Frankreich
Zwischen Vergangenheit und Zukunft
Am 22.01.1963, vor 61 Jahren, wurde ein entscheidender Meilenstein in der Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen gelegt. Die Unterzeichnung des Élysée-Vertrags durch Bundeskanzler Konrad Adenauer und den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle war der Beginn einer neuen Ära der bilateralen Kooperation auf kultureller, wirtschaftlicher sowie politischer Ebene.
Nach dem zweiten Weltkrieg erschien eine Versöhnung der beiden Länder zunächst als undenkbar. Als 1958 Charles de Gaulle Konrad Adenauer in sein Privatanwesen einlud, stellte dies daher eine umso bedeutendere Geste zur Wiederbelebung der deutsch-französischen Beziehung dar. Gemeinsam legten sie damit die Grundlage für den folgenden Élysée-Vertrag und eine gemeinsame Zusammenarbeit.
Aachener Vertrag: Ein neuer Impuls für die Deutsch-Französische Freundschaft
2019 setzten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron in Aachen ihre Unterschriften unter einen neuen Vertrag, der als symbolträchtige Weiterentwicklung des historischen Élysée-Vertrags angesehen wird. Der Aachener Vertrag verfolgt das Ziel, die deutsch-französische Zusammenarbeit, insbesondere in der internationalen und europäischen Politik, durch eine engere Abstimmung in wichtigen europäischen Zusammenkünften weiter zu intensivieren. Zudem wird eine verstärkte militärische Kooperation, unter anderem in Bezug auf Rüstungsexporte, betont. Ein Austausch in den Bereichen Bildung, Forschung, und Jugend soll gefördert werden, beispielsweise durch Programme wie das Deutsch-Französische Jugendwerk und mehrsprachige Bildungsangebote, um die Bindungen zwischen den beiden Ländern weiter zu stärken.
Seit 2019 hat sich das politische Klima in beiden Ländern deutlich gewandelt. Die Bundestagswahl 2021 führte zu einem Regierungswechsel, in der SPD, Die Grünen und die FDP nun gemeinsam die Bundesregierung bilden. Die Liberalen sind somit nach acht Jahren wieder in der Regierung. Die Herausforderungen für die Ampelkoalition sind seither allerdings enorm: eine abklingende Pandemie, ein Krieg in Europa, Energiekrise, Inflation, Spannungen im Nahen Osten, steigende Migration, Rechtsruck und die alles überschattende Klimakrise.
Die Kritik an der Koalition wächst stetig. Interne Kritiker*innen der FDP behaupten gar, dass eine fortgesetzte Regierungsbeteiligung den Liberalismus in Deutschland gefährde.
Das vergangene Jahr war auch für Frankreich wenig erfolgreich: Wichtige Gesetze konnten nur mit den Stimmen des rechtsextremen Rassemblement National durchgesetzt werden. Um die Zustimmung der Konservativen zu gewinnen, hat die Regierung erhebliche Zugeständnisse machen müssen.
Infolge der geplanten Regierungsumbildung von Präsident Emmanuel Macron aufgrund der aktuellen Schwäche der Regierung und dem Wunsch nach einem Neuanfang, reichte die französische Premierministerin Élisabeth Borne letzte Woche ihren Rücktritt ein.
Jung und progressiv: Attal als Frankreichs neues politisches Gesicht
Nachfolger wurde der 34-jährige Gabriel Attal, der als enger Vertrauter des Präsidenten gilt und gleichzeitig der jüngste sowie erste offene homosexuelle Regierungschef in der Geschichte Frankreichs wurde.
Diese Entscheidung dient vor allem dazu, den Aufstieg der extremen Rechten vor der Europawahl 2024 zu stoppen, da die Rassemblement National bisher knapp 10 % vorne liegt. Von einer strategischen Perspektive aus betrachtet, könnte Attals Nominierung auch dazu dienen, die Unterstützung der Mitte-Links-Wähler zu sichern. Attal, der früher Mitglied der Sozialistischen Partei war, vertritt fortschrittliche Ideen und setzt sich stark für die Bekämpfung von Cyber-Mobbing und Homophobie ein, was zu einem großen Anliegen in seiner politischen Agenda geworden ist.
Er hat den Ruf, eine konstruktive Diskussion mit Vertreter*innen anderer politischer Lager führen zu können. Attals Beliebtheitswert schoss in den letzten sechs Monaten in die Höhe, als die Medienaufmerksamkeit wuchs, was schließlich dazu führte, dass er den ehemaligen Premierminister und Präsidentschaftskandidaten Edouard Philippe als Frankreichs beliebtesten Politiker laut einer IPSOS-Umfrage vom Dezember überholte.
