Indien
G20-Präsidentschaft
Der indische Regierungschef Narendra Modi will sein Land zum wichtigsten Fürsprecher für Entwicklungs- und Schwellenländer machen. Er versucht damit auch, den Einfluss Chinas einzudämmen – und setzt auf Unterstützung durch den Westen.
Die G20-Staaten – die Gruppe der größten Industrie- und Schwellenländer – könnten bald ihr 21. Mitglied bekommen. Indiens Premierminister Narendra Modi, der derzeit den G20-Vorsitz innehat, will Vertreter aus Afrika stärker in den informellen Zusammenschluss der Wirtschaftsmächte einbeziehen. In einem Brief an seine Amtskollegen schlug er deshalb vor, beim nächsten Gipfeltreffen im September den Staatenbund Afrikanische Union als offizielles Mitglied aufzunehmen. Dies sei ein "richtiger Schritt in Richtung einer gerechten, integrativeren und repräsentativen" Weltordnung, zitierten indische Medien aus Regierungskreisen.
Der Plan ist eines von Modis deutlichsten Signalen, dass er es mit einem zentralen Versprechen von Indiens G20-Präsidentschaft ernst meint: Er will die hervorgehobene Rolle seines Landes in diesem Jahr nutzen, um dem Globalen Süden zu einer lauteren Stimme in der internationalen Politik zu verhelfen. Sein Eintreten für die Interessen der Schwellen- und Entwicklungsländer Asiens, Afrikas und Südamerikas ist auch von strategischer Bedeutung: Im Ringen um die Führungsrolle im Globalen Süden geht es der Regierung in Neu-Delhi auch darum, den Einfluss des Rivalen China zurückzudrängen.
Denn bislang hatte die Regierung in Peking in den Beziehungen mit vielen Schwellen- und Entwicklungsländern die Oberhand: Im Rahmen ihrer sogenannten Seidenstraßeninitiative und anderer Kooperationsprojekte finanzierte sie milliardenschwere Infrastrukturmaßnahmen – von Wasserkraftwerken in Argentinien über den Aufbau eines neuen Verwaltungszentrums in Ägypten bis einer Bahnstrecke durch Kenia. Allein Afrika erhielt für die Vorhaben zwischen 2000 und 2020 Kredite im Wert von rund 160 Milliarden Dollar aus China.
Aus Indiens Sicht besonders besorgniserregend ist die Umkreisung durch die Seidenstraßeninitiative in seiner Nachbarschaft: China versprach und ermöglichte umfangreiche Investitionen in Sri Lanka, Nepal, Bangladesch und Pakistan – im Versuch, die Länder enger an sich zu binden. Das gelang jedoch nur zum Teil: In den vergangenen Jahren ist die Skepsis gegenüber den chinesischen Infrastrukturkrediten deutlich gewachsen. Zahlungsprobleme in Sri Lanka führten etwa dazu, dass ein wichtiger Hafen in die Kontrolle chinesischer Geldgeber überging. In vielen Ländern wurde dies als Warnung verstanden, sich nicht leichtgläubig in eine chinesische Schuldenfalle zu begeben.
Die indischen Bestrebungen, sich bei den Ländern des Globalen Südens als alternativer Partner zu China zu positionieren, stoßen deshalb bei den umworbenen Regierungen auf zunehmendes Interesse. Indien habe die Chance, seine G20-Präsidentschaft zu nutzen, um in der Entwicklungszusammenarbeit ein Gegengewicht zu China zu schaffen, analysieren Swati Prabhu und Nilanjan Ghosh vom Centre for New Economic Diplomacy der indischen Denkfabrik Observer Research Foundation.
Um dabei Erfolg zu haben, müsse sich Indien aber klar von China absetzen, schreibt C. Raja Mohan, Senior Fellow am Asia Society Policy Institute in Neu-Delhi. "Die Regierung in Delhi muss dem Globalen Süden eine nachhaltige wirtschaftliche Zusammenarbeit anbieten – über nationale, regionale und globale Institutionen." Indiens Fokus sollte aus seiner Sicht dabei liegen, eine Brücke zwischen den Entwicklungsländern und den Industrieländern zu bilden. "Denn keines der Probleme, mit denen der Globale Süden konfrontiert ist, kann ohne eine substanzielle internationale Zusammenarbeit zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern gelöst werden."
Um die Rolle des Brückenbauers bemüht sich Indien seit diesem Jahr mit wachsender Intensität. Während der Gipfel der G20-Staats- und Regierungschefs in wenigen Monaten die prominentesten Vertreter der Weltpolitik nach Neu-Delhi bringen wird, hat Indiens Regierungschef Narendra Modi eine besonders umfassend besetzte Konferenz bereits hinter sich: Anfang des Jahres lud er 120 Staaten zum virtuell abgehaltenen "Global South Summit". Im Mittelpunkt standen dabei die gemeinsamen Probleme der ärmsten Staaten der Welt – etwa steigende Nahrungsmittelpreise als Folge des Ukraine-Kriegs und Naturkatastrophen, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind. "Die meisten globalen Herausforderungen wurden nicht vom Globalen Süden geschaffen, aber sie betreffen uns besonders stark", sagte Modi. Er kritisierte: "Bei der Suche nach Lösungen wird unsere Stimme unzureichend berücksichtigt."
Indiens Regierung reklamiert für sich, seit der Übernahme der G20-Präsidentschaft wichtige Beiträge geleistet zu haben, um das zu ändern. Sie hebt dabei besonders die Einigung der G20-Entwicklungsminister und -ministerinnen bei ihrem Treffen im Juni in der indischen Stadt Varanasi hervor. Die teilnehmenden Staaten stimmten dabei einstimmig einem von Indien ausgearbeiteten Aktionsplan zu, der dazu beitragen soll, die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen schneller zu erreichen – unter anderem mithilfe von Digitaltechnik und mit einem Fokus auf die Beteiligung von Frauen.
Außenminister Subrahmanyam Jaishankar nannte den Beschluss, die bisher größte Errungenschaft von Indiens G20-Präsidentschaft. Er zeigte sich überzeugt, dass die Initiative auch Indiens Stellung stärken wird: "Wenn die Länder des Globalen Südens die Ergebnisse sehen, werden sie sagen, dass Indien auf sie gehört hat und dass Indien für sie eingetreten ist", sagte Jaishankar.
Die G20-Treffen sind nicht das einzige Forum, bei dem sich Indien für Entwicklungsländer engagiert. Das Land betreibt selbst Entwicklungsprojekte in Partnerländern und wird dabei auch von der Bundesregierung im Rahmen sogenannter Dreieckskooperationen unterstützt. Bei ihrer Indienreise im Juni kündigte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze an, diese Kooperationen intensivieren zu wollen.
Der im Exil lebende chinesische Regierungskritiker und Pro-Demokratie-Aktivist Jianli Yang hält es für sinnvoll, Indien bei seinen Bemühungen um den Globalen Süden zu unterstützen. "Als größte Demokratie der Welt wird Indien von Europa und Amerika als wichtiger gleichgesinnter Partner angesehen, im Gegensatz zu China", schrieb er in einem Meinungsbeitrag für das Magazin "Newsweek". Die G7-Länder sollten deshalb aus seiner Sicht "eine klare Politik verfolgen, um Indien dabei zu helfen, ein echter Verbündeter an der Spitze des globalen Südens zu werden."