Schüler an die Waffen?
Nationalismus wird in Ungarns Schulen seit einiger Zeit groß geschrieben. Beim Geschichtsunterricht fing es an, aber eigentlich sollten möglichst alle bestehenden Fächer ungarischen Nationalstolz vermitteln. Und jetzt soll nach dem Willen der von Viktor Orbán geführten nationalpopulistischen Regierung noch ein neues Fach hinzukommen: Wehrkunde – zusätzlich zum Sportunterricht. Es solle damit „das Programm der patriotischen und militärischen Erziehung im Lehrplan zur Geltung kommen“, verkündet die Regierung. Vorsorglich hat sie schon vor einiger Zeit damit begonnen, rund 200 Schießstände errichten zu lassen, an denen vor allem Jugendliche im Umgang mit Schusswaffen ausgebildet werden. Im Interview mit freiheit.org spricht Gábor Horn, Kuratoriumspräsident der liberalen Nichtregierungsorganisation Republikon (Budapest), über diese besorgniserregende Entwicklung.
Die ungarische Regierung hat ein Gesetz erlassen, das die Einführung eines verpflichtenden Wehrkundeunterrichts in Schulen vorsieht. Ist das ein weiterer Schritt auf dem Weg Ungarns zur „illiberalen Demokratie“?
Die obligatorische militärische Ausbildung ist wohl eher eine Ergänzung des aktuellen ungarischen Bildungslehrplans, als ein neues Gesetz. Die Regierung schlägt vor, das sogenannte "patriotische Training" als Zusatzkomponente zum Sportunterricht einzuführen. Interessanterweise knüpft das Vorhaben recht deutlich an die kommunistische Vergangenheit Ungarns an, wo der Staat solcherlei Maßnahmen ebenfalls in sein Bildungssystem eingeführt hatte. Es passt in die illiberale Agenda Orbáns, denn die Einführung militärischer Erziehung in den Schulen wäre ein weiterer Schritt in die Richtung, die Errungenschaften der früheren sozialistisch-liberalen Regierung wieder rückgängig zu machen, die ja zum Beispiel die Wehrpflicht abgeschafft hatte.
Die polnische Regierung verfolgt denselben Ansatz, allerdings mit dem sachlichen Argument der potentiellen Bedrohung durch Putins Russland. Orbáns Regierung gilt aber als pro-russisch. Wie argumentiert sie denn in diesem Fall?
Im Allgemeinen ist die Orbán-Regierung nicht sonderlich daran interessiert, irgendwelche sachlichen Argumente anzuführen, wenn es um Bildung geht. Daher gibt es auch keinerlei substantiellen Debatten zu diesem Thema. Sie betrachtet die patriotische Ausbildung schlichtweg als eine ideologische Frage.
Ungarn setzt beim „Schutz“ der Grenzen gegen Flüchtlinge zunehmend auf irreguläre Bürgerwehren. Ist das ein Grund für die Einführung der Wehrkunde? Wird Ungarn dadurch wirklich ein sicherer Ort?
Es gibt selbstverständlich einen Zusammenhang zwischen diesem neuen Vorschlag und dem Einsatz von immer mehr Bürgerwehren an unseren Grenzen. Das Bild von Ungarn als einer autarken, sich selbst verteidigenden Nation ist Teil der Rhetorik dieser Regierung, wenn es um die Migrationskrise geht. Ungarn steht vor einem großen Arbeitskräftemangel, sowohl allgemein als auch ganz besonders bei der Rechtsdurchsetzung und Strafverfolgung. Die Regierung versucht, die Lage zu verbessern, aber es scheint ihr sehr schwer zu fallen, ihr Ziel zu erreichen. Persönlich denke ich, dass die Einführung der Wehrkunde dabei auch nicht weiterhelfen wird. Und selbst wenn sie es in diesem Fall doch so wäre, würde dies Ungarn gewiss nicht zu einem sichereren Ort machen.
Dr. Detmar Doering ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und Baltische Länder.