Warnzeichen für die Demokratie
Seit zehn Jahren findet jeden Mai das renommierte Oslo Freedom Forum in Norwegen statt. Das Freiheitsforum bringt Menschenrechtsaktivisten, Jungunternehmer, Philanthropen, Politiker, Denkfabriken und Stiftungen am Oslofjord zusammen. Auch das Europabüro der Friedrich Naumann Stiftung hat sich nun zum dritten Mal beim Oslo Freedom Forum, einer der größten Menschenrechts- und Freiheitsforen der Welt, mit einer eigenen Podiumsdiskussion beteiligt.
Unter dem Titel „Von Demokratie zu Diktatur“ hatten renommierte Menschenrechtsaktivisten die Möglichkeit, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen und sich so am Diskurs um den Stand der Menschenrechte weltweit zu beteiligen. Die Referenten Can Atalay aus der Türkei, Jose Luis Martin “Chito” Gascon aus den Philippinen, Pedro A. Urruchurtu Noselli aus Venezuela und Márta Pardavi aus Ungarn diskutierten gemeinsam mit Moderator und Journalist Bobby Gosh aus den USA die Tendenzen und Einflussfaktoren, die zum Niedergang von Demokratien führen können. Die Referenten debattierten über die Warnzeichen und darüber, was getan werden kann, damit andere Länder nicht den Weg in eine Diktatur beschreiten.
Zu diesem Themen sprach freiheit.org mit Márta Pardavi, Co-Vorsitzende des Hungarian Helsinki Committee, einer NGO, die sich für die Rechte von Flüchtlingen einsetzt, über die Situation in Europa und insbesondere in ihrem Heimatland Ungarn. Pedro Urruchurtu aus Venezuela setzte sich zum Ende des Gesprächs spontan dazu.
Frau Pardavi, wie kommt es, dass es ein Helsinki Comittee in Ungarn gibt?
Márta Pardavi: In den siebziger Jahren gab es ein sehr tiefgreifendes Abkommen, das nach mehrjähriger Verhandlung zwischen den westlichen Mächten und der Sowjetunion 1975 als Helsinki Schlussakte, auch bekannt als Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) in Europa, unterschrieben wurde.
Erstmals wurde in dieser Absichtserklärung auch ein Abschnitt über die ‚menschliche Dimension‘ eingefügt – damals ein anderer Ausdruck für Menschenrechte. Das war ein großer Meilenstein und der Anfang der zivilen Bewegung für Menschenrechte, die zunächst ihre Arbeit als Helsinki Comittee for Human Rights in Städten wie Moskau, Warschau und 1989 letztendlich in Budapest aufnahm. Die Hauptaufgabe des Helsinki Committee ist es, Menschenrechtsverletzungen aufzudecken und von Staaten das Einhalten ebendieser zu verlangen. Die Organisation ist in einer Zeit entstanden, als es risikoreich war, Menschenrechte anzuprangern. Interessanterweise ist es, fast 30 Jahre nach der Entstehung des Helsinki Committee in Ungarn, wieder zu einem Risiko geworden, sich mit dem Thema Menschenrechte auseinanderzusetzen.
Welche Entwicklungen in Bezug auf Menschenrechte kann man in Ungarn beobachten?
