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Scholz in Indien
Scholz´ Suche nach einer festeren Partnerschaft mit Indien

Bundeskanzler Olaf Scholz (l, SPD) steht mit Premierminister Narendra Modi

Bundeskanzler Olaf Scholz und Premierminister Narendra Modi (Archivbild 2023).

© picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Zu den Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen auf der Suche nach einer engeren strategischen Partnerschaft rückt auch Indien mitsamt seinem riesigen Markt insgesamt immer stärker in den Fokus Deutschlands und Europas. Das unterstreicht die hochrangige Präsenz in Neu-Delhi diese Woche: nicht nur der Bundeskanzler reist nach Indien, sein Vize Robert Habeck und Bundesminister Heil sind bereits vor Ort. Zudem unterstreichen die bevorstehende Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft in Neu-Delhi und das zuletzt vom Auswärtigem Amt herausgebrachte Grundsatzpapier „Fokus auf Indien“ die wachsende Bedeutung dieser Partnerschaft. Im Fokus steht Indien als wachsender Absatzmarkt und für Wirtschaftskooperationen aber auch der Fachkräftemangel in Deutschland. Doch Indien kann auch im Bereich der digitalen Technologien ein wichtiger Partner Europas werden.

Eine Partnerschaft mit gemeinsamen Zielen und unterschiedlichen Prioritäten

Sowohl die EU als auch Indien haben sich klar der Förderung von Innovation und wirtschaftlichem Wachstum durch digitale Technologien verschrieben. Doch die Wege, die beide Regionen einschlagen, sind nicht identisch. Während die EU in vielen Bereichen auf Datenschutz und digitale Souveränität setzt, verfolgt Indien eine Politik der Entkoppelung, vor allem von China und den Aufbau eigener Kapazitäten und Plattformen.  Das bedeutet, dass Indien seine Beziehungen zu globalen Mächten wie den USA und China oft geschickt nutzt, um eigene Interessen zu fördern, ohne sich einer einzigen Macht zu stark zu verpflichten.

Trotz dieser Unterschiede sehen viele Expertinnen und Experten Chancen in einer engeren Zusammenarbeit und eine Möglichkeit für Deutschland von Indiens Digitalpolitik zu lernen. In dem Policy Paper der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit „Indiens Weg aus Chinas technologischem Schatten“  zeigt der Autor Nikhil Pahwa auf, welche Schritte Indien unternommen hat, um sich von Chinas Technologie unabhängiger zu machen.

Es bleibt klar, dass Indien weiter mit eigenen Herausforderungen kämpft: Das Handelsdefizit mit China bleibt bestehen, in indischen Telekommunikationsnetzen kommt weiterhin chinesische Technologie zum Einsatz und lokale Alternativen zu chinesischen Apps konnten TikTok nicht ersetzen. Dennoch hat Indien gezeigt, dass es geopolitische Entwicklungen geschickt zu seinen Gunsten nutzen kann. Das Land verfolgt einen klaren Kurs, der eine ausgewogene Balance zwischen wirtschaftlichem Nutzen und strategischen Interessen wahrt. Die Anti-China-Maßnahmen haben Indien bisher nicht tiefgehend geschadet und kamen vor allem amerikanischen Unternehmen zugute.

EU-Indien Freihandelsabkommen: Ein Weg zur Vertiefung der Zusammenarbeit?

Ein wichtiges Element dieser Zusammenarbeit könnte das geplante EU-Indien Freihandelsabkommen sein. Doch die Verhandlungen haben sich bisher als schwierig erwiesen.  Sowohl der digitale Handel als auch Investitionen in die Informationsinfrastruktur sind nach wie vor wenig entwickelt, ebenso wie der grenzüberschreitende Datentransfer. Ein wesentlicher Grund dafür war lange das Fehlen eines indischen Datenschutzgesetzes, das den Anforderungen der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprochen hätte. Im August 2023 verabschiedete Indien mit dem „Digital Personal Data Protection Act“ jedoch ein umfassendes Datenschutzgesetz. Auch wenn dieses Gesetz keine vollständige Angleichung an die DSGVO darstellt, bietet es eine erste rechtliche Grundlage, um den Datenschutz in Indien zu verankern. Damit könnte der Weg für eine engere Zusammenarbeit bereitet sein.

