Gesellschaft
Die Meta-Debatte zur Meinungsfreiheit

Eine Kolumne von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Teresa Widlok.
META

Smartphone mit Meta-Logo

© picture alliance / CFOTO | CFOTO

Am 7. Januar veröffentlichte  Mark Zuckerberg ein Video, in dem er ein neues Kapitel der Inhaltemoderation auf seinen Meta-Plattformen (Facebook und InstagramWhatsApp) ankündigte. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Während die eine Seite jubelte, endlich der „woken Agenda“ die Stirn bieten zu können, forderte die andere Seite neue rechtliche Schritte gegen Meta. Meta mag sich mit der Abkehr von übergriffigen Inhaltsfiltern in die richtige Richtung bewegen, doch die Übertragung des amerikanischen Zensurdiskurses auf Europa zeugt von Naivität und birgt destruktive Risiken. Der Kulturkampf, der in den USA mittlerweile nahezu jedes Thema beherrscht, ist längst in Europa angekommen. Die neue Debatte erweitert die Debatte von einzelnen Themen nun auch auf die Metaebene. Ein Blick auf das nur wenige Minuten lange Videostatement von Zuckerberg lohnt, um die eigentlichen Kernpunkte der Debatte zu erfassen.

Inhaltemoderation: komplex und fehleranfällig

Zuckerbergs Video beginnt mit einem bemerkenswerten Eingeständnis: Die Filtersysteme von Meta führen zu übermäßiger „Zensur“. Inhalte werden fälschlicherweise blockiertein Phänomen, das Millionen Nutzende betrifft. Dieses sogenannteOverblocking“, wie es in Europa bezeichnet wird, hatte Meta über Jahre hinweg abgestritten. Nun liefert Zuckerberg selbst den offiziellen Beweis für das Gegenteil. Sein neues Credo: Inhaltsfilter im großen Maßstab bedeuten Fehler im großen Maßstab. Allerdings nimmt er dabei keine persönliche Verantwortung auf sich. Stattdessen stilisiert er sich zum Opfer eines gut gemeinten, aber letztlich schädlichen und parteiischen Diskurses. In einem Interview mit dem Podcaster Joe Rogan führt Zuckerberg diesen Gedanken weiter aus und beteuert, dass er von Regierungsseite dazu veranlasst wurde eigentlich wahrheitsgemäße Inhalte von seinen Plattformen zu entfernen.

Sich in dieser Frage vom Sünder zum Geläuterten aufzuschwingen, wirkt in Bezug auf Mark Zuckerberg jedoch absurd. Die Maßnahmen zur Inhaltemoderation wurden zwar nicht ganz freiwillig von Plattformen eingeführt, doch die Standards dafür haben sie größtenteils selbst gesetzt. Bereits in der deutschen Debatte um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) fiel auf, dass Plattformen Inhalte häufig nicht gemäß den gesetzlichen Vorgaben behandelten. Stattdessen legten sie eigene, oftmals strengere Regeln fest. Damit zeigte sich: Die Moderation wurde nicht nur durch Gesetze definiert, sondern maßgeblich durch die Nutzungsbedingungen der Plattformen. International führten zudem Ereignisse wie die Gewalt gegen die Rohingya oder der Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar dazu, dass Plattformen ihre Moderationsmaßnahmen verschärften – oft unter dem Deckmantel der Krisenbewältigung.

Die angekündigten Maßnahmen im Überblick

Zuckerbergs Ankündigungen umfassen hauptsächlich die folgenden Punkte:

  1. Faktenchecks werden abgeschafft und durch Community Notes ersetzt (ähnlich wie auf der Plattform X), zunächst jedoch nur in den USA.
  2. Metas Nutzungsbedingungen sollen so angepasst werden, dass Meinungen nicht mehr ausgegrenzt werdenexplizit benannt werden dabei Themen wie Immigration und Gender. Zuckerberg will damit der Politisierung der Kategorien Misinformation und Hate Speech entgegenwirken (Ergänzung aus Joe Rogan-Interview).
  3. Automatisierte Inhaltsfilter sollen künftig nur noch bei illegalen Inhalten oder schwerwiegenden Verstößen greifen; weniger gravierende Fälle werden nur noch bei konkreten Meldungen geprüft.
  4. Politische Inhalte kehren zurück, allerdings soll die Stimmung auf den Plattformen weiterhinfreundlich und positivbleiben.
  5. Das Team für die Inhaltemoderation wird von Kalifornien nach Texas verlegt, um Vorwürfen einer politischen Voreingenommenheit des Personals entgegenzuwirken.
  6. Meta will künftig Donald Trump dabei unterstützen, gegen Regierungen vorzugehen, die durch ihre Regulierung amerikanische Unternehmen angreifen oder Zensur ausüben.

