Scheinheilige Bürgerrechtler?
Mit der Veröffentlichung des umstrittenen Memos zu den Russlandermittlungen hat sich die Auseinandersetzung zwischen Präsident Donald Trump und den Republikanern auf der einen und dem FBI und dem US-Justizministerium auf der anderen Seite extrem zugespitzt. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses Devin Nunes unterstellt den Ermittlern in seinem Bericht Fehlverhalten und illegale Vorgehensweisen. Er hingegen sorge sich zuvorderst um die Rechte amerikanischer Bürgerinnen und Bürger. Dabei stimmten die Republikaner im Kongress erst vor einigen Wochen für ein Gesetz, welches genau diese Gefahr in sich birgt.
Der Streit um das Memo hat die seit Jahren laufende Debatte über das Gleichgewicht zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Bürger einerseits und dem Schutz der Bürgerrechte vor staatlichen Übergriffen andererseits neu entfacht. Konkret geht es um den Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA), auf dessen Basis das FBI den ehemaligen außenpolitischen Berater Trumps, Carter Page, hat überwachen lassen.
Was ist der Foreign Intelligence Surveillance Act?
FISA wurde 1978 mit dem Ziel verabschiedet, die Auslandsaufklärung und Spionageabwehr der USA auf rechtliche Grundlagen zu stellen. Nach dem Vietnamkrieg und der Watergate-Affäre sahen sich die Politiker in Washington, DC mit einer tiefen Vertrauenskrise konfrontiert. Das vom U.S.-Kongress verabschiedete Gesetz legt fest, unter welchen Umständen das Justizministerium und die Geheimdienste richterliche Beschlüsse, sogenannte „warrants“, zur Überwachung von Personen erhalten, die in Verdacht stehen, im Auftrag einer ausländischen Macht in den USA Spionage zu betreiben oder terroristische Verbindungen zu pflegen. Erlassen werden die „warrants“ vom Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC) – einem Gericht, das die Anträge der Geheimdienste im Einzelnen prüft. Um Telekommunikationskanäle im Ausland zu überwachen, brauchen die Nachrichtendienste keinen Beschluss.
Teil der öffentlichen Debatte wurde FISA erstmals nach den Terroranschlägen vom 11. September. Hinter den Kulissen diskutierte die U.S.-Geheimdienstgemeinschaft aber bereits viel länger über das Gesetz, da der technologische Fortschritt die Nachrichtendienste vor eine neue Herausforderung gestellt hatte. Ursprünglich regelte FISA nur die Telefon- und Wohnraumüberwachung, da das Internet, als das Gesetz verabschiedet wurde, noch nicht erfunden war. Ab den 1990er Jahren wurden jedoch immer mehr internationale Telefongespräche und Internetverbindungen durch die USA geleitet. Um diese Daten auf amerikanischen Boden auswerten zu können, brauchten die Geheimdienste laut FISA eine richterliche Genehmigung, auch wenn die Daten eigentlich ausländischen Personen gehören. In der Aufklärung der Anschläge vom 11. September wurde also nach Wegen gesucht, das FISA-Gericht zu umgehen, um auch im Inland Kommunikationsdaten abschöpfen zu können.
Mit der Genehmigung des damaligen Präsidenten George W. Bush begann die NSA unter dem „Stellar Wind“-Programm, millionenfach Telefon-, E-Mail- und Internetdaten im In- und Ausland zu überwachen – und das alles ohne richterlichen Beschluss. 2005 berichtete die New York Times über das streng geheime Abhörprogramm und löste eine hitzige Debatte über die Balance zwischen nationaler Sicherheit und der Wahrung der Persönlichkeits- und Bürgerrechte aus.
Trotz des öffentlichen Aufruhrs legalisierte der Kongress 2008 das Vorgehen der Geheimdienste teilweise, indem das FISA-Gesetz um „Abschnitt 702“ ergänzt wurde. „Abschnitt 702“ regelt die Überwachung von Zielpersonen außerhalb der USA. Diese Klausel erlaubt es den Geheimdiensten, den Datenverkehr von Nicht-U.S.-Bürgern zu überwachen und auszuwerten. Unter Datenschutzrechtlern ist „Abschnitt 702“ extrem umstritten, da die Geheimdienste damit weder einen konkreten Verdacht noch einen richterlichen Beschluss benötigen, um ausländische Zielpersonen zu überwachen. Die NSA argumentiert, dass FISA in erster Linie die Rechte der Amerikaner schützen solle, nicht aber die der Ausländer. Doch das Internet ist grenzenlos, die Unterscheidung zwischen In- und Ausland schwierig und somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Amerikaner von der Überwachung betroffen sind, wenn sie beispielsweise in elektronischem Kontakt mit Ausländern stehen.