Márta Pardavi: In Ungarn kann man ein Zurückdrängen und sogar eine Leugnung der Menschenrechte beobachten. Die ungarische Regierung hat sich sowohl mit ihrer Propaganda in den Medien, als auch auf legislativer Ebene aktiv daran beteiligt, für diese Entwicklung zu sorgen. Die Regierung Ungarns ist stolz darauf, jeglichen Schutz von Menschenrechten für Asylsuchende und Flüchtlinge zu negieren. Es gibt ein massives Zurückdrängen von Nichtregierungsorganisation, die zum Thema Flüchtlinge arbeiten. Wir als ungarisches Helsinki Committee versuchen, über diese Umstände so gut es geht zu berichten und die Aufmerksamkeit auf diese Entwicklungen zu lenken. Wir wollen weiterhin zeigen, welche Menschenrechtsverletzungen in unserem Land stattfinden. Beispielsweise geht die Regierung so weit, dass sie nicht nur einen Zaun an der Grenze zu Serbien aufgebaut hat, sondern mithilfe der Grenzpolizei sogar Flüchtlinge brutal durch Anwendung physischer Gewaltzurückdrängt. Die Entwicklungen in dieser Hinsicht werden sich sehr wahrscheinlich verschlimmern. Gerade liegt ein Gesetzesentwurf vor, der jegliche Aktivitäten im Bezug auf Asyl und Flüchtlinge unter Strafe stellen will. Das beinhaltet zum Beispiel auch das Verteilen von Informationsmaterial über die eigenen Rechte als Flüchtling. Das Thema Migration ist zu einem Top Thema in Ungarn geworden. Dieser Aktionismus hat keinen Effekt auf Migration als solche, jedoch negative Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft, die Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschenrechte in Ungarn. Es ist sehr problematisch und deshalb bin ich froh, beim Oslo Freedom Forum dabei zu sein, um mit anderen Aktivisten reden zu können.
Was kann die EU, was können die Institutionen im ‚Fall Ungarn‘ tun?
Márta Pardavi: Nur so viel, wie die Mitgliedstaaten der EU wollen. Die EU Kommission hat letztes Jahr, als Ungarn ein Gesetz zum Verbot ausländisch finanzierter Nichtregierungsorganisationen auf den Weg brachte, mit ihrem Vertragsverletzungsverfahren getan, was sie in ihrem Werkzeugkasten zur Verfügung hatte. Ich vergleiche es gerne mit einem Auto, das nicht richtig funktioniert. Sind es nur Kleinigkeiten, die repariert werden müssen, ist es unkompliziert, das Auto wieder auf Vordermann zu bringen. Wird das Auto jedoch durch die Fahrweise des Fahrers komplett beschädigt, dann muss das Auto als Ganzes ausgetauscht werden. Die Schritte der Kommission, und auch die des Europäischen Parlaments, die mit ihren Beschlüssen durchaus sehr aktiv auf diesem Gebiet waren, wurden alle vom Europäischen Rat, den Mitgliedstaaten der EU also, gebremst.
Mit den Europawahlen nächstes Jahr wird sich noch einiges tun, vor allem innerhalb der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch die Partei von Ministerpräsident Viktor Orban, Fidesz, angehört; die Fidesz befindet sich gerade in einer sehr prekären und ist innerparteilich gespalten.
Was durch all diese Bewegungen freigesetzt wird, bleibt abzuwarten, vor allem, da Ungarn in diesem Monat (Juni 2018) sowohl noch einige legislative Veränderungen, als auch Verfassungsänderungen durchführen will.
Wenn ich mir jedoch die Lage in anderen Ländern, wie beispielsweise die Entwicklung in Venezuela anschaue, dann fühle ich mich deplatziert mit meiner Kritik, das ist natürlich ein anderes Ausmaß. Auf der anderen Seite, aus einer europäischen Sicht, ist es schockierend, was wir in Ungarn, einem Mitgliedstaat der EU, durchleben müssen.
Pedro Urruchurtu: Aus meiner venezolanischen Sicht ist Europa eine starke Kraft. Ihr seid vereint und ein Vorbild in Sachen Integration für uns Südamerikaner – davon können wir derzeit nur träumen. Ihr habt wahnsinnig starke Institutionen, die wir nicht haben. Mit den derzeitigen politischen Trends in Europa, wie dem Populismus, haben wir in Venezuela unsere Erfahrung. Wir haben auch politische Repräsentanten erlebt, die sich an der Verfassung unseres Landes zu schaffen machen. Es ist ein alarmierendes Zeichen für die Demokratie.
Daniela Oberstein ist Programm Managerin und Kommunikationsreferentin des Brüsseler Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.