Meinungsfreiheit: aktuell nicht messbar

Die angekündigten Maßnahmen werfen viele Fragen auf. Während die Diskussion in Deutschland vor allem die Abschaffung von Faktenchecks fokussiert, zeigen andere Aspekte, wie widersprüchlich Zuckerbergs Strategie istund wie wenig die deutsche Debatte den eigentlichen Kern trifft. Denn Zuckerberg geht es nicht darum, zensurähnliche Eingriffe im amerikanischen Sinne abzuschaffen. Vielmehr nutzt er seine Macht als Plattformbetreiber, um seine eigenen Vorstellungen (oder die von Trump) durchzusetzen. Er beschreibt selbst, dass er die volle Kontrolle über inhaltliche Vorgaben bei Meta hat und wieder mehr zu seinem Ursprungsgedanken zurückkommen will: „giving people voice“. Die Inklusion vielfältiger Stimmen ist aber nicht Teil seiner Rückkehr zu den Wurzeln. Außerdem sollen weiterhin undurchsichtige Mechanismen für einefreundliche und positive“ Atmosphäre sorgen und auch sonst bleibt vage, wie er seinen geänderten Fokus konkret umsetzen wird.

Tatsächlich ist es bis heute weder Forscherinnen und Forschern noch Gesetzgebern wirklich möglich, die Funktionsweise der Empfehlungsalgorithmen und weiterer automatisierter Systeme, die auf Plattformen wie Meta oder X eingesetzt werden, vollständig zu entschlüsseln. Diese Intransparenz ist ein Problem. Denn so beeinflussen private Entscheidungen die digitale Öffentlichkeit in erheblichem Maße, ohne dass diese Entscheidungen von der Öffentlichkeit überprüft oder diskutiert werden können. Die Hoffnungen jener, die sich jetzt in einem Paradies der Meinungsfreiheit wähnen, sollten also nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine tatsächliche Bewertung der Meinungsfreiheit auf Social Media Plattformen kaum möglich ist. Auch Elon Musks Behauptung, seine Plattform X fördere mehr Meinungsvielfalt, bleibt letztlich unüberprüfbar.

Der amerikanische free speech-Diskurs passt nicht zu Europa

Der Versuch, den amerikanischen Diskurs über Meinungsfreiheit auf Europa zu übertragen, ohne den juristischen und kulturellen Kontext zu berücksichtigen, ist kurzsichtig und gefährlich. Die Medienrechtsordnung in den USA und in der EU fallen objektiv betrachtet sehr unterschiedlich aus. Das betrifft nicht nur die Gewichtung von Grundwerten, auf denen die jeweiligen Ordnungen basieren, sondern auch konkrete Regelwerke, wie etwa den Digital Services Act (DSA) in Europa. Ein weiterer, häufig übersehener, Unterschied ist die sogenannte Drittwirkung von Grundrechten. Nach europäischem Verständnis können Plattformen dazu verpflichtet sein, Grundrechte wie die Meinungsfreiheit nicht nur zu wahren, sondern aktiv zu schützen. Wer darüber hinaus nicht anerkennt, dass Europa – und insbesondere Deutschland – eine ausgefeilte Rechtsprechung zur Abwägung von Meinungsfreiheit und anderen Rechtsgütern wie Persönlichkeitsrechten besitzt, ignoriert die Realität. Eine rein eindimensionale Sicht auf die Meinungsfreiheit, bei der sie als isoliertes und höchstes Gut betrachtet wird, ohne andere Grundrechte zu beachten, ist in Europa de facto nicht möglich.

Wenn das amerikanische free speech-Verständnis in die deutsche und europäische Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit eingebracht wird, drohen wir auf eine schiefe argumentative Ebene zu geraten. Diskussionen, in denen der Vorwurf der Zensur nach amerikanischer Lesart vorschnell erhoben wird, sind nicht geeignet den Debattenraum zu erweitern, sondern verfolgen oft ein anderes Ziel: die grundlegenden Prinzipien der europäischen Medienordnung und unser Verständnis von Grundrechten anzugreifen. Im Gegensatz dazu sind Sorgen über eine Verrohung von Debatten keine Angriffe auf die Meinungsfreiheit, sondern notwendige Reflexionen, wie demokratische Strukturen geschützt werden können. Wer gezielte Desinformationskampagnen als Bedrohung für die Demokratie anspricht, greift nicht die Meinungsfreiheit an, sondern verteidigt unsere Werte gegen jene, die sie bewusst zerstören wollen. Es geht dabei nicht darum, bestimmte Meinungen von irgendeiner Seite zum Schweigen zu bringen, sondern um die Frage, ob es ein gemeinsames Verständnis dafür gibt, welche Kräfte unsere Demokratie bedrohen.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
Leiter Kommunikation, Pressesprecher
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