich getriebene Innovationen das Klima retten? Über diese Fragen muss es einen Diskurs geben, der Lösungen hervorbringt, die von der Gesellschaft mitgetragen werden. Gelingt dies einer demokratisch gewählten Regierung nicht, wird sie bei der nächsten Wahl die Konsequenzen spüren. 

Demokratie braucht Zeit, um die richtigen Lösungswege zu finden. Radikalität, die in ihrem genuinen Wesen stets unterkomplex ist, weil sie diesen Prozess ablehnt, den Diskurs durch bewusste Regelverletzung verengen und die ideologische Lösung aufzwingen möchte, wird in einer demokratischen Gesellschaft keinen Erfolg haben. Sie fördert nur die Polarisierung und schwächt unsere Art und Weise zu leben. Das mag kurzfristig zu einer Spanne erhöhter Aufmerksamkeit führen, hat langfristig aber keine Perspektive. Nicht die Atomkraftgegner, die sich in Gorleben an Schienen ketteten, haben den Atomausstieg erwirkt. Es war der Druck aus der Mitte der Gesellschaft, der die Politik dazu bewegt hat, diesen richtigen Schritt zu gehen. So muss es auch in der Klimakrise sein: Es war die breite Unterstützung für die Fridays for Future-Proteste, die zum Umdenken in der Politik geführt hat. Fridays for Future hat gezeigt, dass es friedliche und legale Wege gibt, die Entscheidungsträger unter Druck zu setzen. So muss es weiter gehen - ohne Radikalisierung.

 

Dieser Artikel erschien erstmals am 06. Oktober im Tagesspiegel.