Landtagswahl in Hessen
Warum ist es mit Rhein so schön?
Die Wählerinnen und Wähler in Hessen haben ganz klar die Partei des regierenden Ministerpräsidenten Boris Rhein gestützt und gestärkt und der CDU mit einer Steigerung um 7,6 Prozentpunkte einen klaren Regierungsauftrag gegeben. Die Grünen als die andere, an der Regierung beteiligte Partei dagegen haben gegenüber der vorherigen Wahl prozentual deutlich (-5,0 Punkte) an Zustimmung verloren und landen mit ihrem Ministerpräsidentenkandidaten Al-Wazir auf dem vierten Platz. Dies ist der eine Teil des Ergebnisses der Landtagswahl vom 8. Oktober in Hessen. Der andere Teil ist die besondere Situation, dass die AfD, vor SPD und Grünen, zweitstärkste Partei wurde, dass die SPD trotz namhafter Spitzenkandidatin ihr schlechtestes Landtagswahlergebnis in Hessen seit Menschengedenken einfuhr und dass die FDP denkbar knapp den Wiedereinzug ins hessische Parlament schaffte.
Nächstliegende Erkenntnis ist: Alle an der Bundesregierung beteiligten Parteien haben in Hessen an Stimmen verloren. Dieses, in allen Mediendarstellungen gerne angeführte Faktum relativiert sich allerdings dadurch, dass im ZDF-Politbarometer vor der Wahl 52 Prozent der Befragten angaben, ihre Entscheidung nicht an der Bundespolitik, sondern an der hessischen Landespolitik auszurichten. Dennoch wird deutlich:
1. Es gab sehr wenig Wechselstimmung im Land. Die CDU konnte auf guten Imagewerten und hohen Kompetenzbeimessungen in den Umfragen aufbauen. 47 Prozent der Befragten äußerten sich bei Infratest dimap mit der Landesregierung zufrieden; die Zusammenarbeit der beiden Regierungsparteien wurde von 46 Prozent als sehr gut oder gut bezeichnet. Auch wenn dies im Ländervergleich eher mittelmäßige Werte sind, so scheiterte eine Wechselstimmung wohl auch an den fehlenden Alternativen für andersfarbige Regierungskonstellationen. Auffällig immerhin: Eine Koalition der CDU mit der SPD wurde bei Infratest dimap vor der Wahl von 45 Prozent befürwortet, eine mit den Grünen nur von 36 Prozent.
Auch der Ministerpräsident kam in den Vorwahlbefragungen auf relativ gute Imagewerte, vor allem in Bezug auf Führungsstärke, Glaubwürdigkeit und Kompetenz. So äußerten sich – im Ländervergleich eher unterdurchschnittlich –zwar nur 45 Prozent der Befragten mit der Arbeit des Ministerpräsidenten zufrieden, dennoch kam Boris Rhein schon in den Vorwahlumfragen auf deutlich höhere Werte bei der Direktwahlfrage zum Ministerpräsidenten, als seine Konkurrentin von der SPD oder sein Konkurrent von den Grünen. Innerhalb der CDU Wählerschaft in Hessen war die Person des Spitzenkandidaten, nachweislich der Wahlanalyse von Infratest dimap, ein bedeutender Bestimmungsfaktor der Wahlentscheidung.
2. Der Wahlausgang wurde wesentlich von Sachthemen bestimmt. So sagten bei Infratest Dimap bei allen Parteien die meisten der Befragten, sie seien vom Programm der jeweiligen Partei zur Stimmabgabe veranlasst worden. Als wichtigste Themen wurden bei Infratest Dimap von den Befragten in Hessen die Themen Wirtschaftspolitik, Klima und Energie, Zuwanderung sowie Bildung genannt. Die wirtschaftliche Lage kann allerdings nicht der Stimmungs-Booster für die schwarz-grüne Landesregierung gewesen sein – in der Vorwahlbefragung von Infratest dimap beurteilten nur 48 Prozent der Befragten diese als insgesamt „gut“, deutlich weniger (-37 Punkte) als bei der vorherigen Wahl.
Schaut man sich die Kompetenzbeimessungen für die jeweiligen Parteien vor den Wahlen an, so liegt der Eindruck nahe, dass insbesondere das Thema Einwanderung/Asyl der AfD in die Hände gespielt hat, deren Wähler das Thema Zuwanderung überragend wichtig fanden. Die hohe wirtschaftspolitische Kompetenzbeimessung für die FDP, bei deren Wählerschaft das Thema klar vorn stand, zog dagegen eher nicht.
