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Antisemitismus
Antisemitismus in Europa: die EU sagt Judenfeindlichkeit den Kampf an

Kerzen und Kränze von Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz stehen an der sogenannten „Todesmauer“ auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz I anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung des Lagers am 27. Januar 2025 in Oswiecim, Polen. T

Kerzen und Kränze von Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz stehen an der sogenannten „Todesmauer“ auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz I anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung des Lagers am 27. Januar 2025 in Oswiecim, Polen.

© picture alliance / Middle East Images | Bob Reijnders

Antisemitismus ist für viele Juden und Jüdinnen in Europa noch immer trauriger Alltag. Die Ereignisse des 7. Oktober 2023 haben den Antisemitismus wieder stärker sichtbar machen lassen, doch er war nie aus Europa wirklich verschwunden. Eine von der EU in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass in den letzten Jahren der Antisemitismus wieder an Aufschwung gewonnen hat. Dies gibt Anlass zur Sorge. Jüdische Mitbürger nehmen in Teilen der Gesellschaft wahr, dass Antisemitismus wieder salonfähig geworden ist. Die Europäische Union hat Maßnahmen und Strategien entwickelt, wie man den Antisemitismus in Europa bekämpfen und Juden und Jüdinnen in Europa schützen will.

Am 27. Januar 1945, genau vor 80 Jahren, wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreit - ein historisches Ereignis das die unfassbare Dimension des Holocaust und die nationalsozialistischen Verbrechen sichtbar machte. Das Konzentrationslager Auschwitz war das größte deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager. Es gibt keinen Ort wie diesen, der so symbolisch für den Holocaust steht wie Auschwitz. Insgesamt 1.689 Tage lang wurden in diesem wohl grausamsten Konzentrationslager Menschen unter unmenschlichen Bedingungen zur Zwangsarbeit gezwungen, gedemütigt und ermordet. Mehr als eine Million Menschen verloren dort ihr Leben, darunter weit über 900.000 Jüdinnen und Juden. Der internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, der an diesem Tag stattfindet, wurde auf Initiative der Vereinten Nationen im Jahre 2005 eingeführt. In diesem Jahr wird dieser Tag von schweren Ereignissen überschattet. In letzter Zeit ist ein drastischer Zuwachs von Judenfeindlichkeit in Europa zu verzeichnen. Antisemitisch motivierte Straftaten und Äußerungen haben seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 zwar nochmals deutlich zugenommen, verstärken aber nur den ohnehin dramatischen Anstieg von Antisemitismus in den Staaten Europas. Bereits in den Jahren zuvor rückte das Thema Antisemitismus in den Fokus und wurde von den europäischen Behörden ins Visier genommen.

Der Wiederaufstieg des Antisemitismus

Lichter beleuchten die Betonplatten des Holocaust-Mahnmals, nachdem die Sonne am Vorabend des Internationalen Holocaust-Gedenktages untergegangen ist, der den Jahrestag der Befreiung des Nazi-Todeslagers Auschwitz-Birkenau markiert, in Berlin, Deutschland, Sonntag, 26. Januar 2025

Vor 80 Jahren endete mit der Befreiung von Auschwitz eines der dunkelsten Kapitel. Heute wächst Antisemitismus erneut: Konflikte wie im Nahen Osten schüren Hass, während die Lehren aus der Geschichte immer mehr verblassen.

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80 Jahre nach dem Fall Nazi Deutschlands - Der Antisemitismus ist wieder auf dem Vormarsch in Europa

Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) hat 2024 eine EU-Studie zum Thema antisemitische Einstellungen publiziert. In der Studie wurden jüdische Bürger und Bürgerinnen einzelner ausgewählter EU-Mitgliedsstaaten zu ihren Erfahrungen und Wahrnehmungen hinsichtlich Antisemitismus befragt. Die Ergebnisse der Umfrage sind erschreckend. Jüdische Bürger der EU Staaten begegnen Antisemitismus nahezu ständig.

Dies belegen auch die Prozentzahlen, die sich aus der Studie ergeben. So äußern 80% der Befragten, dass sie das Gefühl haben, dass die Judenfeindlichkeit in den letzten 5 Jahren zugenommen hat. Das Ausmaß wird noch deutlicher, wenn man sich die Zahl der Juden und Jüdinnen ansieht, die im letzten Jahr Antisemitismus begegnet sind. Ganze 96% teilen mit, dass sie online oder offline Antisemitismus in den vergangenen Monaten erlebt haben.

Bezüglich der Wahrnehmung ihrer Sicherheit steht es nicht besser. Die Mehrheit der Befragten (53%) sorgt sich um ihr eigenes Wohlbefinden und fühlen sich nicht sicher in ihrer Umgebung. Dies führt dazu, dass jüdische Mitbürger es vorziehen, sich in der Öffentlichkeit nicht als Juden erkennen zu lassen. Die eigene Identität wird, gemäß der Studie, insgesamt von 76% der Juden und Jüdinnen gelegentlich verborgen, aus Angst, Opfer eines Angriffs zu werden.

