EU-Ratspräsidentschaft
Ungarn übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft von Belgien
Am Montag, den 1. Juli, übergibt Belgien die Präsidentschaft des Europäischen Rates an Ungarn. In einer Zeit des Umbruchs in Europa kommt diesem eigentlich rein turnusmäßigen Wechsel eine hohe Symbolkraft zu. Die Präsidentschaft geht von einer verlässlichen Stütze der europäischen Idee, das als erster EU-Mitgliedstaat den Vorsitz im Rat zum 13. Mal innehatte, auf eine Regierung über, die sich in den zurückliegenden Jahren den Ruf des Enfant terrible der Europäischen Gemeinschaft erworben hat. Wie hat sich die belgische Präsidentschaft geschlagen? Welche Prioritäten wird Ungarn setzen? Und was können wir von diesem Übergang erwarten?
Die belgische Ratspräsidentschaft fiel in eine äußerst turbulente Zeit: Der russische Angriffskrieg dauerte noch an, der Konflikt im Nahen Osten war wiederaufgeflammt, und das Superwahljahr 2024 nahm seinen Anfang. Vor allem die Wahlen zum Europäischen Parlament Anfang Juni sind hier zu nennen. Sie nötigten den Ratsvorsitz, die Agenda seiner Gesetzesinitiativen gleich in den ersten Monaten des Jahres abzuarbeiten, da das Europäische Parlament nach Ostern in den Wahlkampfmodus umschaltete. Folglich bemühte sich Belgien, in den ersten drei Monaten so viele Gesetzesvorhaben wie möglich zum Erfolg zu führen, um sich in der zweiten Hälfte seiner Präsidentschaft auf eine stärker zukunftsorientierte Arbeit zu konzentrieren.
Belgien, das allgemein als ehrlicher Makler gilt, bewies seine Fähigkeit, Kompromisse zu finden, indem es innerhalb eines engen Zeitplans mehrere Hürden nahm. Unter dem Motto "Schützen, stärken, vorbereiten" erstellte die belgische Ratspräsidentschaft einen Arbeitsplan, der die Themen Rechtsstaatlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit, grüner Wandel, Sozial- und Gesundheitsagenda, Migration und die globale Rolle Europas umfasste. Darüber hinaus konnte der Krieg Russlands gegen die Ukraine als übergreifendes Thema betrachtet werden, das fast alle Politikbereiche berührte.
Legislativer Vorstoß
Im Rahmen seines legislativen Vorstoßes griff Belgien mehrere wichtige Initiativen des schwedischen Vorgängers (zweite Jahreshälfte 2023) auf und brachte sie zum Abschluss. Dazu gehören bahnbrechende Dossiers, die die Wettbewerbsfähigkeit Europas im Bereich der Netto-Null-Technologien fördern, wie das Gesetz über kritische Rohstoffe (CRMA) und das Gesetz über die Netto-Null-Industrie (NZIA). Im Bereich der Umweltpolitik wurden diese Ergebnisse durch eine überraschende Einigung über die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur ergänzt. Diese Verordnung, die die Wiederherstellung von Land- und Meeresgebieten bis 2030 zum Ziel hat, wurde in den letzten Tagen des Ratsvorsitzes auf den Weg gebracht – die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler gab am 17. Juni dazu den Ausschlag. Weitere wichtige Ergebnisse des belgischen Ratsvorsitzes waren die Reform der Haushaltsvorschriften für die Mitgliedstaaten, die Vervollständigung des Einwanderungs- und Asylpakts, Maßnahmen zum Schutz von Arbeitnehmern auf digitalen Plattformen, eine Überarbeitung der Schengen-Kodizes und Rechtsvorschriften zur künstlichen Intelligenz.
