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Weltlehrertag
Unsere Lehrer leben hoch? Gedanken zum Weltlehrertag

Lehrer
© picture alliance / dpa | Peter Endig

Am heutigen Montag feiert die UNESCO den Weltlehrertag. Es liegt sicherlich nicht allein an Corona, dass keine großen Festveranstaltungen stattfinden. Dennoch ist der Tag eine gute Gelegenheit, über Vergangenheit und Zukunft des Lehrerberufs nachzudenken. Besonderen Lesestoff liefert dabei die OECD, die ein Dreivierteljahr nach dem Erscheinen der PISA-Studie 2018 eine wichtige Detailstudie veröffentlicht hat. Darin beschäftigen sich die Bildungsforscherinnen und –forscher der OECD mit der Frage, was erfolgreiche Schulen ausmacht und wie eine gute Bildungspolitik aussehen könnte. Auf über 300 Seiten offenbaren sich große Problemfelder. Von der Digitalisierung bis zur Bildungsgerechtigkeit liegt Deutschland oft nicht einmal mehr im Mittelfeld. Es ist daher höchste Zeit, mit liberalen Ideen die Bildungskatastrophe abzuwenden.

Vom Internationalen Tag des Jazz bis zum Weltlogiktag – viele Gedenktage der UNESCO erhalten nicht unbedingt die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie verdienten. Auch dem heutigen Welttag des Lehrers, der seit 1994 begangen wird, droht ein ähnliches Schicksal. Dies ist bedauerlich, denn es gibt viele gute Gründe, an diesem Tag über die Bedeutung des Lehrerberufs nachzudenken.

Zuallererst wäre da der Anlass selbst. Mit dem „International Teacher’s Day“ verweist die UNESCO auf eine wichtige Empfehlung, die am 5. Oktober 1966 in Paris verabschiedet worden ist. Die „ILO/UNESCO Recommendation concerning the Status of Teachers” legte die Rechte und Pflichten von Lehrkräften fest, beschäftigte sich mit Ausbildungsstandards und erinnerte selbstbewusst daran, dass „das Recht auf Bildung ein grundsätzliches Menschenrecht“ ist. Für das liberale Verständnis von Bildung – nur ein Jahr vorher postulierte Ralf Dahrendorf das „Bürgerrecht auf Bildung“ – ist die UNESCO-Empfehlung also von erheblicher Bedeutung. Die wirtschaftliche Begründung für Bildung als „Investition in die Zukunft“ ist damit zweifelsohne kompatibel. Wie der damalige UNESCO-Vertreter Robert Harris 1994 betonte, sollte beim Weltlehrertag allerdings das Ethos des Lehrerberufs im Vordergrund stehen. „Keine Maßnahme, noch nicht einmal zur Frage der Gehälter und der Arbeitsbedingungen, so wichtig sie auch ist, hat einen so großen Einfluss auf die Moral und die Motivation der Lehrkräfte“, argumentierte Harris, „wie das Gefühl, einen wirklichen Beitrag dazu zu leisten, die Qualität von Bildung zu verbessern und die Chancengerechtigkeit zu erhöhen.“

