EN

Südkorea
Wie Südkorea die Digitalisierung des Unterrichts vorantreibt

Klassenzimmer in Südkorea
© picture alliance / MAXPPP | -

Bereits vor der Corona-Pandemie setzte Südkorea in seinem Bildungssystem auf Digitalisierung. Auf der E-Learning-Plattform  e-Hakseupteo können Lehrer das Kursmaterial und weiterführende Informationen hochladen. Die Schüler haben von zu Hause aus jederzeit Zugriff auf die Plattform und können sich die Materialien für ihre Kurse herunterladen.

Während der Pandemie konnten Schulen deswegen nahezu nahtlos von Präsenzkursen auf Online-Kurse umsteigen. Zunächst lief das System der E-Learning-Plattform nur auf einem Server. Während der Corona-Krise nahm der Traffic so stark zu, dass das Bildungsministerium die Kapazitäten massiv erweiterte. Mittlerweile befinden sich im ganzen Land Server, um in allen Regionen gute Zugänge für die Millionen Lehrkräfte und Schüler und Schülerinnen zu gewährleisten.

Nun geht Südkorea bezüglich Digitalisierung noch einen Schritt weiter. Ende 2023 beschloss die Regierung, bei der Einführung von digitalen Lehrbüchern Künstliche Intelligenz einzusetzen. Angesichts der Anstrengungen Deutschlands, seine Bildung stärker zu digitalisieren, könnte sich der Blick nach Südkorea lohnen.

Dort soll Digitalisierung das traditionelle Schulsystem grundlegend umkrempeln. Stures Auswendiglernen und Frontalunterricht sollen der Vergangenheit angehören. Die Digitalisierung des Unterrichts soll sehr weit gehen. Das kann man durchaus pädagogisch begründen. Aus konstruktivistischer Sichtweise ist Lernen ein aktiver Prozess, bei dem die Schüler und Schülerinnen als Mitgestalter ihres eigenen Lernprozesses verstanden werden. Der Einsatz digitaler Medien unterstützt und verstärkt die Beteiligung der Lernenden an ihrem Lernprozess und kann so zu noch höherer Motivation und größerem Lernerfolg führen.

Deutschlands Bildungsoffensive

In Deutschland hatte der Deutsche Bundestag im April 2019 das Grundgesetz (Art. 104c) geändert, um Bundesmittel für die Bildungsinfrastruktur zu ermöglichen. Mit dem „DigitalPakt Schule“ stellte die Bundesregierung fünf Milliarden Euro für fünf Jahre bereit, um die digitale Infrastruktur und Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland zu verbessern. Aufgrund der Pandemie erhöhte die Regierung die Finanzierung um weitere 1,5 Milliarden Euro. Mit dem „DigitalPakt 2.0“ strebt die Bundesregierung nun eine Verlängerung der Förderung an. In einem Gesetzentwurf heißt es laut Medienberichten, die Bundesländer müssten zusätzliche Anstrengungen unternehmen, „um eine Trendwende in der Digitalisierung im Bildungsbereich zu bewirken“. Dafür sollen in den Bundesländern bis zum Jahr 2030 Fördergelder eingesetzt werden. Wieviel Geld es geben soll, ist noch unklar. Bund und Länder sollen sich laut dem Entwurf die Kosten teilen. Ziel ist eine „zeitgemäße digitale Bildungsinfrastruktur an den Schulen“, heißt es in dem Papier. Auch Künstliche Intelligenz müsse mit allen Chancen und Risiken erschlossen „und für die Schulen verfügbar gemacht werden“.

Südkorea als Vorbild?

Südkorea setzt bereits seit 2007 traditionelle digitale Lehrbücher ein, die Lernende per Computer oder Tablet aufrufen können. Sie enthalten neben dem Text der klassischen Lehrbücher zusätzliche Funktionen wie Audio- und Videoclips, Animationen und Evaluierungsfragen. Eingesetzt werden die digitalen Lehrbücher für den Unterricht in Mathematik, Naturwissenschaften, Koreanisch, Englisch und Sozialkunde.

Neue, KI-integrierte Lehrbücher werden alles enthalten, was traditionelle digitale Lehrbücher bieten – und gehen zudem weit darüber hinaus. Die neuen KI-Bücher sind in der Lage, das Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler zu identifizieren und ihnen je nach individuellem Können entsprechende Aufgaben zu stellen. Im Weiteren wird die KI dazu beitragen, das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler zu analysieren, um den Lehrkräften zu helfen, ihren Unterricht anzupassen. In Sprachfächern wie Englisch setzen sie eine Spracherkennungsfunktion ein, um die Hör- und Sprechfähigkeiten der Schüler zu unterstützen. Die KI-Bücher sollen ein bisher unerreichbares Maß an individualisiertem Lernen ermöglichen.

Ab 2025 werden die KI-Lehrbücher in Südkorea im ganzen Land für die Fächer Mathematik, Englisch und Informatik eingeführt. In den kommenden Jahren werden weitere Fächer hinzukommen, wie beispielsweise Geschichte und Sozialwissenschaften. Bereits Dritt- und Viertklässler werden die neuen KI-Bücher künftig nutzen. Nur der Unterricht in den ersten und zweiten Klassen bleibt analog.