Diese Angst ist nicht unbegründet. In den letzten Monaten kam es in Europa vermehrt zu Attacken gegen Juden und Jüdinnen. Erst letztes Jahr wurde der 30-jährige Lahav Shapira in Berlin Opfer einer antisemitischen Gewalttat, als er von einem 23-jährigen pro-palästinensischen Kommilitonen krankenhausreif geschlagen wurde. Ein besonders hohes Aufsehen erregte zudem der Angriff auf Fans des israelischen Fußballclubs Maccabi Tel Aviv, die am Rande eines Fußballspiels von mehreren Personen im Amsterdamer Stadtzentrum angegriffen worden waren. Bei den gewalttätigen Übergriffen wurden fünf Israelis schwer und 20 bis 30 weitere leicht verletzt. Der Angriff war wohl lange im Voraus geplant gewesen und soll mithilfe von Chatgruppen koordiniert worden sein.

Oft wird fälschlicherweise angenommen, dass Antisemitismus ausschließlich ein Problem der politischen und religiösen Extreme ist. In Europa, wie auch auf der ganzen Welt, sind Stereotype gegenüber Juden und Jüdinnen jedoch ein gesellschaftliches Problem. Eine Studie der Anti-Defamation League zeigt, dass beinahe die Hälfte der Weltbevölkerung (46%) antisemitische Überzeugungen hegt. Als antisemitische Aussagen gelten zum Beispiel: “Juden sind loyaler zu Israel als zu ihrem Heimatland” oder auch “Juden sind für die meisten Kriege auf der Welt verantwortlich". Daher sollte man sich nicht nur auf Islamismus und den politischen Extremismus fokussieren, wenn man es mit der Bekämpfung von Judenfeindlichkeit ernst meint.

Europäische Maßnahmen gegen Antisemitismus: Was wurde bisher erreicht?

Um gegen den Antisemitismus effektiv vorzugehen, hat die EU 2021 einen Aktionsplan mit dem Namen “Antisemitismus bekämpfen und jüdisches Leben in Europa fördern” ins Leben gerufen. Dieser soll bis 2030 realisiert werden. Die europäischen Staaten werden darin aufgefordert, eine nationale Strategie zur Bekämpfung der Judenfeindlichkeit in ihrem Land zu entwickeln und einen nationalen Koordinator des Landes zu ernennen. Besonders hinsichtlich der Lage im Nahen Osten hat sich jedoch die Situation für Juden und Jüdinnen in Europa dramatisch verschlechtert.

Im April letzten Jahres wurde daher ein neues “Europäisches Netzwerk zur Beobachtung von Antisemitismus” gestartet. In der Vertretung der EU-Kommission in Berlin wurde das Projekt vorgestellt, das sich zum Ziel gesetzt hat, vergleichbare Daten über antisemitische Vorfälle in ganz Europa zu liefern. Laut Katharina von Schnurbein, der Antisemitismusbeauftragten der Europäischen Kommission, müsse Antisemitismus sichtbar gemacht werden, um ihn bekämpfen zu können. In der Vergangenheit wurden antisemitische Vorfälle nur unzureichend gemeldet und Daten zwischen den EU-Mitgliedstaaten waren nicht miteinander vergleichbar. Dies ist somit ein essenzieller Schritt um Antisemitismus effektiv aus der Gesellschaft zu verdrängen.

Des Weiteren wurde letztes Jahr eine Deklaration der EU-Außenminister unterschrieben, mit dem Ziel, Antisemitismus in Europa entschlossener entgegenzutreten. Für die Mitglieder des Rates der EU bedeutet dies, jüdisches Leben durch Kultur, Bildung und das Gedenken an den Holocaust zu fördern und damit Toleranz, gegenseitiges Verständnis sowie interkulturellen Dialog zu stärken.

Der Weg zu einer gerechten und toleranten Gesellschaft - Was bleibt zu tun?

Eine Chance gerade jüngere Europäer für das Thema Antisemitismus zu sensibilisieren bietet die zunehmende Digitalisierung. Es wird bereits gemeinsam mit israelischen und deutschen Entwicklern und Spielern eine Holocaust-Gedenkstätte in der virtuellen Welt aufgebaut und diverse Spiele entwickelt, die die Erlebnisse der Holocaust-Überlebenden originalgetreu wiedergeben. So erlebt beispielsweise der Spieler in dem Spiel 'The Light of the Darkness', wie eine jüdische Familie in Paris im Jahr 1940 Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt ist und schließlich deportiert wird. In Zukunft bietet sich die Gelegenheit, dieses Angebot noch weiter auszubauen, um antisemitisches Denken erst gar nicht entstehen zu lassen.

Die EU ist dennoch gefordert, die von ihr ausgearbeiteten Maßnahmen auszubauen. Die Etablierung eines Aktionsplans und eines europäischen Netzwerks, die die EU Staaten dazu auffordert, Initiative zu ergreifen, ist ein guter erster Schritt. Dennoch ist es noch ein weiter Weg, den Antisemitismus in der Gesellschaft zurückzudrängen. Die politische Mitte aller europäischen Staaten muss ihre Zusammenarbeit weiter festigen, um Antisemitismus von rechts als auch von links, keine Chance zu geben. Antisemitismus ist nach wie vor ein großes Problem in Europa, das gemeinsam und in europäischer Zusammenarbeit stärker bekämpft werden muss. Da dieses Phänomen länderübergreifend ist, wird es nicht allein auf nationalstaatlicher Ebene zu lösen sein.

Bei Medienanfragen kontaktieren Sie bitte:

Florian von Hennet
Florian von Hennet
Leiter Kommunikation, Pressesprecher
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