Unterstützung für die Ukraine
Die politisch brisantesten Dossiers des belgischen Ratsvorsitzes, insbesondere im Hinblick auf die bevorstehende ungarische Präsidentschaft, waren die Dossiers über die Unterstützung der EU für die Ukraine. Dies begann Anfang Februar, als sich die Mitgliedstaaten auf ein Fünfzig-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die Ukraine einigten, nachdem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán davon überzeugt werden konnte, sein Veto zurückzuziehen. In der letzten Woche des belgischen Ratsvorsitzes rückte das Thema erneut in den Mittelpunkt, nachdem die ungarische Regierung fast ein Jahr lang Erstattungen für die militärische Unterstützung der Ukraine blockiert hatte. Dadurch entstand ein Rückstand von fast 6,6 Milliarden Euro im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität, einem Instrument zur Finanzierung von Verteidigungsgütern für die Ukraine. Auf ihrer letzten Sitzung unter belgischem Vorsitz fanden die EU-Außenminister am 24. Juni endlich einen legalen Weg, um das ungarische Veto zu umgehen. Bevor Belgien den Staffelstab übergab, einigten sie sich auf die Verwendung von Zinsen auf eingefrorene russische Vermögenswerte zur Finanzierung der militärischen Unterstützung der EU für die Ukraine.
Damit geht eine ambitionierte und gleichermaßen effektive Präsidentschaft zu Ende. Es gelang Belgien, mehrere wegweisende Dossiers abzuschließen und den Weg für den ungarischen Ratsvorsitz in der zweiten Jahreshälfte 2024 freizumachen.
Ungarn übernimmt
"Make Europe great again": Dieser Appell wurde erst vor wenigen Tagen als offizielles Motto des ungarischen Ratsvorsitzes bekannt gegeben. Es kommt angesichts der engen Beziehungen und gegenseitigen Wertschätzung des ungarischen nationalistisch-populistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und des Präsidentschaftskandidaten der US-Republikaner Donald Trump nicht gänzlich überraschend.
János Bóka, Ungarns Minister für EU-Angelegenheiten, sagte dazu: "Gemeinsam sind wir stärker als alleine. Aber wir sollten bleiben dürfen, wer wir sind, während wir zusammenarbeiten". Während des Europawahlkampfs hatte Orbáns wichtigster Wahlkampfslogan in freier Übersetzung gelautet: "Lasst uns Brüssel besetzen". Es steht zu befürchten, dass Ungarn seine Ratspräsidentschaft auch dazu nutzen wird, sich an prominenter und gut sichtbarer Stelle als Säule einer Agenda aus Konservatismus, Nationalstaatlichkeit und antigrüner Politik in Szene zu setzen.
Orbán selbst geht dabei eigentlich geschwächt in die nächsten sechs Monate. Obwohl er und seine Fidesz-Partei die Zügel im Land nun schon seit knapp anderthalb Jahrzehnten in Händen halten, ist ihre Position nicht so fest, wie es der Premier gerne glauben machen möchte. Anfang des Jahres, nach dem Ausbruch zahlreicher innerparteilicher Skandale, ist ein neuer charismatischer Gegenspieler auf den Plan getreten. Peter Magyar, ein ehemaliger Fidesz-Insider und politischer Weggefährte, hat den Bruch gewagt und die Führung einer bis dato unbekannten Partei, der Tisza, übernommen. Bei den EU-Wahlen ist sie auf dem zweiten Platz gelandet, hinter Fidesz, und wird nun sieben Abgeordnete nach Brüssel und Straßburg schicken. Fidesz selbst hat mit rund 44 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis seit Jahren erzielt.
Das Image der Regierungspartei wurde durch zahlreiche große Proteste in den vergangenen Monaten erschüttert, bei denen die Menschen ihre Unzufriedenheit mit der derzeitigen autokratischen Herrschaft zum Ausdruck brachten, die durch innerparteiliche Korruptionsskandale noch verstärkt wurde. Auch aus den Kommunalwahlen, die in Ungarn zeitgleich mit den Europawahlen stattfanden, ging Fidesz geschwächt hervor. Die Hauptstadt Budapest bleibt eine Bastion des Anti-Orbanismus; Gergely Karácsony von der linksliberalen Partei Dialog konnte sein Amt als Oberbürgermeister verteidigen, wenn auch nur knapp und nach einer Neuauszählung der Stimmen, aber immerhin.