Sandra Weeser hofft dadurch auf neue Hoffnung und Kompromissbereitschaft vor den Europawahlen:
Séjourné als Außenminister: Macrons neuer Impuls für Europa?
Zudem wurde im Zuge der neuen Regierungsumbildung Stéphane Séjourné, bisheriger Chef der liberalen Fraktion im EU-Parlament, von Macron zum neuen Außenminister ernannt. Die Erwartungen an Séjourné sind hoch, insbesondere hinsichtlich einer stärkeren Einbindung des Außenministeriums in europäische Belange im Vergleich zu seiner Vorgängerin Catherine Colonna. Jedoch steht noch aus, inwieweit diese Umstrukturierung dem von Krisen geplagten Präsidentenlager neue Möglichkeiten für Reformen eröffnen wird. Zudem ist ungewiss, welche Auswirkungen diese Veränderungen auf die bevorstehenden Europawahlen haben könnten. Die Ernennung Séjournés kann zwar als ein Versuch gesehen werden, Frankreichs Rolle und Einfluss in Europa zu stärken, doch bleibt die Frage offen, ob diese Maßnahmen ausreichend sind, um signifikante politische Veränderungen herbeizuführen und das Vertrauen der Wählerschaft in Macrons Führung zu festigen.
Zwischen Berlin und Paris: Wachsende Spannungen in Wirtschaft und Politik
Die aktuelle wirtschaftliche und politische Lage Europas lässt allerdings signifikante Diskrepanzen zwischen Deutschland und Frankreich erkennen, die eine zunehmende Divergenz in den bilateralen Beziehungen aufzeigen.
In der Wirtschaft zeigt sich dies insbesondere am Bruttoinlandsprodukt: Während Frankreichs BIP ansteigt, was das Land sowohl für internationale als auch für nationale Investoren attraktiv macht, ist das deutsche BIP im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen.
Darüber hinaus waren in den vergangenen Monaten deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Paris und Berlin zu aktuellen Themen wie Verteidigung, Energie und Finanzen zu erkennen.
Diese Spannungen zeigen sich auch in der Reaktion auf internationale Konflikte, wie etwa den Nahostkonflikt. So wurde in Paris mit Erstaunen die deutsche Zurückhaltung gegenüber Netanjahu zur Kenntnis genommen. Besonders kontrovers wurde die Entscheidung der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock aufgenommen, die zusammen mit dem britischen Außenminister David Cameron von Israel keine sofortige Waffenruhe verlangten und sich damit gegen die französische Forderung nach einem allgemeinen Waffenstillstand stellen.
Beide Nationen kritisieren jeweils eine mangelnde Bereitschaft des Anderen zum Kompromiss und vermissen einen bilateralen Konsens. In Berlin erregen vage Aussagen aus Frankreich sowie Eigeninitiativen, insbesondere im Hinblick auf Taiwan oder industrielle Fragen, Unmut. Gleichzeitig kommt aus Paris die Besorgnis, dass Deutschland die geopolitische Dringlichkeit nicht vollständig erfasse und zu zögerlich agiere. Es bestehen generelle Zweifel, ob Berlin gewillt ist, fundamentale Zukunftsfragen gemeinsam mit Frankreich im europäischen Kontext zu entscheiden.
Die Liste der deutsch-französischen Differenzen und Blockaden verlängert sich so kontinuierlich.
Für ein gemeinsames Europa - Zusammenarbeit über Grenzen hinweg
Angesichts der sich zuspitzenden geopolitischen Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und China sehen sich sowohl Deutschland als auch Frankreich mit weitreichenden Herausforderungen konfrontiert. Vor diesem Hintergrund erscheint es unabdingbar, dass beide Nationen von einer vorrangig national fokussierten Wirtschafts- und Finanzpolitik abrücken. Stattdessen sollte gemeinsam an der Reformierung und Stärkung der Europäischen Union gearbeitet werden, um das Wirtschaftswachstum zu fördern und den globalen Einfluss beider Länder zu sichern.
Die Implementierung einer gemeinsamen europäischen Armee könnte ein Schritt der Bemühungen an der Stärkung der Europäischen Union zu arbeiten sein, da sind sich die liberalen Fraktionen in beiden Ländern einig. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann unterstützt die Forderung von Präsident Macron und betont die Notwendigkeit, dass Deutschland und Europa in Zeiten internationaler Herausforderungen und Krisen mehr Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik übernehmen sollten.
2024 wird für Europa ein ereignisreiches Jahr, weshalb beide Länder weiter zusammenarbeiten sollten, anstatt defensiv zu agieren. Es bedarf einer proaktiven und visionären Führung in Europa, was nicht im Alleingang realisiert werden kann.