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Europa
Europäische Kommission: Die ersten 100 (stürmischen) Tage

100 Tage EU-Kommission

Ursula von der Leyen am 9. März 2025 im Berlaymont

© picture alliance / abaca | Monasse Thierry/ANDBZ/ABACA

Ursula von der Leyen hat eine Menge Arbeit vor sich. Einige Herausforderungen, die schon ihre erste Amtszeit als Präsidentin der Europäischen Kommission geprägt haben, sind in ihre zweite fünfjährige Amtszeit übergeschwappt. Angesichts des Konflikts zwischen Israel und Hamas im Gazastreifen, der Rivalität zwischen den USA und China und des russischen Krieges in der Ukraine erhöht die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus den Druck auf die Europäische Union, Führungsstärke zu zeigen.

Was die Herausforderungen im Inneren der EU angeht, so muss sich die neue Europäische Kommission mit dem neu aufflammenden Nationalismus in einigen Mitgliedstaaten  sowie mit populistischen Kräften auseinandersetzen, die auf Protektionismus drängen und die Aushöhlung demokratischer Werte vorantreiben. Hinzukommen ungelöste Migrationsfragen, kränkelnde Industrien und Sorgen um die Energiesicherheit Europas. Gleichzeitig muss die Kommission ihrem selbstgesteckten Ziel gerecht werden, dass niemand im Prozess des grünen Wandels und der digitalen Transformation zurückgelassen wird. 

Die Verteilung der Ressorts in Ursula von der Leyens zweitem Kollegium könnte als Versuch gesehen werden, diese Herausforderungen ganzheitlich anzugehen, mit allumfassenden Titeln und geteilten Verantwortlichkeiten. Kritiker sehen die neue Arbeitsteilung im Berlaymont jedoch eher als Weg, die Macht bei der Kommissionspräsidentin zu zentralisieren, indem niemandem tatsächliche Entscheidungsbefugnisse gegeben werden. Im Vergleich zu ihrer ersten Amtszeit (2019-2024) führt die neue Kommission bedeutende strukturelle Änderungen ein, darunter die Schaffung eines Kommissars für Verteidigung, die Zusammenlegung von Klima- und Wettbewerbspolitik und die Ernennung eines eigenen Ressorts für Industriestrategie und Wohlstand. Diese Neuaufstellung macht die Prioritäten der neuen EU Kommission für die kommenden Jahre deutlich: Verteidigung und Sicherheit, nachhaltiger Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit.

In ihren politischen Leitlinien für 2024-2029 hat die EU Kommission auch klare Ziele für die ersten 100 Tage ihrer Amtszeit festgelegt. Dazu gehören ein neuer „Clean Industrial Deal“, ein europäischer Aktionsplan für die Cybersicherheit von Krankenhäusern und Gesundheitsdienstleistern, die Initiative „KI-Fabriken“, das Weißbuch über die Zukunft der europäischen Verteidigung (ausstehend), die jugendpolitischen Dialoge, die Vision für Landwirtschaft und Ernährung und die Reform der EU Erweiterungspolitik (ausstehend).

Im Großen und Ganzen wurden die meisten 100-Tage-Ziele der Kommission erreicht. Am 19. März soll das Weißbuch über die Zukunft der europäischen Verteidigung vorgelegt werden, in dem der weitere Investitionsbedarf und die Möglichkeiten zur Stärkung der europäischen Verteidigung dargelegt werden. In Anbetracht des anhaltenden russischen Beschusses ziviler Ziele in der Ukraine und der scharfen Abkehr der Trump-Administration von Kyjiw und der Hinwendung zu Moskau ist die Langlebigkeit des Papiers jedoch fraglich. In Verteidigungsfragen ist Europa durch die gravierenden Versäumnisse in den Jahren zuvor nun gezwungen, auf Ad-hoc-Basis zu agieren, wobei die jüngste große EU-Initiative für Verteidigungsausgaben „ReArm Europe“ zeigt, dass die Dringlichkeit der Angelegenheit erkannt wurde.

Wenn es um die Erweiterung der Europäischen Union geht, lässt das Tempo des Beitrittsprozesses viel zu wünschen übrig. Die Union ist in dieser Frage nach wie vor gespalten, da sie Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Belastung und der Governance-Standards hegt, gleichzeitig aber anerkennt, dass die Erweiterung für die EU ein absolutes geopolitisches Gebot und ein Lackmustest für ihre langfristigen Ambitionen als globale Akteurin ist.

In Bezug auf Europas Wirtschaft ist viel passiert: Seit ihrem Amtsantritt am 1. Dezember 2024 hat die Kommission außerdem den Kompass für Wettbewerbsfähigkeit vorgestellt, die Union der Kompetenzen, begleitet von einem Aktionsplan für Grundfertigkeiten und einem Strategieplan für die MINT-Bildung, verabschiedet, und den Aktionsplan für den europäischen Automobilsektor  vorgelegt.

Einige der vorgestellten Initiativen, wie z.B. der Clean Industrial Deal, verlassen sich zu sehr auf Subventionen und andere staatswirtschaftliche Notinstrumente anstatt auf die Marktwirtschaft. Darüber hinaus führt die Effektivität der Europäischen Kommission bei der Erarbeitung neuer Initiativen nicht zwangsläufig zur Effektivität der Europäischen Union als Ganzes. Die Vereinfachung sollte der treibende Gedanke hinter jedem neuen Vorschlag der Europäischen Kommission sein, der darauf abzielt, die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu steigern.

Auf internationaler Ebene ist es Ursula von der Leyen zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit gelungen, nach fast 25 Jahren Verhandlungen eine politische Einigung über eine bahnbrechende Partnerschaft mit den Mercosur-Ländern zu erzielen, eine politische Einigung über eine modernisierte Partnerschaft zwischen der EU und der Schweiz zu erreichen und ein modernisiertes Handelsabkommen mit Mexiko abzuschließen.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Der Schwerpunkt der zweiten Amtszeit von Ursula von der Leyen liegt auf Verteidigung und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit . Die Initiativen der Kommission, die darauf abzielen, die Energiepreise zu senken, private Investitionen zu mobilisieren und internationale Partnerschaften zu fördern, sind richtig. Die Umsetzung des kürzlich verabschiedeten 800-Milliarden-Euro-Verteidigungsplans, der Versuch den wirtschaftlichen Gegenwind, einschließlich des schleppenden Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit, in den Griff zu bekommen, sowie die Sicherstellung umfangreicher Investitionen in nachhaltige Technologien und Infrastruktur - die alle mit einer erheblichen Deregulierung einhergehen -  werden die nächsten Kriterien sein, an denen die Leistung der Kommission gemessen wird.

Von der Leyens verbleibende Ziele für die ersten 100 Tage wurden erreicht, aber sie stellen nur den Ausgangspunkt für die tatsächlichen Ergebnisse dar. Sie sind ein erster Schritt in Richtung Gesetzgebung, Vorschläge, Diskussionspapiere, strategische Ausblicke und Dialogformate. Ihr Erfolg muss sich erst noch an ihrer Umsetzung und Wirkung messen lassen.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
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