Abchasien und Südossetien
Grenzziehungen mit grausamen Folgen
Wie laut sollen die Alarmglocken denn noch weltweit läuten? Die Ukraine ist nicht das einzige Land, das der Aggression und den Verbrechen Russlands zum Opfer gefallen ist. Schwere Menschenrechtsverletzungen, Terror und völkerrechtswidriges Handeln mit einer klaren Expansionsabsicht stehen schon seit Jahren auf der Tagesordnung des russischen Militärs und der russischen Geheimdienste. Und zwar nicht nur an der Ostflanke der EU, sondern in der gesamten Nachbarschaft Russlands.
Seit 2008 begehen russische Sicherheitskräfte in Abchasien und Südossetien nach illegalen Grenzziehungen zunehmend Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die georgischen Zivilisten in den Verwaltungsregionen zwischen Georgien, Abchasien und Südossetien. Darunter fallen Verfolgung, illegale Inhaftierung, Folter und Tötung. Das sind klare Verbrechen gegen universale Menschenrechte und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), an die Russland bis zu seinem offiziellen Austritt aus dem Europarat im September 2022 offiziell gebunden war.
All diese Verbrechen wurden am 28. April 2023 vom Europäischen Gerichtshof (EGMR) noch einmal bestätigt. Das Gericht beschäftigte sich mit Entschädigungsansprüchen für die Opfer russischer Gräueltaten, die Georgien stellvertretend einforderte. Die Liste der Opfer ist lang und die Zahlen zeigen das Ausmaß der russischen Verachtung für das Völkerrecht. Am Ende sprach das Gericht Georgien Entschädigungszahlungen in Höhe von rund 130 Millionen Euro zu.
Es darf nicht vergessen werden, dass es nur eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis auch Zentralasien im Schatten von Putins Aggression und Expansion zum nächsten Brandherd wird. Nun ist es die Verantwortung und klare Aufgabe der gesamten internationalen Gemeinschaft, dagegen anzukämpfen, um weitere Verbrechen zu verhindern.
Grenzziehungen mit grausamen Folgen
Ab August 2008 hat Russland die Separatisten in Abchasien und Süd-Osseten militärisch und personell unterstützt und eine Schein-Unabhängigkeit der genannten Regionen völkerrechtswidrig und gegen den Willen Georgiens und der Bevölkerungsmehrheit anerkannt. Russland hat sein Militär in beiden Regionen stationiert und praktizierte zusammen mit den dort installierten Behörden illegale Grenzziehungen, die zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen führten. Jede weitere gewaltsame Grenzziehung bedeutet einen rechtswidrigen Akt, der dazu führt, dass sich die lokale Bevölkerung nicht mehr zwischen international umstrittenen Grenzen frei bewegen darf. Dies ist nach internationalem Recht verboten, insbesondere bei den Regionen, die international nicht als unabhängig anerkannt sind.
Russland hat folgende Maßnahmen ergriffen, um die illegale Grenzziehung zu praktizieren:
1) Der russische Geheimdienst und das Militär kontrollieren seit 2009 die Grenzen in den genannten Verwaltungsregionen. Konkret hat Russland physisch Kontrolleinrichtungen an den Grenzen errichtet, wie Zäune, Stacheldraht, Wachtürme, Schilder, die die Annäherung an die Grenze anzeigen, sowie technische Hilfsmittel, um Menschen zu zwingen, russische Checkpoints zu passieren.
2) Überwachung und Patrouillen in den abtrünnigen Gebieten durch russische Soldaten und Verhaftung von Zivilisten, die die Gebiete ohne offizielle Erlaubnis betreten, und
3) das Erfordernis des Besitzes offizieller Erlaubnisse.
