Vermisst in Mexiko
Am 26.September dieses Jahres jährt sich das Verschwinden der 43 Studenten aus Ayotzinapa zum dritten Mal und trotzdem ist der genaue Aufenthaltsort der Vermissten noch nicht bekannt. Das Verschwinden löste damals in Mexiko großes Entsetzen aus: Massenproteste und Demonstrationen im ganzen Land. Hunderttausende gingen auf die Straße, Mexiko-Stadt war tagelang im Ausnahmezustand. Im Bundesstaat Guerrero wurden sogar mehrere Regierungsgebäude in Brand gesetzt. Auch nach fast drei Jahren halten die Proteste an, zuletzt im Juli dieses Jahres als Eltern, Angehörige und besorgte Bürger in Mexiko-Stadt wieder auf die Straße zogen. Leider hat sich an der Situation und den bisherigen Erkenntnissen über den Tathergang noch nicht viel geändert.
Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (IAKMR) nahm sich des Falles an und erhoffte sich durch die Einrichtung einer Expertenkommission die Ermittlungen besser überwachen zu können, um die Aufklärung des Falles zu beschleunigen. Im August 2017 reiste die Expertenkommission der IAKMR zum dritten Mal nach Mexiko, um die Einhaltung der Vorsichtsmaßnahmen und Empfehlungen der Sonderkommission zu kontrollieren und vor allem um die Staatsanwaltschaft in Mexiko weiter zu drängen, den Fall endlich abzuschließen. Bei einem Treffen zwischen Vertretern der Staatsanwaltschaft, der Regierung, des Außenministeriums und der Eltern der Vermissten bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass die Ermittlungen weiterlaufen und betonte die Verpflichtung der Ermittler, den vereinbarten Zeitplan einzuhalten, um die „bedauerlichen Umstände aufzuklären“.
Aufklärungsarbeit bleibt unzuverlässig
Die Eltern brachten vor allem ihre Unzufriedenheit und Frustration mit den Ermittlungsarbeiten zum Ausdruck. Dies ist vor dem Hintergrund, dass die Ermittlungen bis jetzt wohl als erfolglos bezeichnet werden können, nur zu verständlich. Ein erster veröffentlichter Bericht aus dem Jahr 2015 besagt, dass die Studenten auf einer Müllhalde von einer Drogenbande ermordet und verbrannt wurden. Diese Theorie wurde von der Expertenkommission der IAKMR aber schnell verworfen, als diese Beweise fanden, dass offenbar mehr als 17 Verdächtige gefoltert wurden. In den Berichten wurden nachweislich Tatsachen verdreht, Beweismaterial verschwand, während anderes höchstwahrscheinlich gefälscht wurde (wie beispielsweise die Geständnisse von sieben Verdächtigen mit identischem Wortlaut).
Bis heute gibt es keine Aufklärung der Ereignisse und eine offizielle Beendigung der Ermittlungen ist nicht abzusehen.
Für die Familien und Angehörigen der Vermissten ist der Fall eindeutig: ein klassischer Fall von Verschleierung, um die Verwicklung von Polizei und organisiertem Verbrechen zu vertuschen. Laut Zahlen des Nationalen Vermisstenverzeichnisses werden in Mexiko mehr als 30.000 Personen vermisst. Es ist aber anzunehmen, dass die tatsächlichen Zahlen weit höher sind. Das genaue Ausmaß des Problems ist jedoch nicht bekannt. Da die Strafverfolgung unterfinanziert, langsam und oft untätig ist, werden weniger als drei Prozent der Verbrechen aufgeklärt. Dies hängt auch damit zusammen, dass nicht selten Politik und Sicherheitskräfte in das organisierte Verbrechen verwickelt sind und so die Täter nie gefasst werden.
Beispielsweise wurden bei der Suche nach den 43 vermissten Studenten in Iguala Massengräber gefunden. Als jedoch klar wurde, dass die 43 Studenten nicht darunter waren, wurden die Gräber ohne weitere Untersuchungen wieder geschlossen.
Die 43 vermissten Studenten repräsentieren, wie weit die Korruption und Inkompetenz der Mexikanischen Regierung tatsächlich reicht. „Der Fall Ayotzinapa ist zu einem Symbol geworden“ sagt auch Paulo Vabbuchi, Kommissar bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte. Das Problem von gewaltsamen Entführungen besteht in Mexiko schon sehr viel länger und in weit größerem Ausmaß.
Aufklärung nur mit Hilfe von außen möglich
Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Mexiko engagiert sich aktiv für eine Verbesserung der Situation im Lande. Dabei unterstützt sie die lokale Partnerorganisation „Observatorio Nacional Ciudadano“, um die genaue Sachlage festzustellen und daraufhin Gegenmaßnahmen planen und umsetzen zu können. Das „Observatorio Nacional Ciudadano“ beschäftigt sich vor allem mit der Transparenz von Regierungsprozessen, um sicherzustellen, dass Entscheidungen im Interesse der Bürger getroffen werden. In Kooperation mit der Stiftung für die Freiheit in Mexiko wurde eine Studie „Statistisches Register des Verschwindens - Straftat oder Umstand?“ angefertigt, die über die Situation von gewaltsamen Entführungen in Mexiko aufklären soll.
Auch wenn bereits mehrere Datenbanken zu Vermissten in Mexiko existieren, so sind die meisten Statistiken fehlerhaft oder nicht vollständig. Aus Studien wie der des Nationalen Vermisstenverzeichnisses geht beispielsweise nicht hervor, ob es sich um gewaltsame Entführungen oder Verschwinden aus anderen Gründen handelt. Viele andere Schätzungen widersprechen sich oder sind methodisch mangelhaft ermittelt. Dies führt dazu, dass es in Mexiko bis jetzt kein verlässliches Register von Fällen gewaltsamer Entführungen gibt. Um die Situation nachhaltig verändern zu können, ist es aber notwendig, vollständige Informationen über den Ist-Zustand im Land zu haben.
Klar ist, dass Mexiko bei der Aufklärung der Entführungen auf Hilfe von außen angewiesen ist – auch um endlich zu ermitteln, was mit den 43 Studenten passiert ist - und um weitere Vorkommnisse dieser Art zu verhindern. Das korrupte Rechtssystem des Landes hat bisher eine Aufklärung des Falles verhindert. Der Wunsch der Bürger nach Veränderung der aktuellen Lage im Land ist nach den Geschehnissen vom 26. September 2014 - und auch drei Jahre später- jedenfalls sehr groß.
Vera Grieb ist Praktikantin im Stiftungsbüro in Mexiko-Stadt.