Platz 76 von 78: ein Armutszeugnis für das deutsche Bildungssystem

Die Coronakrise hat die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte in nie gekannter Weise verändert. Wer wissen will, warum sich viele deutsche Schulen so schwer damit taten, auf digitalen Distanzunterricht umzuschalten, findet eine klare Antwort auf Seite 266 des eingangs erwähnten OECD-Berichts. In der 2018 durchgeführten Umfrage unter Schulleiterinnen und Schulleiter gab nur eine knappe Mehrheit (56,7 Prozent) an, dass die Lehrkräfte die „notwendigen technischen und pädagogischen Fähigkeiten“ hätten, um digitale Geräte in den Unterricht einzubinden. Zum Vergleich: in Dänemark waren es 80,2 Prozent, in der Slowakei 82,6 Prozent und in Südkorea sogar 83,2 Prozent. Doch es wird noch schlimmer. Mit Blick auf die Coronakrise hat die OECD das umfangreiche Begleitmaterial noch einmal in einer lesenswerten Kurzpublikation aufbereitet, die gezielt nach den Voraussetzungen für einen erfolgreichen Fernunterricht fragt. Deutschland liegt dabei nicht nur weit unter dem OECD-Durchschnitt, sondern tief im unteren Tabellenviertel. Geht es um „effektive Online-Lernplattformen“ landet Deutschland hinter Griechenland, Mexiko und Bosnien-Herzegowina. Besonders düster sieht es bei der Fortbildung aus. Auf die Frage, ob „effektive professionelle Mittel“ bereitstünden, mit denen Lehrkräfte den Umgang mit digitalen Medien erlernen könnte, landete Deutschland auf Platz 76 von 78 – hinter Jordanien, Griechenland und Marokko. Die etwas hektisch anmutende Digitalisierungsoffensive der Bundesregierung, die mit dem Beginn der Coronakrise einsetzte, ist natürlich trotzdem zu begrüßen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass es angesichts dieser Zahlen mehr als wünschenswert gewesen wäre, wenn die liberale Forderung nach der vollumfänglichen Digitalisierung des Bildungssystems bereits viel früher umgesetzt worden wäre.

Das Lehrerbewusstsein im digitalen Zeitalter

In dem Thesenpapier „Beste Bildung bis 2030“ hat die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit einige Vorschläge gemacht, die über das digitale Feuerlöschen hinausgehen und den Grundstein für eine erfolgreiche Zukunft des Bildungssystems legen sollen. Der Weltlehrertag ist eine gute Gelegenheit, eine wichtige Aussage noch einmal aufzugreifen: Digitalisierung kann nur ein pädagogisches Hilfsmittel sein, „Charakterbildung und die Entwicklung von Kompetenzen wie Führungsstärke, Kommunikationsfähigkeit und Resilienz benötigen auch weiterhin menschliche Interaktion.“ Nicht trotz, sondern wegen der Digitalisierung ist eine Fokussierung auf die pädagogischen Kernkompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer daher besonders wichtig.

Wer wissen möchte, was von Lehrkräften gefordert wird, die Bildung an der Schwelle zum KI-Zeitalter vermitteln sollen, findet eine Antwort beim großen liberalen Bildungsphilosophen Adolph Diesterweg (1790-1866), der 1843 einen wichtigen Text zum „Lehrerbewusstsein“ veröffentlichte. Die Lektüre lohnt gerade am Weltlehrertag. „Das Lehrerbewußtsein besteht in der hohen Meinung, die der Lehrer von dem Werth und der Bedeutung seines Berufes hegt“, forderte Diesterweg und sprach sich mit einigem Biss gegen „Schulmeisterdünkel“ und „Aufgeblasenheit“ aus. Sein Appell galt also sowohl der Gesellschaft als Ganzes, als auch jenen Lehrkräften, die den Ansprüchen an ihren Beruf noch nicht ganz genügten. Der Lehrer, schrieb Diesterweg „ist nicht Alles und macht nicht Alles, aber er legt den Grund zu Allem, und ohne ihn würde sofort die Barbarei über uns hereinbrechen.“

