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Menschenrecht
Gesetz über Mutter- und Kinderschutz: Fürsorge und Freiheit

Der Gesetzesentwurf über das Wohlergehen von Müttern und Kindern (RUU KIA) erregt die Aufmerksamkeit der indonesischen Bevölkerung, was zu Vor- und Nachteilen führt. Warum ist das so?

Der Gesetzentwurf über den Mutter- und Kinderschutz (RUU KIA) erregt derzeit die Aufmerksamkeit der indonesischen Bevölkerung. Er berge Vor- und Nachteile, so die Moderatorin Mathelda Titihalawa der indonesischen NGO INDEKS bei der Eröffnung einer von der Naumann-Stiftung geförderten Online-Diskussion zum Gesetzentwurf.

Diskusi Publik Online "Pro dan Kontra Undang-Undang Kesejahteraan Ibu dan Anak" yang diselenggarakan Lembaga INDEKS pada Selasa, 26 Juli 2022.

Diskusi Publik Online "Pro dan Kontra Undang-Undang Kesejahteraan Ibu dan Anak" yang diselenggarakan Lembaga INDEKS pada Selasa, 26 Juli 2022.

Pro und Kontra

Die indonesischen Berufsverbände sind sich einig: der Gesetzentwurf enthält mehrere Artikel, die für Arbeitnehmerinnen im formellen Sektor eine gute Nachricht sind. „So beträgt der Mutterschaftsurlaub für berufstätige Mütter nun sechs Monate statt wie bislang vorgeschrieben sechs Wochen vor sowie sechs Wochen nach der Entbindung (Gesetz 13/2003, Artikel 82). Für Arbeitnehmer, deren Frau ein Kind bekommt, sind 40 Tage Vaterschaftsurlaub vorgesehen. Es gibt darüber hinaus etliche weitere Punkte, die für berufstätige Mütter von Vorteil sind.", erklärte Mathelda Titihalawa.

Die Kehrseite sei jedoch, fuhr Mathelda fort, dass sich das Gesetz im Falle seiner Verabschiedung negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken werde. Jetzt schon seien die indonesischen Arbeitskräfte in Hinblick auf Produktivität weniger wettbewerbsfähig als die der Nachbarländer. Das neue Gesetz werde zu einer Bürde für Unternehmer und Investoren und sei deswegen hinderlich für die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Menschenrechtlicher Aspekt

Betni Humiras Purba, die als Direktorin für Menschenrechtsinstrumente des indonesischen Justizministeriums an der Diskussion teilnahm, erklärte, dass der Staat in Artikel 28i Absatz 4 der Verfassung von 1945 und in Gesetz 39 den Schutz, die Förderung, die Durchsetzung und die Verwirklichung der Menschenrechte garantiere. Frauen und Kinder fielen in die Kategorie der gefährdeten Gruppen. Ihnen gälte somit eine besondere Aufmerksamkeit.

Entstanden sei der Gesetzentwurf vor dem Hintergrund der nach wie vor hohen Mütter- und Kindersterblichkeitsrate in Indonesien sowie der Mangelernährung bei insbesondere Kindern unter 5 Jahren.

Betni schätzt, dass eine auf der Grundlage des KIA-Gesetzes erfolgte lange Beurlaubung großen Einfluss auf die finanzielle Situation einer Person hat, da die Phase des Nichtarbeitsns zu lang sei. Der Entwurf müsse weiterentwickelt und klarer formuliert werden: „Wir sind der Meinung, dass es in Zukunft einen nationalen Aktionsplan geben muss, um ihn besser umsetzen zu können.“ Es sollten z.B. Stillräume in Gefängnissen eingerichtet werden, so dass Mütter mit kleinen Kindern Gefangenenbsuche leichter in ihren Alltag integrieren könnten. Darüber hinaus müssten das Gesundheitsministerium und auch die Nationale Kommission gegen Gewalt an Frauen (Komnas Perempuan) in die Bewertung des Gesetzentwurfes einbezogen werden.

Ganzheitliche Betrachtung

Die Parlamentarierin Luluk Nur Hamidah von der PKB (Partei des nationalen Erwachens), die den Gesetzentwurf initiierte, betonte zu Beginn ihres Vortrages, dass der Gesetzentwurf über den Mutter- und Kinderschutz erst im Anfangsstadium sei und noch einen langen Überarbeitungsprozess durchlaufen müsse, bevor es dann tatsächlich in Kraft trete.