Was bedeutet das alles für den aktuellen Fall?
Donald Trumps ehemaliger Berater Carter Page hatte enge Kontakte nach Russland. Bereits 2013 versuchte ein russischer Agent, den heute 46-Jährigen für den russischen Geheimdienst anzuwerben. Das FBI hatte insgesamt vier Anträge beim FISA-Gericht mit dem Verdacht eingereicht, dass Page ein Agent Russlands sei. Die Republikaner prangern nun vor allem die Art und Weise an, wie das FBI die richterliche Genehmigung vom FISA-Gericht einholte:
Um den Beschluss vom Gericht zu bekommen, hatten die Ermittlungsbehörden u.a. das sogenannte „Steele-Dossier“ herangezogen. Dieses Dossier ist eine Sammlung von Berichten über angebliche Russlandkontakte von Donald Trump, die von einem ehemaligen Agenten des britischen Geheimdienstes MI6 zusammengetragen wurde. Die Republikaner behaupten nun, dass das Justizministerium und das FBI den zuständigen FISA-Richtern nicht deutlich genug vermittelt hätten, dass das „Steele-Dossier“ anfänglich von Demokraten finanziert wurde. Das den Ermittlungen zugrunde liegende Papier sei somit politisch motiviert, die Grundlage für den Beschluss parteiisch und die Ermittlung damit unglaubwürdig.
„Es stinkt nach Hinterhältigkeit“
In den vergangenen Jahren keimten immer wieder Kontroversen um die Abhörpraktiken der Geheimdienste auf, gerade nach den Enthüllungen von Edward Snowden. Doch ging es in diesen Debatten hauptsächlich um die willkürlichen Abhörmethoden, für die keine richterliche Genehmigung notwendig ist, sogenannte „warantless surveillance programs“ wie etwa das „Stellar Wind“-Programm. Für Beobachter kam es deshalb überraschend, dass die Republikaner nun ausgerechnet eine Anordnung angreifen, die von einem FISA-Gericht erlassen wurde. Noch abstruser wird es, wenn man die Uhr um drei Wochen zurückdreht: Erst Mitte Januar hatten 191 Republikaner im Repräsentantenhaus und 43 republikanische Senatoren für die Verlängerung des umstrittenen „Abschnittes 702“ des FISA-Gesetzes gestimmt. Zu den Schlüsselfiguren hinter der Gesetzesverlängerung gehörten ausgerechnet Devin Nunes und Paul Ryan, der Sprecher des Repräsentantenhauses. Beide rechtfertigen die Veröffentlichung des Memos, das die Autorität des FISA-Prozesses augenscheinlich untergraben soll, stets mit dem Schutz der Bürgerrechte: „Wenn Bürgerrechte von Amerikanern verletzt wurden, dann muss das ans Tageslicht gebracht werden, damit so etwas nicht noch einmal passiert“, mahnte Ryan an.
Man sollte meinen, dass Abgeordnete, die sich tatsächlich um die Bürgerrechte der Amerikaner sorgen, im Januar wohl anders votiert hätten. Der Disput um das Memo sei einzig und allein ein Stellvertreterkrieg zur Delegitimierung der Sonderermittlungen rund um die Verbindungen von Donald Trumps Wahlkampfteam zu Russland, meint Sicherheitsexperte Julian Sanchez vom Cato Institute. „Fast alles an Nunes‘ Neuinszenierung als Verfechter der Bürgerrechte stinkt nach Hinterhältigkeit.“ Zwar gäbe es durchaus berechtigte Bedenken hinsichtlich FISA und anderer Wege, die Strafverfolgungsbehörden nutzten, um in die Privatsphäre von Amerikanern einzugreifen. Er befürchte jedoch, dass diese wichtige Debatte – wie so viele andere – im Sumpf der Parteilichkeit untergehen wird.
Iris Froeba ist Policy Analyst und Media Officer im Transatlantischen Dialogprogramm der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Washington D.C.