Diesterweg, dessen liberale Ansichten 1847 zur Entlassung aus dem preußischen Staatsdienst führten, ist auch heutzutage noch ein wichtiger Stichwortgeber für liberale Bildungspolitik. Seine hohe Meinung vom Lehrerberuf verband er mit der klaren Forderung, diesen Ansprüchen auch gerecht zu werden. „Es ist schrecklich, was für Menschen es giebt, auch was für Lehrer“ schrieb er in seinem Text zum Lehrerbewusstsein und wandte sich dann der Aus- und Fortbildung für Lehrkräfte zu. Die Ergebnisse der PISA-Studie hätten ihn sicherlich nicht überrascht: „Ist es denkbar, ist es glaublich, daß welche unter [den jungen Lehrern] sind, die in dieser langen Zeit: 1) kein neues Schulbuch kennen gelernt, noch weniger durchstudirt und durchprobirt; 2) keine pädagogische Zeitschrift gelesen; 3) sich an keinen Lehrerverein angeschlossen haben? Ja, Solcher giebt es!“ Heutzutage hätte sich Diesterweg wohl mit digitalem Distanzunterricht befasst und wenig Verständnis dafür gehabt, dass ein halbes Jahr nach dem ersten „Lockdown“ weder flächendeckende Videounterrichtsangebote noch entsprechende umfassende Fortbildungen verfügbar wären.

Welchen Sound hat der Lehrertag?

Der heutige Weltlehrertag ist auch aus anderem Grund eine gute Gelegenheit, über den Charakter der Schule der Zukunft zu sinnieren. Jahrzehntelang wurde er, in anderer Form, bereits in einem Teil Deutschlands begangen. Jedes Jahr am 12. Juni wurde in der DDR die Unterrichtszeit verkürzt, Lehrerinnen und Lehrer beschenkt und besonders „verdiente Lehrer des Volkes“ von Margot Honecker, der Ministerin für Volksbildung, ausgezeichnet. Auch wenn sich manch eine Lehrerin oder ein Lehrer seine eigenen Freiräume in der SED-Diktatur schuf: die am damaligen Tag des Lehrers geehrten Pädagoginnen und Pädagogen waren „Repräsentanten des Systems“, ihre Aufgabe war es, wie Margot Honecker es 1985 formulierte, „an einem wichtigen Abschnitt der ideologischen Front zu wirken.“ Auch wenn der Lehrertag der DDR mittlerweile in Vergessenheit geraten ist – die Erinnerung an die einstige Vereinnahmung des Lehrerberufs durch die SED-Diktatur sollte wachgehalten werden.

Kein Feiertag ohne Lied. Doch welcher Sound passt zum Weltlehrertag 2020? Die forciert-fröhlichen Pionierlieder – „Unsere Lehrer leben hoch! –sicherlich nicht. Pink Floyds Angriff auf den „düsteren Sarkasmus im Klassenzimmer“ erinnert an Diesterwegs Kritik des blasierten Schulmeisters, doch als positive Vision einer Schule der Zukunft ist er nur bedingt geeignet. Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung ist vielleicht ein anderer Text am besten geeignet. 1988 entwarf der ostdeutsche Liedermacher Arno Schmidt das Bild einer Schule der Zukunft: „Die Schule ist ein Ort des Streites, und Wohlverhalten kennt man nicht. / Nur der ist "Sehr gut" in Betragen, der seinen Lehrern widerspricht. / Am meisten zählt die eigene Meinung und wird am höchsten honoriert. / Wer immer in der Mitte mitschwimmt, wird nicht mehr, wie bisher, prämiert. / Und was man in der Schule vorgibt, bestimmt dann später das Niveau. / In Staat und Wirtschaft wird entschieden mit Fantasie und Risiko.“ Ob die Schule der Gegenwart schon dieser Ort ist, sei dahingestellt. Wenn sie es so ungefähr wäre, wäre dies sicherlich ein guter Anlass für einen Feiertag.

Übrigens äußerte sich Diesterweg auch zum Problem des „Lehrerbashings“. Sein Ratschlag zum Umgang mit Helikoptereltern dürfte auch mehr als 150 Jahre später den meisten Lehrerinnen und Lehrern alles andere als fremd sein: „Der ächte Lehrer ist der beste, treueste Freund der Eltern. […] Nichtachtung, Verkennung, selbst Unrecht muß er von ihnen ertragen können. Sie wissen es nicht besser, sie kennen ihn nicht, sie stehen nicht hoch genug, um edler zu denken und zu empfinden – so denkt der Lehrer und ermüdet nicht.“