Doch nicht nur das Datenschutzgesetz stand einem Freihandelsabkommen bislang im Weg. Zentrale Streitpunkte sind der gegenseitige Marktzugang und die Höhe der Zölle. Die EU fordert den Abbau hoher Zölle in Indien, insbesondere auf Automobil- und Weinerzeugnisse, um den Zugang für europäische Produkte zu erleichtern. Indien hingegen möchte besseren Zugang für seine Textilien, Agrarprodukte und IT-Dienstleistungen auf den europäischen Markt. Beide Seiten sind jedoch besorgt, dass eine zu schnelle Liberalisierung bestimmter Sektoren ihre eigenen Industrien schwächen könnte. Darüber hinaus ist Indien besonders daran interessiert, den Marktzugang für seine Dienstleistungen und Arbeitskräfte in der EU zu verbessern. Die EU hingegen ist zurückhaltend, da sie befürchtet, dass dies den Druck auf europäische Arbeitsmärkte erhöhen könnte, insbesondere im IT- und Dienstleistungsbereich. In dem Policy Paper der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit „Ein neues Modell für die Globalisierung der Arbeitswelt“ werden Ansätze für eine bessere digitale Arbeitskräftekooperation vorgestellt.

Ein neues Modell für die Globalisierung der Arbeitswelt

Ein neues Modell für die Globalisierung der Arbeitswelt

Die globale Arbeitswelt ist geprägt von zwei gegenläufigen
Trends: Im globalen Süden steigt das Arbeitskräfteangebot,
während der globale Norden mit einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung und einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften konfrontiert ist.
Beide Entwicklungen haben demografische Ursachen. Viele Länder des globalen Südens haben unverändert hohe
Geburtenraten. Das daraus resultierende Bevölkerungswachstum in Verbindung mit einem verbesserten Zugang
zu Bildung führt zu einem erheblichen Anstieg der Erwerbsbevölkerung. Trotz vergleichsweise hoher Wachstumsraten
entstehen in den wenigsten Volkswirtschaften des Südens
genügend Arbeitsplätze, um allen jungen Arbeitssuchenden eine Perspektive auf eine wirtschaftlich auskömmliche
und sichere Zukunft zu geben. Typischen Folgen sind soziale Instabilität und ungesteuerte Migration in den vermeintlich vielversprechenden Norden.
Umgekehrt kämpft der globale Norden mit den Herausforderungen niedriger Geburtenraten und einer alternden und
teilweise schrumpfenden Bevölkerung. Die sogenannten
Babyboomer, die Generation, die in den geburtenstarken
Jahrgängen zwischen 1946 und 1964 geboren wurde, geht
nach und nach in den Ruhestand. Um die Arbeitsplätze zu
besetzen, die die Babyboomer freimachen, reicht die Anzahl
der jungen Menschen, die jetzt in den Arbeitsmarkt eintreten,
bei weitem nicht aus. Die Folge ist ein Fachkräftemangel in
vielen Branchen. Für immer mehr Unternehmen wird das Fehlen von qualifizierten Mitarbeitern zur existenziellen Bedrohung. Gesamtwirtschaftlich belastet der Fachkräftemangel
das Wachstum und damit den Wohlstand in den betroffenen
Volkswirtschaften.
Die scheinbar einfache Lösung, Arbeitskräfte aus dem Süden
in den Norden zu holen, um den wachsenden Bedarf nach
Arbeitskräften dort zu decken, ist in der Realität schwierig.
Nach einem Jahrzehnt mit großen Flüchtlingsströmen in den globalen Norden ist die Bereitschaft zur Aufnahme von weiteren Menschen begrenzt. Die Angst vor einer vermeintlichen
Überfremdung treibt die Umfragewerte von populistischen
Parteien der extremen Rechten auf Rekordhöhen.
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Auch das, seit der COVID-19 Pandemie immer wichtiger werdende Thema des geistigen Eigentums ist ein Verhandlungspunkt. Die EU drängt auf stärkere Schutzmaßnahmen, insbesondere im Pharmasektor, was in Indien auf Widerstand stößt. Indien ist eines der weltweit führenden Länder in der Produktion von Generika (kostengünstige Nachahmermedikamente) und befürchtet, dass schärfere Patentschutzbestimmungen den Zugang zu erschwinglichen Medikamenten einschränken könnten.

Während Deutschland also in Sachen Freihandelsabkommen zwischenzeitlich die bittere Pille schlucken muss, machen Scholz, Habeck und Heil einen Schritt auf Indien zu, um die Partnerschaft zu intensivieren. Ob die 7. Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen den Beziehungsstatus jedoch klären, bleibt abzuwarten.