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Ukraine Konflikt
Weder Durchbruch noch Kapitulation

Zustimmung zur „Steinmeier-Formel“ lässt viele Fragen offen

Die ukrainische Zustimmung zu einem Friedensprozess nach der „Steinmeier-Formel“ wird in westlichen Medien als Durchbruch gefeiert und trifft in der Ukraine auf teils scharfen Protest. In Wirklichkeit sind die meisten Fragen noch ungeklärt.

In einer seiner seltenen Pressekonferenzen verkündete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 1. Oktober 2019, die Trilaterale Kontaktgruppe – Ukraine, Russland und OSZE – habe sich auf  einen Friedensprozess nach der „Steinmeier-Formel“ geeinigt. Entsprechend dem Vorschlag des damaligen deutschen Außenministers von 2016 werde es einen Sonderstatus für die bislang okkupierten Gebiete des Donbas geben, der an die Durchführung von Lokalwahlen geknüpft ist. Konkret soll dieser Status am Abend der Wahlen vorläufig in Kraft treten. Dauerhaft gilt er, sobald die OSZE bestätigt hat, dass die Wahlen nach ihren Standards und entsprechend der ukrainischen Gesetzgebung abgelaufen sind. Das dafür notwendige Gesetz solle nach Aussage von Selenskyj vor der Verabschiedung im ukrainischen Parlament breit in der Öffentlichkeit diskutiert werden. 

Die neue Dynamik im Minsk-Prozess kommt nicht von ungefähr. Selenskyj hat seinen Wählern in den Wahlkämpfen 2019 Frieden versprochen, er steht unter hohem Erwartungsdruck. Sein Bemühen um eine weitere militärische Entflechtung in den Orten Solote und Petriwske und ein neues Gipfeltreffen im Normandie-Format konnte Wladimir Putin daher ausnutzen, indem er beides an eine Einigung auf die „Steinmeier-Formel“ knüpfte. Diese Einigung wird nun insbesondere von westlichen Medien als Durchbruch in der Konfliktlösung gefeiert. In der Ukraine dagegen hat sie einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, der Selenskyj Verrat und Kapitulation vor dem russischen Agressor vorwirft. In Wirklichkeit ist sie keins von beidem, sondern ein Schritt mit vielen ungelösten Fragen. 

Die große Unbekannte in der „Steinmeier-Formel“ liegt in der Reihenfolge ihrer Umsetzung, denn hierzu trifft sie keine Aussage. Die russische Seite pocht darauf, im ersten Schritt Lokalwahlen durchzuführen, bevor die sicherheitspolitische Lage verändert wird. Dies hieße de facto eine Wahl mit vorgehaltener Waffe, unter den unfreien Bedingungen der Separatistenherrschaft, in einem seit fünf Jahren durch die russische Propagandamaschine beherrschten Informationsraum. Ihr Ergebnis käme der Anerkennung des Status quo gleich, verschärft durch den dann möglichen Einfluss der lokalen Machthaber auf die ukrainische Politik. Nicht zuletzt würde für diese ukrainische Kapitulation Russland wohl auch noch mit Sanktionsabbau belohnt werden. Selenskyj hat dieses Vorgehen entsprechend ausgeschlossen und fordert, dass zunächst die schweren Waffen und russischen sowie prorussischen Kampfverbände abgezogen werden und die Sicherheit der Wähler und Wahlbeobachter mit Hilfe der OSZE garantiert wird. Nicht zuletzt ist entscheidend für eine Reintegration der Gebiete, dass ukrainische Wahlkandidaten Zeit und Gelegenheit haben, sich bekannt zu machen und in den neu gewählten Stadträten als Brückenbauer zum ukrainischen Staat wirken können.  

Wie also die Schritte zur Umsetzung aussehen werden, wird noch hart verhandelt werden müssen, und die Frage, wie der Sonderstatus der bislang besetzten Gebiete aussehen wird, ist dabei noch nicht einmal berührt. Für Wolodymyr Selenskyj steht bei diesem Prozess viel auf dem Spiel. Er will einerseits sein Wahlversprechen erfüllen und eine Friedenslösung erreichen. Andererseits ist gerade die „Steinmeier-Formel“ für viele Ukrainer ein rotes Tuch, wohl nicht zuletzt wegen ihrer Unbestimmtheit. Eine Umfrage der RatingGroup von Ende September zeigt, dass sie nur auf 18 Prozent Zustimmung stößt und damit die unbeliebteste aller diskutierten Lösungsansätze ist. Tausende versammeln sich nach Selenskyjs Verlautbarung bereits zu Protestaktionen in vielen Städten der Ukraine. Jedes Vorangehen, das nach „Kapitulation“ aussieht, könnte massive Mobilierungskräfte entfalten, das Land destabilisieren und auch den Präsidenten seine Beliebtheit, wenn nicht gar sein Amt kosten. Die Partner der Ukraine sollten sich keine Illusionen darüber machen, dass genau das im Kalkül des Kremls liegt. Ihr Part muss es sein, die neue Dynamik für Verhandlungen zu nutzen, aber zunächst auf einer Klärung der Sicherheitslage zu bestehen.