Neue Rolle der Lehrkräfte

Mit dem weitreichenden Einsatz von KI wird sich der Unterricht nicht nur für Schülerinnen und Schüler grundlegend verändern. Es wandelt sich auch das Anforderungsprofil der Lehrkräfte. Da die KI-gestützten Lehrbücher die Wissensvermittlung weitgehend übernehmen, Lernfortschritte evaluieren und Lehrangebote anpassen, werden Lehrkräfte kaum noch als Wissensvermittler gebraucht. Sie werden Mentoren und Motivatoren. Dafür wird die emotionale Kompetenz der Lehrkräfte wichtiger. Ihre Aufgabe wird es künftig sein, zu motivieren und soziale Fähigkeiten zu stärken. Zudem gilt es, Kreativität und Fähigkeit zum kritischen Denken zu fördern.

Um die Lehrkräfte auf ihre neuen Aufgaben vorzubereiten, hat die südkoreanische Regierung ein Ausbildungsprogramm mit dem Namen TOUCH („Teachers who Upgrade Class with High-Tech“) gestartet. Auch technische Kompetenzen werden wichtiger. Lehrkräfte, die bereits mit digitalisiertem Unterricht Erfahrung haben, geben ihr Wissen an Kolleginnen und Kollegen in Intensivkursen während der Schulferien weiter. 2023 konnten so bereits 400 digitale Bildungsexperten ausgebildet werden. 2024 sollen es 800 sein, 2025 dann 1.500. Allerdings erhalten nur ein Bruchteil aller Lehrerinnen und Lehrer in Südkorea dieses Intensivprogramm. Etwas weniger intensiv will das Ministerium bis 2026 rund 34.000 Lehrkräfte ausbilden. Danach sollen sie ihre Schulen beim digitalen Wandel unterstützen.

Nicht alle Digitalisierungsschritte sind in Südkorea glatt gelaufen. So haben sich die 2007 eingeführten digitalen Schulbücher in der Praxis des Schulunterrichts noch nicht wirklich durchgesetzt. Viele Lehrkräfte hatten noch nie etwas davon gehört, wie eine Befragung der koreanischen Rundfunkanstalt KBS zeigte. Andere scheiterten an technischen Schwierigkeiten. Mit der neuen Reform soll deswegen auch mehr Geld in die digitale Bildung investiert werden. Allein für die Ausbildung der Lehrer sollen im kommenden Jahr zusätzlich rund 276 Millionen US-Dollar ausgegeben werden.

Zweifel in Schweden

Während Südkorea voll und ganz auf Digitalisierung im Unterricht setzt, hört man aus Schweden neuerdings kritische Stimmen. Auch das skandinavische Land hatte zuletzt zahlreiche digitale Instrumente eingesetzt. Nun nimmt man diese Schritte teilweise wieder zurück. So müssen digitale Endgeräte nicht mehr verpflichtend an Vorschulen eingesetzt werden. Auch in den Grundschulen will Schweden die Digitalisierung rückgängig machen und wieder verstärkt auf klassische Bücher setzen.

Eine Stellungnahme des renommierten Karolinska Instituts hatte den Hype um Digitales Lernen gebremst. Digitale Unterrichtsmittel enthielten zu viel Ablenkung, störten die Konzentration und seien insbesondere für Grundschulkinder von Nachteil. Außerdem seien viele Annahmen zum positiven Effekt des digitalen Lernens wissenschaftlich noch gar nicht untersucht und erwiesen. Die eigenständige Recherche von Lernenden im Netz erhöhe zwar möglicherweise die Selbstständigkeit, koste aber auch viel Zeit und führe zu geringem Lernerfolg. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass beim Einsatz von digitalem Unterrichtsmaterial die Schüler und Schülerinnen auf eine Bildschirmzeit von 40 bis 80 Wochenstunden kamen.

Schweden will nun die Digitalisierung in Schulen verfeinern. In den älteren Jahrgangsklassen soll bessere Software verwendet werden – vielleicht lohnt sich ja auch für die Schweden ein Blick nach Südkorea. Allerdings müssen für eine erfolgreiche Digitalisierung grundlegende Voraussetzungen erfüllt sein. Da Kinder den Unterricht vor- und nachbearbeiten, sollte jede Schülerin und jeder Schüler ein eigenes Gerät haben. Außerdem benötigen sie eine gute Internetverbindung. Um Chancengleichheit sicherzustellen, sollte die Ausrüstung und Zugangsmöglichkeiten für alle Schüler gleich sein.

Bildungssysteme stehen vor Umbrüchen – in Südkorea, in Schweden, in Deutschland und in vielen anderen Staaten. Blicke auf die Maßnahmen und Erfahrungen anderer Länder können helfen, das eigenen Bildungssystem zu reformieren.

Maria Weinrautner* studiert Grundschullehramt in Regensburg und hat Anfang 2024 ein Praktikum bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Seoul absolviert.