Veranstaltung
Wolf-Erich-Kellner-Preis 2022 für eine Studie über das Schweigen
Eine Studie über das Schweigen, genauer über die Politik des Schweigens, macht von sich reden und gewinnt den diesjährigen Preis der Wolf-Erich-Kellner-Gedächtnisstiftung: Prof. Dr. Theo Jung von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erhält für seine beeindruckende Habilitationsschrift die zum 57. Mal vergebene Auszeichnung für Liberalismus-Forschung. Die feierliche Preisverleihung fand im Einstein-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften statt.
Einem fundierten und zugleich anregenden Vortrag des renommierten Historikers und Freiburger Lehrstuhlinhabers Prof. Dr. Jörn Leonhard über „Walther Rathenau im Zeitalter der Extreme“ folgte die Überreichung des diesjährigen Wolf-Erich-Kellner-Preises an seinen akademischen Schüler. Die Laudatio hielt Dr. Ernst Wolfgang Becker, Kuratoriumsmitglied und stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Bundespräsident Theodor-Heuss-Haus in Stuttgart. Darin machte er deutlich, dass es sich bei der von Jung vorgelegten Studie um eine Neuvermessung der politischen Kommunikation im Europa des 19. Jahrhunderts handele. Schweigen sei dabei keine „Leerstelle“, sondern ein „spezifischer Modus“, der dazu diente, kommunikative Handlungsspielräume durch neue Verhaltensweisen wie beispielsweise den kollektiven Debattenboykott kreativ zu nutzen.
Während einerseits führende Politiker wie Napoleon III., Benjamin Disraeli oder Otto von Bismarck „den taktischen Wert der Schweigsamkeit“ einsetzten, sah sich andererseits die vergleichsweise hohe Zahl schweigender Parlamentarier medialer Kritik ausgesetzt. Intern genossen sie dagegen durchaus Wertschätzung, indem sie angesichts „der Gefahr eines vermeintlichen ‚Dauergeschwätzes‘“ die Funktionstüchtigkeit des Parlaments sicherten. Jung geht in seiner Arbeit aber nicht nur dem Schweigen im Parlament nach, sondern untersucht auch Parteitage, Salons, Geheimgesellschaften und mit den Schweigemärschen auch die Politik auf der Straße. Besonders die Vielfalt des Zugriffs zeichnet diese international vergleichende Arbeit aus, die von der Jury zu Recht ausgezeichnet wurde und nicht nur für die Liberalismus-Forschung als „großer Wurf“ bezeichnet werden kann. Über die Qualität und den Inhalt der Untersuchung von Theo Jung wurde am Abend der Preisverleihung und während des Empfangs durch das Archiv des Liberalismus jedenfalls nicht geschwiegen.