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China Bulletin
So übt China „Soft Power“ in Taiwan aus

Vorstellung der Kandidaten für die Kommunalwahlen in Taipeh, Taiwan, am 31. August 2022

Vorstellung der Kandidierenden für die Kommunalwahlen in Taipeh, Taiwan

© picture alliance / Wiktor Dabkowski | Wiktor Dabkowski

Dass es während der dritten Amtszeit von Xi Jinping, die er nach dem anstehenden Parteitag wohl antreten wird, zu einem militärischen Einmarsch in Taiwan kommen wird, ist wenig wahrscheinlich. Peking präferiert weiterhin eine „friedliche“ Lösung des Problems – und nutzt bislang statt Waffen seine „Soft Power“. Aktuell stehen Taiwans Lokalwahlen im Mittelpunkt chinesischer Beeinflussungsbemühungen.

Seit dem Besuch von Nancy Pelosi in Taipei und den anschließenden chinesischen Militäroperationen um Taiwan ist wieder vermehrt die Rede von einem möglichen Kriegsausbruch in der Meerenge von Taiwan. Chinesische Militärschiffe kreuzen nun ständig vor der Ostküste Taiwans. Aber ein Krieg ist nicht Xi Jinpings vorrangiges Bestreben. Gleichzeitig hat Xi sein Vermächtnis mit dem Anspruch verknüpft, dass China stark werden und seinen rechtmäßigen Platz als Weltmacht zurückerobern müsse. Dieser Anspruch hat auch eine territoriale Dimension. Seit Hongkong und Macao wieder Teil der VRC geworden sind, ist Taiwan das letzte Puzzleteil, das zur Vollendung fehlt.

Wenn er die Wahl hätte, würde Xi, der auf dem anstehenden Parteitag seine beispiellose dritte Amtszeit antreten wird, es aber wohl vorziehen, die Volksrepublik und Taiwan friedlich zu vereinen - idealerweise auf eine Art und Weise, die zumindest legitim erscheint. In Hongkong wurde das Nationale Sicherheitsgesetz als Mittel eingesetzt, um die frühere Sonderverwaltungszone vollständig unter die Herrschaft Pekings zu bringen. Peking hofft, dass eine mögliche pro-chinesische Mehrheit in der taiwanischen Regierung die Tür für ein ähnliches Vorgehen öffnen könnte.

Am 26. November sind die Bürgerinnen und Bürger Taiwans aufgerufen, eine neue Kommunalverwaltung zu wählen: Bürgermeister, Stadträte, Gemeinde-, Dorf- und Distriktvorstehende sowie Vertreter der Kongresse der indigenen Bergdistrikte. Sollten die Kommunalwahlen von der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) und den Parteien gewonnen werden, die für eine Distanz zu China oder gar für Unabhängigkeit plädieren, wäre eine freiwillige, friedliche Vereinigung mit dem Festland wenig wahrscheinlich. Die oppositionelle Kuomintang (KMT) steht hingegen für einen deutlich Peking-freundlicheren Kurs als die derzeitige Regierungspartei. 

Gradmesser für die nächsten Präsidentschaftswahlen auf der Insel

Kommunalwahlen stehen normalerweise nicht im internationalen Rampenlicht. Aber diese sollten es sein - aus zwei Gründen: Erstens kann diese Kommunalwahl auch als Gradmesser für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Taiwan im Jahr 2024 gesehen werden. Die Partei, die auf lokaler Ebene die meisten Stimmen erhält, wird auch bei den Präsidentschaftswahlen bessere Chancen haben. Und es ist der Präsident, der die Richtung der taiwanischen Politik gegenüber China vorgeben wird.

Zweitens wird parallel zur Lokalwahl ein Referendum über die Senkung des Wahlalters auf 18 Jahre stattfinden. Das Ergebnis des Referendums könnte auch die Beziehungen zwischen China und Taiwan beeinflussen. Junge Taiwanerinnen und Taiwaner zeigen eine stärkere Entschlossenheit, Taiwan im Falle einer Invasion durch China zu verteidigen. Die meisten von ihnen identifizieren sich eher als Taiwaner denn als Chinesen. Seit den Präsidentschaftswahlen 2020 sind die jungen Wählerinnen und Wähler außerdem zu einer entscheidenden Kraft bei den Wahlen geworden. Laut einer Umfrage der Zentralen Wahlkommission war die Wahlbeteiligung der unter 30-Jährigen bei den Präsidentschaftswahlen 2020 um knapp 20 Prozent auf 70 Prozent gestiegen.

