Frankreich
„En Marche“ gegen Rechts
Was in Frankreich vergangene Woche im Zuge in der im Juni anstehenden Regionalwahlen geschah, kommt einem Psychodrama in mehreren Akten gleich: Premierminister Jean Castex kündigte am 2. Mai an, dass die Macron-Partei La République en Marche (LREM) in einer südfranzösischen Region an der Côte d’Azur auf eine eigene Kandidatur verzichten würde zugunsten eines konservativen Kandidaten der Républicains (LR). Im Sinne einer „Stimme der Vernunft und des gesunden Menschenverstands“ sei dies notwendig, um einen Wahlsieg des Rassemblement National, der rechtsextremen Partei von Marie Le Pen, die in der Region stark verwurzelt ist, zu verhindern, so der amtierende konservative Regionalpräsident.
Gemeinsame Wahllisten im Sinne eines Zweckbündnisses oder der Rückzug einer Kandidatur im zweiten Wahlgang sind im politischen System Frankreichs, das vom Mehrheitswahlrecht gekennzeichnet ist, an sich nichts Ungewöhnliches: so hatte etwa die Parti Socialiste bei den Regionalwahlen 2015, die kurz nach den Terroranschlägen in Paris stattfanden, ihre Kandidatur zugunsten der Konservativen zurückgezogen, um einen Sieg der damals noch Front National genannten rechtsextremen Partei zu verhindern. Angesichts aktueller Umfragewerte von nur 13% für die eigene Kandidatin schien ein solcher präventiver Schritt also eine pragmatische Lösung seitens LREM im Kampf gegen die Rechtsextremen darzustellen, die mit ihrem Kandidaten in den Umfragen gegenwärtig vier Prozentpunkte (31%) vor dem konservativen Kontrahenten (27%) liegen. Doch das als pragmatisch und auf lokale Begebenheiten begrenzte Zweckbündnis gegen Rechts führte bei den Konservativen zu einer Sinnkrise, die mit heftigen Schlagabtauschen begleitet wurde bis hin zu Forderungen, den eigenen Kandidaten aus der Partei auszuschließen. So sah sich letztlich die LREM-Kandidatin angesichts dieser „Pariser Hahnenkämpfe“ gezwungen, ihre Wahlliste wieder aufzustellen. Womit wir wieder am Anfang wären.
Welche Konkurrenz stellt LREM für die Konservativen dar?
Die konservativen Républicains stehen seit der Wahl Emmanuel Macrons unter Druck, da sie einen nennenswerten Aderlass zu verkraften hatten, schließlich verloren sie einen Teil ihrer einstigen Vorzeigemänner wie Gérald Darmanin oder Bruno le Maire an die Partei des Präsidenten. LREM sieht sich selbst vielmehr auf einem „dritten Weg“, abseits des Links-Rechts-Schemas, und möchte sich als Partei der Mitte präsentieren. Es wäre zu kurz gegriffen, die Verunsicherungen der Republikaner an einzelnen Personalien festzumachen. Vor allem in der Sozial- und Wirtschaftspolitik hat es Macron seit seiner Wahl vor fast genau vier Jahren vermocht, eine liberale Reformagenda umzusetzen, von der manch Republikaner nur geträumt hätte. Neben der Abschaffung der Vermögenssteuer ist vor allem die Reform der Arbeitslosenversicherung zu nennen, die zum 1. Juli 2021 in ihrer endgültigen Form in Kraft tritt und die Aufnahme einer Arbeit gegenüber dem Erhalt von Arbeitslosengehalt attraktiver macht. Auch wenn einige Großbaustellen wie insbesondere die Rentenreform aufgrund des vehementen Widerstands einiger Teile der französischen Gesellschaft weiterhin offen sind und ein Abschluss noch vor den nächsten Präsidentschaftswahlen eher unrealistisch erscheint, sind die von LREM umgesetzten Reformen beachtlich.
Doch wer jetzt denkt, Macron sei nur ein besserer Republikaner, der irrt: die gesellschaftspolitische Grundhaltung von LREM unterscheidet sich im Kern von derjenigen der Konservativen. Im Sinne eines offenen Menschen- und Gesellschaftsbildes werden Themen wie Gleichberechtigung aktiv gefördert, zudem erfolgten massive Investitionen in Bildung zur Herstellung von mehr Chancengleichheit (bspw. die Aufstockung von Personal in so genannten „prioritären Zonen“) sowie in der Aus- und Weiterbildung (etwa mit dem Förderprogramm „1 jeune, 1 solution“). Auch die Infragestellung der Eliteuniversität ENA rüttelt an der ein oder anderen angestaubten französischen Tradition und ihren festgefahrenen Wegen.