Das grundsätzliche Dilemma lässt sich an einer Frage in der Vorwahlbefragung von Infratest dimap ablesen: Gefragt nach der Partei, die ihrer Meinung nach „die wichtigsten Aufgaben in Hessen lösen“ könnte, nannten 33 Prozent die CDU, 16 Prozent die SPD, jeweils 9 Prozent Grüne oder AfD und 4 Prozent die FDP, während gleich 21 Prozent „keine Partei“ sagten. Neben der bedenklichen allgemeinen Vertrauenslücke gegenüber den Parteien ist besonders die Wertung für die Grünen (als Koalitionspartei!) bemerkenswert.
3. Wie aus der Wählerwanderungsanalyse von Infratest dimap erkennbar, zeigten die Wähler auch bei dieser Wahl eine hohe Volatilität. Die Bereitschaft, von einer Wahl zur nächsten sich für eine andere Partei zu entscheiden, war bemerkenswert hoch. In Hessen profitierte hiervon ganz besonders die AfD. Die Wahlbeteiligung in Hessen sank im Vergleich zur vorherigen Landtagswahl ab. Alle Parteien mit Ausnahme der CDU und der AFD verloren dabei Stimmen ans Nichtwählerlager. Und, besonders bemerkenswert: Alle Parteien – auch die CDU - verloren an die AfD. Bemerkenswert auch: Die FDP verlor im Nettosaldo massiv an CDU und AfD, gewann aber von Grünen, SPD und Linkspartei Stimmen hinzu.
5. Besonders die FDP wurde Opfer der deutlich negativen Bewertungen der Ampelkoalition in Berlin und verlor quer durch die Altersgruppen an Stimmen. Ihren stärksten Rückhalt fanden die Freien Demokraten auch in Hessen bei den jüngeren, insbesondere den jüngeren männlichen Wählern. Zwar sagte eine deutliche Mehrheit der verbliebenen Wählerinnen und Wähler der Freien Demokraten, dass sie ihre Wahlentscheidung aufgrund programmatischer Überlegungen getroffen hätten. Zudem äußerte eine deutliche Mehrheit, dass die Wahlentscheidung auf Überzeugung beruhe, nicht auf Verärgerung oder Enttäuschung über andere Parteien. Gleichzeitig litt die FDP in Hessen erkennbar unter der Kritik an der Arbeit der Bundesregierung: So sagten bei Infratest dimap 50 Prozent der Befragten: „Die FDP hält in der Bundesregierung nicht, was sie im Bundestagswahlkampf versprochen hat“. Dass es in Hessen dann doch, allerdings knapp, reichte, kündigte sich in der Vorwahlbefragung an, wo 50 Prozent äußerten: „Ich fände es gut, wenn die FDP weiter im hessischen Landtag vertreten wäre.“
6. Das überaus hohe Wahlergebnis der AfD in Hessen zeigt, dass die rechtlich abgestützten Bewertungen der Partei als in Teilen rechtsradikal oder rechtsextrem viele Menschen nicht davon abhalten, dennoch für diese Partei zu stimmen. Hier zeigen sich zum Teil erstaunliche Imagewerte, die von Infratest dimap ermittelt wurden. So sagen 69 Prozent der Befragten: „Ich halte die AfD für eine rechtsextreme Partei.“. Gleichzeitig ist es vielen Menschen offensichtlich egal, ob die AfD am äußersten rechten Rand des Parteiensystems steht, solange sie mit ihren eigenen Inhalten übereinstimmt. Und hier sagen 47 Prozent der Befragten: „Die AfD hat besser als andere Parteien verstanden, dass sich viele Menschen bei uns einfach nicht mehr sicher fühlen“, und 42 Prozent sagen: „Ich finde es gut, dass die AfD den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen stärker begrenzen will als andere Parteien.“
Fazit: Die Wahl in Hessen hat einige Fragen aufgeworfen, die beantwortet werden müssen. Vor allem die Frage, ob die Bundespolitik verstärkt zu einem Bestimmungsgrund für die Wahlentscheidung wird, stellt sich massiv. In Hessen sagten 51 Prozent der Befragten: „Die Landtagswahl ist eine gute Gelegenheit, den Regierungsparteien in Berlin einen Denkzettel zu verpassen.“ Im Hinblick auf die in 2024 anstehenden Wahlen lässt das so Einiges, und nicht nur Gutes erwarten.