Bei der Umsetzung dieser drei Anforderungen verletzt Russland auf schwerste Weise die Menschenrechte. Es gibt zahlreiche Beweise dafür, dass russische Grenzschutzbeamte ethnische georgische Zivilisten festgenommen, entführt, gefoltert und ermordet haben. Im Jahr 2018 haben die russischen Sicherheitskräfte zum Beispiel einen georgischen Staatsbürger, Archil Tatunaschwili, an der Grenze festgenommen, gefoltert und dann ermordet. Davit Basharuli und Giga Otkhozoria waren zwei weitere Zivilisten, die von sogenannten Behörden getötet wurden. Es gab kein Ermittlungsverfahren von der russischen Seite, um die Fälle zu untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.
Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
2018 reichte Georgien beim EGMR Klage gegen Russland ein, weil es durch die Umsetzung des Verwaltungserlasses und seiner Maßnahmen im Zusammenhang mit der illegalen Grenzziehung gegen die Menschenrechte im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK: Artikel 1, 2, 3, 13 und 14; Zusatzprotokoll Nr. 1: Artikel 2) verstoßen hat. Russland versuchte, den Streit als politisch und nicht als rechtlich zu bezeichnen, und argumentierte wiederholt, dass die Beendigung eine Angelegenheit des allgemeinen Völkerrechts und nicht im Sinne der EMRK sei. Die Argumentation zielte darauf auf, den EGMR als nicht für den Konflikt zuständig darzustellen. Am 28. April 2023 entschied der EGMR allerdings, dass Russland die tatsächliche Kontrolle in der Region ausübte, weil die Separatisten sowohl militärisch als auch finanziell alleine von Russland abhängig waren. Die Verwaltungspraxis bzw. der Grenzverlauf hat politische Aspekte, wird aber als Verletzung der Menschenrechte bereits vor dem September 2022 betrachtet, da Russland bis dahin noch Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Europarates war. Aus den genannten Gründen ist die Klage vor dem Gerichtshof in Straßburg zulässig. Es ist sehr interessant zu sehen, dass der EGMR die mangelnden Informationen aus dem Gebiet sowie die Schwierigkeiten, notwendige Ermittlung durchzuführen, als Beweis für Verstöße im Sinne der Konvention ausgelegt hat. Dies dürfte wohl als eine positive Entwicklung in der Europäischen Justiz angesehen werden und als Zeichen in Richtung der Länder, die ständig unabhängige Untersuchungen verhindern.
Ein Blick in die Zukunft
Die Handlungsweise Russlands sollte ein alarmierendes Signal an die gesamte internationale Gemeinschaft sein. Der nächste Schritt Russlands kann die gewaltsame Grenzneuziehung in Zentralasien werden. Der russische Angriffskrieg in Osteuropa ist sicherlich eine klare Warnung für die ganze Nachbarschaft Russlands. Nicht nur die westlichen Länder, sondern auch der globale Süden und Zentralasien müssen sich gemeinsam gegen illegale Grenzziehungen wehren und eine Allianz dagegen schmieden. Die regelorientierte Weltordnung nach 1945 basiert auf dem Völkerrecht, dem Schutzanspruch für die potenziellen Opfer jeder brutalen Übermacht, und dieser sollte unbedingt verteidigt werden - rechtlich, politisch und militärisch. Dies erfordert in erster Linie eine internationale rechtliche und politische Zusammenarbeit.
Die Menschenrechte gelten und sind universell. Verbrechen gegen die Ukraine oder Georgien haben große Auswirkungen auf den gesamten Anker der Menschenrechte, auf den alle Menschen der Welt Vertrauen und Hoffnung setzen. Universalität der Menschenrechte bedeutet tatsächlich die Verantwortung, Rechte und Freiheiten zu respektieren und zu verwirklichen, nicht nur innerhalb eines Landes, sondern auch global. Das Urteil des EGMR zeigt, dass die Menschenrechte einen verbindenden und verbindlichen Pfeiler der Humanität darstellen und ihre Verletzung unter keinen Umständen geduldet wird, auch wenn eine solche Praxis stets auch eine Frage des allgemeinen Völkerrechts bleibt oder politische Aspekte beinhaltet.