Verbrechen gegen Journalisten
Türkei – Seit jeher ein schwieriges Pflaster für Journalisten
Der ermordete saudische Journalist Jamal Khashoggi hat die Türkei dieser Tage wieder ins Zentrum der Weltöffentlichkeit gerückt. Doch diesmal sitzt die Türkei ausnahmsweise nicht auf der Anklagebank, sie präsentiert sich vielmehr als der große Schützer der weltweiten Pressefreiheit. Für Präsident Erdoğan ist die Causa Khashoggi ein gefundenes Fressen, er kann damit das arg ramponierte Image seines Landes aufpolieren. Doch die gesamte Weltöffentlichkeit weiß (oder sollte wissen), dass es um die Pressefreiheit in der Türkei nicht zum Guten bestellt ist.
Wie ist es aktuell um die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen gegen Journalisten im Land bestellt?
Abgesehen von den Dutzenden inhaftierten Journalisten, den gleichgeschalteten Medien und der allseits präsenten Selbstzensur gibt es im Land auch eine weitverbreitete Straflosigkeit gegenüber Medienschaffenden, die seit den Tagen des ‘schmutzigen Krieges‘ in den 90er Jahren gängige Praxis ist. Damals herrschten im kurdisch dominierten Südosten des Landes bürgerkriegsähnliche Zustände, bei denen der Staat auch auf paramilitärischen Strukturen zurückgriff. Viele oppositionelle Stimmen, die den unverhältnismäßigen Einsatz gegen die Zivilbevölkerung kritisierten, kamen unter zum Teil mysteriösen Umständen ums Leben. Viele Mordfälle wurden über die Jahre nicht aufgeklärt.
Diese Praxis der Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten hält bis heute an. Offiziellen Angaben zufolge gab es zwischen Januar 2012 und September 2015 449 Straftaten von Sicherheitsbehörden gegenüber Journalisten, deren Ermittlungen im Sand verliefen. Allein bei den Gezi-Protesten im Sommer 2013 gab es mehr als 150 registrierte Straftaten, die für die Sicherheitsbehörden ohne Konsequenzen blieben. Da bei den allermeisten Straftaten gegenüber Journalisten staatliche Bedienstete wie Polizisten, Soldaten oder hohe Beamte involviert sind, werden diese nicht weiter verfolgt.
Hat sich die Lage in den vergangenen Jahren verbessert oder verschlechtert?
Wenn man sich auf der Webseite der Türkischen Journalistenvereinigung TGC die Liste der getöteten Journalisten anschaut, stechen einem besonders die 1980er und 1990er ins Auge – eben die Jahre des oben erwähnten ‘schmutzigen Krieges‘.
In den Reformjahren der AKP zwischen 2002 und 2007 schien sich die Lage verbessert zu haben. Das war die Zeit, als Erdoğan dem ‘tiefen Staat‘ – einem konspirativen Netzwerk von Angehörigen der kemalistischen Sicherheits- und Geheimdienste, der Armee, Justiz und rechter Parteien – den Kampf angesagt hatte. Diese halbmafiöse Struktur war in der Vergangenheit für viele ungeklärte Mordfälle an Oppositionellen verantwortlich.
Die für türkische Verhältnisse relativ lange Phase der Ruhe endete jedoch am 19. Januar 2007. An jenem Tag wurde der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink von der Wochenzeitung Agos auf offener Straße mitten in Istanbul erschossen. Dinks größter Wunsch war es, die Türken und Armenier wieder zu versöhnen; ein Tabu in der Türkei. Da war er wieder da, der ‘tiefe Staat‘. Der letzte offiziell getötete Journalist in der Türkei ist Mustafa Cambaz, ein Fotoreporter der regierungsnahen Yeni Şafak. Er wurde am 15. Juli 2016, dem Tag des vereitelten Staatsstreichs, von putschenden Soldaten erschossen.
Inwieweit wirkt sich die Straflosigkeit auf die Meinungs- und Pressefreiheit im Land aus?
Am 6. Mai 2016 wurde auf den ehemaligen Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung Cumhuriyet, Can Dündar, vor dem Gerichtsgebäude in Istanbul mit scharfer Munition aus nächster Nähe geschossen. Nur mit Glück und durch den heroischen Einsatz seiner Ehefrau, die sich dem Attentäter in den Weg stellte, entging der Journalist dem sicheren Tod.
Mehr als zwei Jahre nach diesem versuchten Attentat hat das Gericht den Attentäter wegen guter Führung zu 4.500 TL (knapp 700,-€) Geldstrafe verurteilt. Das türkische Strafgesetz sieht für Straftatbestände wie Bedrohung, Körperverletzung mit einer Waffe oder illegalen Waffeneinsatz eigentlich mindestens viereinhalb Jahre Haft vor. Die beiden Anstifter wurden gar freigesprochen.
Allein dieser Fall zeigt, wie offen die Straflosigkeit bei Verbrechen gegen Journalisten praktiziert wird. Dieser Umstand sowie weitere staatliche Eingriffe in die Presse- und Meinungsfreiheit haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass viele kritische Stimmen das Land verlassen haben und nun aus dem Exil arbeiten. Die, die geblieben sind, unterziehen sich einer tagtäglichen Selbstzensur.
Wird die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten in der öffentlichen Debatte thematisiert? Gibt es konkrete Fälle, die in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind?
Der Einsatz der Zivilgesellschaft und der politischen Opposition, die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten zu thematisieren, bleibt leider zumeist ergebnislos. Schriftliche Anfragen oder Vorschläge der oppositionellen Parteien zur Bildung von Untersuchungskommissionen, die Mordfälle oder Straftaten gegen Journalisten untersuchen sollen, blieben von den zuständigen Ministerien oder der AKP-Regierung unbeantwortet.
Zuletzt gab es im Jahre 2010 eine Initiative eines CHP-Abgeordneten zur Bildung einer Untersuchungskommission, doch auch dieser Versuch scheiterte an der regierenden Partei. Die zivilgesellschaftliche Organisation ‘Collective Memory Plattform‘ setzt sich seit Jahren dafür ein, dass bei Mordfällen gegen Journalisten keine Verjährung eintritt. Viele Fälle vor Gericht verjähren in der Türkei, ohne dass es zu einem Abschluss kommt. Doch auch dieser Versuch ist bislang gescheitert.
Welche Organisationen setzen sich im Land gegen die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten ein? Inwieweit unterstützt die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit diese Bemühungen?
Es gibt eine Vielzahl an internationalen Organisationen, die sich zusammen mit lokalen Partnern diesem Einsatz widmen. Zu nennen sind da allen voran Reporter ohne Grenzen und das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ). Wichtige Partner vor Ort sind u.a. die Türkische Journalistengewerkschaft (TGS), die Stiftung für Menschenrechte (IHD), Hafıza Merkezi (Truth Justice Memory Centre) und der Stiftungspartner Media and Law Studies Association (MLSA). Diese NGOs verfolgen und dokumentieren sowohl Straftatbestände gegen Journalisten als auch ungelöste und verjährte Mordfälle gegen Medienschaffende.
Die Stiftung unterstützt MLSA in ihrem Projekt zur Prozessbeobachtung. Es geht hierbei darum, zu dokumentieren, ob die beschuldigten und zum Teil inhaftierten Journalisten einen gerechten Gerichtsprozess erfahren. Gleichzeitig soll den Journalisten ein Signal der Solidarität gesendet werden.
Aret Demirci ist Programmkoodrdinator der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Istanbul.