Um ein für die VRC möglichst günstiges Wahlergebnis zu erzielen, verfolgt die Führung in Peking eine Reihe an Ansätzen. So werden landwirtschaftliche Produkte aus DPP-Hochburgen im Süden mit Einfuhrverboten und Sanktionen belegt, während eher china-freundliche, KMT-nahe Gebiete mit Sonderkonditionen begünstigt werden. Zu den jüngsten Verboten gehörten Zackenbarsch, Wachsäpfel und Ananas - alles Produkte aus Taiwans DPP-nahem Süden. Die VRC zielt auch systematisch darauf ab, die „Herzen und den Verstand" der indigenen Völker Taiwans zu gewinnen, die laut einer Studie traditionell benachteiligt sind. Demnach lädt die VR China die indigenen Bevölkerungsgruppen ein, ihre landwirtschaftlichen Produkte in China zu verkaufen. Peking nutzt unter anderem private Vereinigungen als Deckmantel, um Materialien oder Geld für Heime, Mittagessen für Schulkinder und Feste zu spenden.

Zudem nutzt Peking Tempel und religiöse Gruppen, um illegal Geld in pro-chinesische Parteikampagnen zu leiten. In Taiwan besuchen die Kandidaten während der Wahlen stets die örtlichen Tempel und halten dort Kundgebungen ab. Das Budget aktiver religiöser Gruppen und Tempel kann recht hoch sein, so dass es einfacher ist, illegal erhaltene Gelder darin zu verstecken. Taiwan hat noch kein Gesetz erlassen, das Transparenz bei Spenden an religiöse Gruppen schafft. Das macht sie zu einem leichten Einfallstor für die VR China.

Chinesische Propaganda und Desinformation im Vorfeld der Wahlen

Am meisten und am großflächigsten eingesetzt werden sogenannte “Information Operations”, Desinformation und Misinformation. Content-Farmen, Social-Media-Trolle und der VRC nahestehende Medien sind die drei Schlüsselelemente dabei. Die chinesische Propaganda und Desinformation verbreitet sich dann effektiv, wenn lokale Akteure wie Medien in chinesischem Besitz, aber auch taiwanische Prominente, diese Botschaften öffentlich vertreten. Bisher zielte China vor allem darauf ab, das Vertrauen der taiwanischen Öffentlichkeit in die Regierung zu schwächen oder Peking-freundlichere Kandidatinnen und Kandidaten zu fördern. Im Zuge der bevorstehenden Wahlen ist ein Wandel zu beobachten: Die Botschaften Pekings scheinen mehr darauf ausgerichtet zu sein, Ängste zu schüren, anstatt die Vorteile der „Wiedervereinigung“ zu präsentieren. Videos mit Desinformations- und Propagandainhalten werden nun häufiger nicht mehr auf Mandarin-Chinesisch, sondern auf Taiwanisch gesprochen. Auch scheint sich das Verbreitungsmodell der Desinformation zu verlagern, weg von Facebook und Twitter, hin zu Plattformen wie Reddit die bis dato nicht so sehr in der öffentlichen Wahrnehmung waren.

Was die chinesische Einmischung und Desinformation im Vorfeld der Wahlen betrifft, so ist in Taiwan eine Mischung aus Altem und Neuem zu beobachten. In der Vergangenheit war die Einmischung bei Kommunalwahlen extremer und unverblümter - weil die Welt nicht zuschaute. Da das Image Chinas in Taiwan derzeit so schlecht ist, wird es für die VR China wahrscheinlich ein harter Kampf sein, ihre Ziele zu erreichen. Dennoch ist es wichtig, dass die Welt ein Auge auf diese Wahl wirft. Denn falls eine Taktik hierfunktionieren sollte, wird China sie auch in anderen Teilen der Welt anwenden.

*Anna Marti leitet das FNF-Büro in Taiwan. Ya-wie Chou ist Programm Managerin im FNF-Büro in Taipei.