Hochschulstrategie
Von Bologna zum EU-Hochschulabschluss: Ein neuer Weg für europäische Bildung?
Vor fast 25 Jahren, am 19. Juni 1999, wurde mit der Bologna-Erklärung durch die europäischen Bildungsminister ein bahnbrechender Prozess angestoßen. Während die Ziele des Bologna-Prozesses, u.a. die Vergleichbarkeit der Studiengänge und Stärkung der Mobilität unter den Studierenden, allesamt eine deutliche Verbesserung der damaligen Verhältnisse versprachen, war die Umsetzung von vielen Friktionen gekennzeichnet. Gerade in Bezug auf die Mobilität und die Anrechnung von im Ausland erbrachten Leistungen sind noch heute viele Probleme ungelöst. Welche Studien- und Prüfungsleistungen wie angerechnet werden (können), stellt sich zu oft erst nach langen hochschulinternen Verfahren heraus. Dass mancherorts sogar bereits vor einem Auslandsaufenthalt die zu besuchenden Kurse festgelegt werden, nimmt den Studierenden viel Flexibilität, Freiraum und Eigenverantwortung. Auch bei der Anerkennung von Hochschulabschlüssen bestehen europaweit leider nach wie vor Probleme.
Ein neuer Ansatz der EU-Kommission: Pläne für einen europäischen Hochschulabschluss
Diese Problemfelder hat die EU-Kommission um Bildungskommissarin Iliana Ivanova offenbar erkannt. Der Lösungsansatz, den sie gemeinsam mit Margaritis Schinas, Vizepräsident der EU-Kommission, Ende März präsentierte, ließ aufhorchen: Nach Plänen der Kommission sollen sich in den kommenden Jahren die europäischen Hochschulen vernetzen, um über gemeinsame Studiengänge einen neuen, europaweit einheitlichen Abschluss zu ermöglichen. Dieser ersetze jedoch nicht Bachelor- und Masterstudiengänge, sondern würde lediglich ein weiteres Angebot darstellen. Mit dem europäischen Abschluss sei dann, nach Vorstellung der Kommission, die Anrechenbarkeit innerhalb des EU-Raums in jedem Fall gewährleistet. Laut Plan wäre das Hochschulstudium in mindestens zwei unterschiedlichen Mitgliedsstaaten im entsprechenden Studiengang eine Grundvoraussetzung zur Erlangung eines EU-Abschlusses. Eigene Mittel für die Ausgestaltung stellt die Kommission indes nicht in Aussicht. Studierende könnten jedoch über die bestehenden Erasmus-Mittel gefördert werden. Wirkliche Fahrt soll das Projekt, das in den kommenden Monaten im Rat der EU und mit „wichtigen Akteuren im Hochschulbereich“ besprochen wird, erst 2025 aufnehmen. Staatliche, wie auch private Hochschulen könnten sich dann an der Realisierung solcher EU-Studienabschlüsse beteiligen. Das generelle Ziel, einer Harmonisierung der unterschiedlichen Bildungssysteme zwischen den europäischen Staaten, der Anerkennung von Abschlüssen und die Schaffung eines europäischen Bildungsbinnenmarktes gehören auch zu den Zielen der liberalen renew-Fraktion im EU-Parlament. Zu diskutieren wäre nun der bestmögliche Weg zur Erlang des Ziels.
Ob und wie erfolgreich das Kommissionsvorhaben sein wird, hängt also maßgeblich von den Universitäten selbst ab. Gerade die Bologna-Reform hat gezeigt, wie viel Aufwand und Detailfragen sich bei der Implementierung neuer Studiengänge und -abschlüsse ergeben. Ohne zusätzliche finanzielle Mittel wird sich die Begeisterung an den Hochschulen mutmaßlich in Grenzen halten. Gleichwohl gibt es bereits etliche internationale Studiengänge und Kooperationen – insbesondere in den europäischen Grenzregionen. Wie leicht sich hieran dann ein Label „EU-Abschluss“ fügen lässt, wird interessant zu beobachten sein.
Kritische Reflexion des Ansatzes
Der bürokratische Aufwand muss, damit das Projekt insgesamt erfolgreich sein kann, jedenfalls für alle Beteiligten auf ein Minimum reduziert werden. Insgesamt wird dieser erdachte Abschluss die Hochschullandschaft nicht von jetzt auf gleich revolutionieren. Dafür sind die laufenden Systeme europaweit zu träge. Insofern haben wir es nicht mit einer neuen, dem Bologna-Prozess vergleichbaren Reform zu tun. Bei erfolgreicher Umsetzung wird es dennoch allein über die Anzahl der Studierenden zu einer Konkurrenzsituation zwischen den mittlerweile etablierten Studiengängen und –abschlüssen und dem EU-Abschluss kommen.
Ein neuer Weg für europäische Bildung?
Insgesamt stellt sich die Frage, wieso sich die Kommission in ihrer richtigen Analyse der bestehenden Problemfelder nicht für eine Lösung derselben in den bestehenden Strukturen ausgesprochen hat. Die Schaffung von Parallelstrukturen verspricht jedenfalls keine Vereinfachung und Verschlankung. Zeit und Energie hätte die Kommission wesentlich sinnvoller auf die Optimierung der Bologna-Strukturen verwenden können – ob dies allerdings im gleichen Maße der Profilbildung gedient hätte, sei dahingestellt.