Trotz Orbáns Anti-EU-Propaganda, in der Brüssel vor allem als egalitaristische Bedrohung erscheint, ist die ungarische Gesellschaft überwiegend pro-europäisch eingestellt. Laut einer Studie des Republikon-Instituts, eines Partners der FNF, halten die meisten Ungarinnen und Ungarn die EU-Mitgliedschaft für vorteilhaft. 2021 hatte Republikon schon einmal versucht, die Stimmung gegenüber der EU zu erfassen. Seinerzeit gaben rund 75 Prozent von fünftausend Befragten an, dass sie bei einem Referendum über die EU-Mitgliedschaft für den Verbleib stimmen würden.
Die ungarische Ratspräsidentschaft fällt in eine weltpolitisch spannungsreiche Phase. Es gab Forderungen, nach Wegen zu suchen, eine Ratspräsidentschaft Ungarns zu verhindern, aufgrund der kontinuierlichen Nichteinhaltung von EU-Recht und des allgemeinen schlechten Zustands der Rechtsstaatlichkeit im Land – die LGBTQ+-Personen werden diskriminiert, Umweltfragen oder der Schutz der Rechte von Einwanderern und Asylbewerbern werden nicht ernstgenommen. Letzteres war jüngst Gegenstand einer vom Europäischen Gerichtshof gegen Ungarn verhängten Geldstrafe in Höhe von zweihundert Millionen Euro, weil das Land das EU-Asylrecht mit Füßen tritt, obwohl es bereits 2020 zur Änderung der Maßnahmen aufgefordert wurde. Darüber hinaus wird Ungarn mit einer Geldstrafe in Höhe von einer Million Euro pro Tag belegt, bis es die Auflagen erfüllt.
Wie Europa-Minister Bóka vergangene Woche ankündigte, wird sich Ungarn auf sieben Schlüsselprioritäten konzentrieren, insbesondere auf die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU, die Stärkung der Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich, die Steuerung der Migration und die Unterstützung der EU-Erweiterung. Der Minister kündigte außerdem an, dass Ungarn ein neues, an den Bedürfnissen der Landwirte orientiertes Agrarabkommen erreichen, einen in seinem Sinne effizienten Schutz der Außengrenzen gewährleisten und die Ursachen der Migration bekämpfen will. Was die Unterstützung der EU-Erweiterung betrifft, so richtet sich Budapests Blick eher auf den westlichen Balkan, nicht aber auf die Ukraine. Nach Ansicht des Republikon-Instituts ist dies ein strategischer Schachzug, da die Regierung Orbán hofft, auf diese Weise neue Verbündete zu gewinnen – durch die Abwahl der PiS-Partei Ende 2023 hatte sie Polen als politideologischen Waffenbruder verloren.
Die politische Positionierung des ungarischen Ratsvorsitzes ist also recht klar. Allerdings ist derzeit noch ungewiss, welche konkreten Ergebnisse er zeitigen wird. Die Themenagenda dreht sich im Allgemeinen um Industrie, Landwirtschaft und Sicherheit. Die Tatsache, dass Ungarn am Pranger steht, dürfte das Land allerdings in seiner Dynamik lähmen – die EU hält nach wie vor Gelder für Ungarn zurück wegen langfristiger Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien. Außerdem hat Orbáns Regierung in den letzten Monaten bekanntlich wichtige Entscheidungen blockiert, vor allem in Bezug auf wichtige militärische und humanitäre Hilfe für die Ukraine.
Sorgen bereitet auch der Einfluss des neuen Ratsvorsitzenden auf die EU-Klimapolitik, insbesondere auf die Festlegung der Ziele für 2030 und die Vision einer klimaneutralen EU bis 2050. Orbáns Regierung gilt als scharfe Kritikerin des Green Deals. Dennoch sollte der Einfluss des rotierenden Ratsvorsitzes nicht überbewertet werden, da es das Europäische Parlament und die Europäische Kommission sind, die die Entscheidungen in erster Linie treffen. Und Orbáns Regierung weiß sehr wohl, dass die Mitgliedstaaten bei Bedarf immer eingreifen können.