Daher ist es bedauerlich, dass der Blick auf konkretes politisches Handeln gegenüber rhetorischen Zuordnungsdebatten verloren geht. Es bedarf einer nüchterneren Debatte im Sinne einer klaren Bilanz über Erfolge und Defizite, wie sie im Übrigen auf der Internetseite von En Marche transparent und Maßnahme für Maßnahme einsehbar ist. Diese Debatte wäre so nicht nur für die zukünftige französische Politikgestaltung, sondern perspektivisch auch für die nach den Bundestagswahlen dringend wiederzubelebende deutsch-französische Dynamik zielführender.
Abgrenzung nach Rechts wird zur Daueraufgabe für Macron
Verlässt man die Niederungen innerfranzösischer Regionalpolitik, zeigt sich an der Gedenkveranstaltung zum 200. Todestag Napoleons sowie der kraftvollen Reaktion der Regierung gegenüber dem erneuten Appell aktiver Generäle in der ultrakonservativen Zeitung Valeurs Actuelles, wie regelmäßig sich Staatspräsident Macron und LREM gegenüber rechtsextremen Stimmen in Frankreich abgrenzen müssen. Diese Abgrenzung soll aber auch als Chance genutzt werden.
Um die Thematik des nationalen Gedenkens eben nicht allein rechten Stimmen zu überlassen, wagte Macron den Spagat zwischen nationalem Versöhner und modernem Staatsmann. Der Elysée-Palast machte wiederholt darauf aufmerksam, dass Gedenken nicht mit Feiern gleichzusetzen sei, und dass es sich beim 200. Todestags Napoleons um ein aufgeklärtes Gedenken handele. Auf der einen Seite betonte Macron in seiner Rede, dass Napoleon zweifellos identitätsstiftend für die französische Nation sei, und mit seinem Bürgerlichen Gesetzbuch (Code Civil) nicht nur das administrative Fundament des französischen, sondern in weiten Teilen auch heutigen modernen europäischen Rechtsystems gelegt habe. Auf der anderen Seite verschwieg der Staatspräsident nicht die autokratischen Herrschaftsmethoden Napoleons. Seine erbarmungslosen Feldzüge und sein imperialer Übermut boten nicht zuletzt den Boden für den späteren Deutsch-Französischen Krieg und die damals viel beschworene Erbfeindschaft, die in zwei Weltkriegen endete. Und schließlich sei die Wiedereinführung der Sklaverei ein weiterer Schandfleck auf der historischen Weste des korsischen Herrschers, der damit die Werte der französischen Revolution verraten hätte, so Macron.
Steht Frankreich vor einem Bürgerkrieg? Entschiedene Zurückweisung des Militäraufrufs gegen die Islamisierung in Frankreich
Der Wunsch nach mehr nationaler Souveränität und einer starken Führung in Teilen der französischen Gesellschaft zeigt sich aktuell auch in der Veröffentlichung von zwei offene Briefen von ehemaligen und nun angeblich auch aktiven Generälen. Die beiden in der ultrakonservativen Zeitung Valeurs Actuelles veröffentlichten Appelle an die Regierung für das angeblich auf dem Spiel stehende „Überleben“ der französischen Nation sehen angesichts der „wilden Horden in den Vorstädten“ das Risiko eines Bürgerkriegs gegeben. Während in Mali, Afghanistan und weiteren Ländern militärisch gegen den Islamismus vorgegangen werde, würde Frankreich im eigenen Land weitreichende Zugeständnisse machen.
Verschiedene Regierungsmitglieder wiesen diese Anschuldigungen scharf von sich und verlangten, dass die Autoren der anonym veröffentlichten zweiten Appelle sich zu Erkennen geben sollte, anstatt in ihrer Anonymität Hass zu schüren und das Ansehen der französischen Armee insgesamt zu beschmutzen, so etwa Bruno le Maire. Marine Le Pen wiederum unterstützte die Appelle und beteuerte, dass dringende und schnelle Maßnahmen geboten seien, das Risiko eines Bürgerkriegs gegenüber dem islamistischen Terror schnell einzudämmen. Angesichts dieser sensationsheischenden Rhetorik bleibt dem französischen Präsidenten Macron und seiner Bewegung zu wünschen, einen kühlen Kopf zu bewahren und trotz rechtsextremer Störversuche das Ruder weiter auf Reformkurs zu halten.
Jeanette Süß ist European Affairs Managerin im Regionalbüro „Europäischer Dialog“ der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.