Sie befürwortet eine lange Mutterschutzzeit als außerordentlich wichtig für die Gesundheit von Mutter und Kind.

Der Gesetzentwurf sei eine Zusammenführung von Regeln, die bereits in anderen Gesetzen enthalten seien, was die Erreichung der Ziele des Mutter- und Kinderschutzes vereinfache.

Unternehmeraspekte

Die Unternehmerin Iim Fahima widersprach der Ministeriumsvertreterin auf das Entschiedenste: „Das Wohlergehen der Mütter hat großen Einfluss auf das Wohlergehen ihrer Kinder, und das Wohlergehen insgesamt basiert auf einem gesunden finanziellen Rückgrat.“ Gemäß einer Studie in Indien sei deutlich, dass das Wohlergehen von Frauen mit wirtschaftlichem Wohlstand zunimmt. Es gebe eine klare Korrelation von steigendem Wohlstand, zunehmender Mädchenbildung und sinkender Mütter- und Säuglingssterblichkeit.

Wirtschaftlich selbständigen Frauen stehe Bildung offen, hätten ein gutes Selbstwertgefühl, könnten eigenverantwortlich Entscheidungen treffen und sich politisch betätigen.

Herausforderungen für Frauen heute

 „Das Wohlergehen der Kinder“, so Iim, „beginnt mit dem Wohlergehen der Mütter. Der wichtigste Hebelfaktor für das Wohlergehen von Müttern ist das wirtschaftliche Wohlergehen. Deshalb müssen die politischen Entscheidungsträger den Frauen helfen, wirtschaftlich unabhängig zu werden und dürfen sie nicht von der Arbeitswelt fernhalten.“

Das neue Gesetz bürde die gesamte Last den Müttern auf – die Rolle der Väter sei im Entwurf nur marginal behandelt. Somit erschwere das neue Gesetz die Situation für Frauen, die ohnehin schon häufig weniger gebildet als Männer sind und darüber hinaus mehr als Männer sozialen, kulturellen und religiösen Faktoren unterliegen.

Entwickeltes Wohlfahrtssystem

Nanang Sunandar, Direktor von INDEKS, stimmte mit Iim darin überein, dass das Wohlergehen von Müttern und Kindern vom wirtschaftlichen Wohlergehen abhänge. Der Entwurf erinnere ihn an die umfassenden und universellen Wohlfahrtssysteme der skandinavischen Länder. Doch wie sei das auf Indonesien übertragbar angesichts begrenzter Ressourcen, sollte der Gesetzentwurf vom Parlament angenommen werden? Das „skandinavische Modell“ sei eine einzigartige Kombination aus freiem Marktkapitalismus und Sozialleistungen. Wenn das System gut funktioniert, so Nanang, „dann können die Unternehmer ihr Geschäft mit transformativen Geschäftsmodellen optimieren und gleichzeitig ihre Arbeitnehmer mit großzügigen Leistungen unterstützen.“ Gesetze zum Schutz von Müttern und Kindern seien wichtig. Die ordnungsgemäße Umsetzung solcher Gesetze setze jedoch voraus, dass die Bedingungen für die bürgerlichen Freiheiten und die wirtschaftliche Freiheit gewährleistet sind. Nanang bezog sich hierbei auf Daten des Mother's Index, eines Indexes, der das Niveau des Wohlstands, der Alphabetisierung und der sozialen und politischen Teilhabe von Müttern misst. „Die Top Ten des Mother's Index sind allesamt Länder, die in Bezug auf bürgerliche Freiheiten frei sind. Was die wirtschaftliche Freiheit betrifft, so haben diese zehn Länder einen unterschiedlichen Freiheitsstatus, nämlich frei (1 Land), weitgehend frei (7 Länder) und mäßig frei (2 Länder)", erklärte Nanang. Diesbezüglich gebe es für Indonesien noch genug zu tun, um die Bedingungen für Müttern nicht nur auf dem Papier zu verbessern.

 

Mathelda Titihalawa arbeitet für die indonesische Organisation INDEKS.

(Artikel im Original)

Übersetzt und gekürzt: Almut Besold