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Taiwans junge Demokratie ist ein leuchtendes Beispiel für die Welt
Es kam wie erwartet. Zum zweiten Mal in der Geschichte des demokratischen Taiwan gelingt es der liberalen Democratic Progressive Party (DPP), die Präsidentschaft zu verteidigen. Auf die populäre Präsidentin Tsai Ing-Wen, die zwei Mal vier Jahre im Amt war, folgt ihr bisheriger Stellvertreter Lai Ching-Te. Seine Position als Vize übernimmt die weltgewandte Bi-Khim Hsiao, bisher Vertreterin Taiwans in Washington D.C. – wohl dem wichtigsten diplomatischen Posten, den Taiwan zu vergeben hat.
Lai und Hsiao traten als „Team Taiwan“ an, und das Ergebnis fiel in etwa so knapp aus wie prognostiziert. Die Opposition war gespalten. Deshalb genügte am Ende eine relative Mehrheit, um das Ziel der Fortsetzung einer liberalen Präsidentschaft zu erreichen. Anders im Parlament: Die bisherige absolute Mehrheit der DPP ist dahin. Es stehen der Regierung gesetzgeberisch schwierige Zeiten bevor.
Zentrales Thema ist und bleibt das Verhältnis zu China und dem Westen. Die DPP steht für eine selbstbewusste, pro-westliche Politik, die sie bereits in den vergangenen Jahren unter Präsidentin Tsai konsequent betrieben hat. Die wirtschaftlichen Weichen wurden so gestellt, dass im Ergebnis der Anteil des Handels mit den USA und Europa deutlich zunahm – zu Lasten des Handels mit China. Ähnliches gilt für die Investitionsströme. Übermäßige Abhängigkeiten vom mächtigen Nachbarn sollten vermieden werden.
Taiwans Zukunftsstrategie unter neuem Präsidenten: Wirtschaft, Verteidigung und Herausforderungen durch China
So wird es wohl auch unter dem neuen Präsidenten weitergehen – mit einer Wirtschaft, die in den Bereichen Halbleiter und Informationstechnologie in der Welt führend ist. Die Ausgaben für Verteidigung als Anteil des Bruttoinlandsprodukts sollen deutlich steigen, die Wehrpflicht wurde bereits verlängert – von vier auf zwölf Monate. Im Gespräch ist auch eine Neuorientierung der Waffensysteme: weg von den Offensiv-Illusionen der militärischen Führung hin zu einer klugen „Porcupine“-Strategie, die Taiwan als „stachelige“ Insel uneinnehmbar macht.
All dies wird China nicht gefallen. Deshalb stärkte das kommunistische Regime in Peking in der Zeit des einsetzenden Wahlkampfs durch verdeckte Kampagnen der gezielten Desinformation mit Fake News die KMT-Opposition. Der Rückgang der Unterstützung für die DPP ist aber wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass ein Sondereffekt von vor vier Jahren fehlte: Im Aufgalopp zur Wahl 2020 zerstörte China die Demokratie in Hongkong, und das wurde zum dominierenden Wahlkampfthema in Taiwan. Es nutzte damals der regierenden DPP, die für Distanz zu Peking steht.
Allerdings gibt es weitere – und tiefere – Gründe für das verschlechterte Abschneiden der DPP. Sie liegen in grundlegenden Veränderungen der modernen Gesellschaft Taiwans. Tatsache ist: Die junge Generation identifiziert sich nicht mit China, sondern mit Taiwan. Die Fortsetzung des politischen Status Quo wird von einer deutlichen Mehrheit befürwortet.
Wandel der Wahlthemen in Taiwan: Von China zu Alltagsproblemen
Damit einher geht aber auch die Erwartung, andere Themen in den Vordergrund zu rücken als das Verhältnis zu China. „Normale“ soziale und wirtschaftliche Probleme des Alltagslebens, die in westlichen Industrienationen typischerweise die Stimmung beherrschen, beeinflussten diesmal auch die Wahl in Taiwan: Preisinflation samt steigenden Mieten, Spaltung der Gesellschaft in Reich und Arm, berufliche Chancen für alle und vieles Ähnliche mehr.
Genau diese Problemthemen griff der TPP-Kandidat Ko im Wahlkampf in populistischer Manier auf, ohne aber klare Rezepte für deren Lösung zu bieten. Ein Teil der Jugend folgte seiner Botschaft – zu Lasten der DPP, die früher bei Jungwählern besonders gut abgeschnitten hatte.
Kurzum: Die taiwanesische Gesellschaft wird komplexer und gleichzeitig normaler. Umso bemerkenswerter ist, mit welcher Begeisterung die Demokratie in diesem Land zelebriert wird – im Kontrast zu Pessimismus und Skepsis in vielen Ländern Europas. Bei den Abschlussveranstaltungen der großen Parteien gab es gigantische Menschenmengen, bei der DPP waren es offiziell 200.000 in einem riesigen Sportstadion. Die Atmosphäre glich der eines stimmungsvollen Open-Air-Rockkonzerts.
Und eines gilt es festzuhalten: Die Wahl in Taiwan – vor vier Jahrzehnten noch eine autoritär regierte Insel – war nach allen Maßstäben makellos frei und fair. Taiwans junge Demokratie ist ein leuchtendes Beispiel für die Welt. Darauf können die Menschen der Insel stolz sein.
Dieser Beitrag ist erstmalig am 14. Januar 2024 auf WELT veröffentlicht worden.