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EU-Ratspräsidentschaft
Schwedische EU-Ratspräsidentschaft: Ist ein proeuropäischer Kurs trotz Rechtsruck möglich?

Schwedische EU-Ratspräsidentschaft

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Schwedens Premierminister Ulf Kristersson bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Kiruna, Schweden am 13. Januar 2023

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jonas Ekstromer

Schwieriges Rechtsbündnis mit unbekannten Folgewirkungen

Schweden hat am 11. September 2022 ein neues Parlament gewählt. Moderaten, Christdemokraten und die liberale Partei Liberalerna unter Führung des moderaten Ministerpräsidenten Ulf Kristersson haben sich zu einer Koalitionsregierung zusammengetan. Das rechts-konservative Lager hat die Wahl knapp gewonnen und somit die sozialdemokratische Minderheitsregierung abgelöst. Da die rechtspopulistischen Schwedendemokraten mehr Stimmen als die Moderaten erhielten, sah sich das Koalitionsbündnis gezwungen, sich von ihnen stützen zu lassen. Dies führte nicht nur bei der Opposition zu einem Aufschrei der Entrüstung; auch die liberale Partei Liberalarna drohte sich intern an der Frage zu spalten und wurde fast aus der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament herauskatapultiert. Insbesondere die liberalen Franzosen unter Führung des Renew-Fraktionsvorsitzenden Stéphane Séjourné hatten sich für einen Ausschluss der Partei aus der Fraktion ausgesprochen. In eine ähnliche Kerbe schlug auch die zweite liberale Partei Schwedens, die Zentrumspartei (Centerpartiet), die sich aktuell wieder in der Opposition befindet. Centerpartiet warf Liberalerna vor, „mit Nazis zusammenzuarbeiten“. Liberalerna hält indes dagegen und bekräftigt, dass man mit allen Parteien des politischen Spektrums sprechen könne. Mit Blick auf die EU-Politik der Regierung und die schwedische EU-Ratspräsidentschaft im Speziellen stellt sich nun die Frage, ob und inwieweit die Rechtspopulisten die Regierung in ihren Entscheidungen beeinflussen oder gar behindern kann.  Die Antwort ist: es ist kompliziert.

Von offizieller Seite wurde der Einfluss der Schwedendemokraten bei der europäischen Politikgestaltung eher kleingeredet. Auf die Frage, wie die schwedische Ratspräsidentschaft mit den Schwedendemokraten umgehen werde, wies die schwedische Europaministerin Jessika Roswall darauf hin, dass EU-Fragen bisher im Ausschuss für europäische Angelegenheiten des schwedischen Parlaments entschieden worden seien. Eine Abstimmung Anfang Januar gibt Grund zur Hoffnung: So wurde etwa der Schengen-Erweiterung im schwedischen Parlament stattgegeben, obwohl diese von der rechtsextremen Partei entschieden abgelehnt wird. Schweden stimmte schließlich auch auf EU-Ebene dafür.  Den Einfluss der Schwedendemokraten aber als vernachlässigbar anzusehen, wäre falsch. Laut eines speziellen Abkommens, das nicht direkt im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, muss die rechtsextreme Partei zu EU-Angelegenheiten einbezogen werden. Dies sei insbesondere für anstehende Entscheidungen über die Pestizid-Verordnung (SUR) und das EU-Renaturierungsgesetz zu befürchten, das darauf abzielt, den Verlust der Biodiversität in der EU bis 2030 aufzuhalten. Es sei ja nun „kein Geheimnis, dass die Schwedendemokraten weit davon entfernt sind, eine ambitionierte Klimapolitik zu verfolgen“, so etwa die Einschätzung von Niels Paarup-Petersen von der liberalen Zentrumspartei. Schweden galt bisher in Sachen Klimapolitik als Vorbild. Das Land verfolgte das Ziel, bis 2040 100 Prozent erneuerbare Energien zu nutzen und klimaneutral zu werden. Doch mit den die Regierung stützenden Schwedendemokraten, die den Klimawandel verleugnen, wird dieses Ziel in weite Ferne gerückt. Am 12.-13. Januar lud die Regierung  Schwedens die Mitglieder der EU Kommission nach Kiruna ein, die nördlichste Stadt Schwedens, die schwer von den Folgen des Klimawandels gezeichnet ist. Zumindest symbolisch bleibt die schwedische Regierung damit auf aktuellem Kurs der EU, die die Bekämpfung des Klimawandels und die Energiewende vor allem durch ihr Megaprojekt Green Deal zur Chefsache erklärt hat.

Europapolitischer Alleingang wird schwierig

Auch wenn Schweden mit der Ratspräsidentschaft eine große Einflussmöglichkeit auf die Politik der EU hat, ist ein europapolitischer Alleingang Schwedens nur bedingt möglich. Schließlich ist Schweden in der sogenannten Trio-Präsidentschaft als letztes Bindeglied mit Frankreich und der Tschechischen Republik an das Präsidentschaftsprogramm gebunden, das die drei Staaten ausgearbeitet haben. Die in der Agenda festgelegten Prioritäten der Trio-Präsidentschaft sind nach wie vor uneingeschränkt gültig, auch wenn die Abfederung kriegs- und krisenbedingter wirtschaftlicher und sozialer Missstände, die Energiewende und die Frage einer Erneuerung der europäischen Sicherheitsarchitektur doch die unmittelbaren Herausforderungen darstellen. Dem Binnenmarkt sollen durch die Umsetzung der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität, des 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbauplans der EU vom Sommer 2020, sowie durch Investitionen im grünen und digitalen Bereich und eine neue Koordinierung der Wirtschaftspolitik neuen Impulse verliehen werden.

Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, grüner Wandel und Rechtsstaatlichkeit sind die vier schwedischen Prioritäten

Trotz des gemeinsamen Präsidentschaftsprogramms, das zudem lange vor dem politischen Kurswechsel in Stockholm verfasst wurde, hat Schweden natürlich seine eigenen Prioritäten. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und dem übergeordneten politischen Diskurs eines souveränen Europas mutet die erste Priorität „Sicherheit und Einheit“ wie eine Selbstverständlichkeit an. Das ist sie aber nicht, denn gerade Schweden ist – noch stärker als Deutschland in der politischen Kultur des Pazifismus traditionell verwurzelt und hat erst im Mai 2022 seine Bereitschaft erklärt, dem transatlantischen NATO-Bündnis beizutreten.

Vor dem Hintergrund multipler Krisen – zunächst der Corona-Pandemie und dann dem Krieg in der Ukraine – steht die Schaffung von mehr Resilienz und Beibehaltung der Wettbewerbsfähigkeit der EU als zweite Priorität auf Schwedens Agenda. Hier ist aus liberaler Sicht insbesondere zu hoffen, dass vor allem die Franzosen ein Freihandelsabkommen weiter voranbringt.

Die grüne Wende als Wohlstandsprojekt umzusetzen, stellt die dritte Priorität dar und hier werden in den kommenden Monaten heiße Diskussionen zu bereits angekündigten und neu geplanten industriepolitischen Vorhaben geführt, schließlich hat der französische Binnenmarktkommissar Thierry Breton im Einklang mit Präsident Macron vermehrt zu einem europäischen Industrieplan nach amerikanischem Vorbild aufgerufen. Auch hier ist eher zu erwarten, dass Schweden eine moderate verhandelnde Position einnimmt und auf die Förderung von mittelständischen Unternehmen, Innovation und Technologieoffenheit setzen wird. In diesem Sinne ist auch das Treffen der Kommission in Kiruna interessant, da hier eine neue Weltraumstation eröffnet wird.

Weitaus problematischer und potentiell unglaubwürdig scheint demgegenüber die letzte Priorität der schwedischen Ratspräsidentschaft: demokratische Werte und Rechtsstaatlichkeit. Die Schwedendemokraten, die im Europaparlament in der gleichen Fraktion wie Georgia Melonis Brüder Italiens und die rechtspopulistische polnische PiS-Partei sitzen, dürften alles tun, um ein hartes Vorgehen der EU gegenüber Polen und Ungarn in Sachen Rechtsstaatlichkeit zu verhindern.

Migration als stetiges Pulverfass

Neben diesen Prioritäten wird vor allem die Verständigung auf eine gemeinsame europäische Migrations- und Asylpolitik zu großen Unstimmigkeiten innerhalb der EU führen. Die schwedische Europaabgeordnete der liberalen Zentrumspartei, Abir Al-Sahlani, ist besorgt, dass gerade dieses Politikfeld, wo erst kürzlich eine Einigung der Triopräsidentschaft über das weitere Vorgehen des komplexen Migrationspaktes erzielt werden konnte, von den Rechtspopulisten gekapert werden könnte: „Die restriktive Migrationspolitik der Regierung im eigenen Land ist gelinde gesagt ein Warnsignal“, so Sahlani über ihre Erwartungen an die schwedische Ratspräsidentschaft.

Laut Al-Sahlani werden Klima, Energie und Migration die wichtigsten Themen der Präsidentschaft sein. Zu befürchten ist, dass Schweden im Dreiervorsitz sicherlich einige Themen und Vorhaben blockieren wird. Einen Vorgeschmack hat bereits der EU-Botschafter des Landes, Lars Danielsson, gegeben,  indem er sagte,  dass Schweden zwar mit voller Kraft versuchen werde, das Thema Migration voranzubringen, doch einen fertigen Migrationspakt wird es während der Ratspräsidentschaft Schwedens wohl nicht geben - damit könne frühestens 2024 gerechnet werden.

Dennoch setzt Abir Al-Sahlani große Hoffnungen in die schwedische Ratspräsidentschaft: „Die Ratspräsidentschaft muss sicherstellen, dass die EU eine starke Stimme in der Welt hat – und gleichzeitig zu einer lebendigen EU-Debatte beitragen, in der die Medienberichterstattung über EU-Angelegenheiten gefördert wird“.

Auf welchen Anklang das schwedische Arbeitsprogramm und die exotische Koalitionskonstellation in Schweden auf europapolitischem Parkett stoßen werden, wird sich am 17. Januar zeigen, wenn Ministerpräsident Ulf Kristersson den Europaparlamentariern im Plenum in Straßburg Rede und Antwort stehen muss.

Jeanette Süß ist European Affairs Manager im Brüsseler Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Amély Rechberg ist Pressereferentin und stellv. Pressesprecherin Ausland der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit.