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Wahlen in Südafrika
ANC verliert nach 30 Jahren die Mehrheit

die endgültigen Ergebnisse der Sitzverteilung in der Nationalversammlung bei den südafrikanischen Parlamentswahlen 2024

Auf dem Bildschirm werden die endgültigen Ergebnisse der Sitzverteilung in der Nationalversammlung bei den südafrikanischen Parlamentswahlen 2024 gezeigt.

© picture alliance / Xinhua News Agency | Zhang Yudong

Am 29. Mai 2024 fanden in Südafrika die siebten allgemeinen Wahlen statt – ein symbolträchtiger Moment, da sie 30 Jahre nach der Abschaffung der Apartheid und den ersten freien Wahlen des Jahres 1994 stattfanden. Für viele ältere Südafrikaner markierte das Jahr 1994 den Beginn einer neuen Ära: den Weg zur politischen Mündigkeit, die erstmalige Teilnahme an demokratischen Wahlen und die Befreiung der schwarzen Bevölkerung aus jahrzehntelanger Unterdrückung, ermöglicht durch die Führung von Nelson Mandela und seiner Partei, dem African National Congress (ANC). Seit diesen historischen Wahlen hat der ANC das Land ununterbrochen regiert.

Die politische Landschaft Südafrikas befindet sich im Wandel. Die diesjährigen Wahlen wurden als die bedeutsamsten seit 1994 betrachtet. Sie fanden inmitten wachsender Unzufriedenheit mit der Regierungsführung des ANC statt, dem viele Korruption und Misswirtschaft vorwerfen. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob Südafrika einen weiteren Wandel erleben wird und wie die Zukunft des Landes nach drei Jahrzehnten demokratischer Entwicklung aussehen wird.

Am 29. Mai 2024 öffneten die Wahllokale um 7 Uhr morgens und sollten offiziell um 21 Uhr schließen. Vielerorts bildeten sich lange Schlangen. Viele Wähler harrten trotz winterlicher Temperaturen von unter 10°C nach Einbruch der Dunkelheit bis tief in die Nacht aus, um ihre Stimme abzugeben. Diese Bereitschaft, auch mehrstündige Wartezeiten in Kauf zu nehmen, spiegeln den tief verwurzelten Wunsch mancher Wähler nach Veränderung wider. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist ein Wähler aus Pretoria, der auf der Plattform X berichtete, dass er 13 Stunden anstand. Einige Wahllokale blieben dann auch bis spät in die Nacht geöffnet, um allen Wählern die Möglichkeit zu geben, ihre Stimme abzugeben. Insgesamt können die Wahlen als frei und fair bezeichnet werden.

Schlangen am Wahlzelt im Osten von Johannesburg

Schlangen am Wahlzelt im Osten von Johannesburg.

© FNF

Rückgang der Wahlbeteiligung aufgrund von Politikverdrossenheit?

Die Wahlbeteiligung lag letztlich jedoch bei nur 58,6%, weniger als bei den vorangegangene Wahlen. Im Jahr 2019 betrug die Beteiligung noch 66,1%, während 1994, bei den ersten demokratischen Wahlen, 86,9% der registrierten Wähler ihre Stimme abgaben. Lange Wartezeiten und -schlangen deuteten zwar auf den ersten Blick auf eine entsprechend hohe Wahlbeteiligung hin. Allerdings war die Anzahl der Wähler schlussendlich geringer als erhofft und erwartet ausgefallen. Dies kann auf eine zunehmende Politikverdrossenheit und einen damit einhergehenden Vertrauensverlust in den politischen Prozess hindeuten.

Ein abgestrafter ANC und MK auf der Überholspur – die Wahlergebnisse im Überblick

Die jahrzehntelange Dominanz des ANC ist bei dieser historischen Wahl krachend verloren gegangen. Die Partei erlitt mit 40,2% eine herbe Niederlage, weit unter den angepeilten 45% und einem Verlust von über 17 Prozentpunkten im Vergleich zu 2019. Dennoch bleibt der ANC die stärkste Partei und eine Regierung ohne ihn als Seniorpartner ist so gut wie ausgeschlossen. Der drastische Rückgang der Unterstützung durch die Wähler bedeutet jedoch, dass der ANC nun einen oder sogar mehrere Koalitionspartner suchen muss, um weiterhin regieren und Präsident Cyril Ramaphosa eine zweite und letzte Amtszeit zu ermöglichen.

Die drei größten Oppositionsparteien scheinen die naheliegendsten Koalitionspartner für den ANC zu sein. Die Demokratische Allianz (DA) erreichte 21,8%, mit einem Prozentpunkt Wachstum und einer stabilen Positionierung in der Mitte des politischen Spektrums, jedoch mit fortlaufenden Herausforderungen in Bezug auf ihre Wahrnehmung als Partei der Weißen. Die neu gegründete MK-Partei des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma erzielte beeindruckende 14,6%, und etablierte sich sofort als drittstärkste politische Kraft im Land trotz geringer Wahlkampfpräsenz und dem Ruf ihres Gründers als "Bad Boy". Die marxistische Economic Freedom Fighters Partei des ehemaligen ANC-Jugendliga-Präsidenten Julius Malema erreichte immerhin fast 10% und wurde so viertstärkste Kraft.

Südafrika, quo vadis?

Die Ergebnisse dieser Wahl sind für Südafrika wegweisend und werden die politische Ausrichtung des Landes erheblich beeinflussen. Der ANC wurde deutlich abgestraft, während MK und EFF, beide Abspaltungen des ANC, erhebliche Stimmengewinne verzeichnen konnten. Zusammengerechnet erhielten ANC, MK und EFF jedoch immer noch beinahe 65% der Stimmen, was zeigt, dass viele Wähler weiterhin Parteien mit Wurzeln im ANC unterstützen. Die enttäuschenden Ergebnisse der kleineren Parteien wie Rise, BOSA und ActionSA werfen die Frage auf, ob sich diese Parteien der Mitte zusammenschließen müssten, um politisch wettbewerbsfähig zu werden, eine rechtsstaatliche Demokratie fortsetzen zu können und echte Fortschritte in Richtung guter Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung zu erzielen. Trotz ihrer schlechten Wahlergebnisse haben diese kleineren Parteien aber parlamentarische Vertretung erlangt und könnten somit zur Bildung eines neuen Zentrums beitragen. Sie müssen nun zusammenarbeiten, um die liberale Demokratie gegen die teils radikale Tendenz nach Links zu verteidigen.

Stimmzettel

Stimmzettel der allgemeinen Wahl in Südafrika.

© FNF

Let’s talk Koalition

Für den ANC stellt sich zunächst die Gretchenfrage: Sind wir zur Koalition mit der DA bereit? Eine Koalition zwischen dem ANC und der DA, den beiden größten Parteien des Landes, könnte die größte politische Veränderung seit Jahrzehnten bedeuten. Die DA zeigt sich offen für Koalitionsgespräche, jedoch könnten die Verhandlungen aufgrund grundlegend unterschiedlicher Ansätze – etwa in der Außenpolitik, bei der Haltung gegenüber den mächtigen Gewerkschaften, bei Verstaatlichungen und im Gesundheitssystem – äußerst schwierig werden.

Eine weitere Option, die derzeit im Gespräch ist, wäre die Unterstützung einer ANC-Minderheitsregierung durch die DA im Austausch für wesentliche Aufsichtsfunktionen, wie etwa die Position des Parlamentspräsidenten und den Vorsitz in wichtigen Parlamentsausschüssen.

Für die DA steht aber einiges auf dem Spiel: Sollte es wirtschaftlich weiter bergab gehen und die Korruption in Südafrika und innerhalb des ANC nicht eingedämmt werden, könnte die DA an Glaubwürdigkeit verlieren und bei der nächsten Wahl von den Wählern dafür abgestraft werden. Denn sie verspricht ihren Wählern seit jeher solides Wirtschaftswachstum und gute Regierungsführung.

ANC, MK (und EFF): Ein Pulverfass?

Ein weiteres Szenario wäre eine Koalition zwischen dem ANC, der MK-Partei und möglicherweise den EFF. Ein solches Bündnis, das von Analysten als „Doomsday-Koalition“ bezeichnet wird, könnte erhebliche negative Auswirkungen auf die politische und wirtschaftliche Stabilität des Landes haben. Die MK-Partei und die radikale EFF-Partei teilen viele gemeinsame Ansichten mit dem ANC, insbesondere in der Außenpolitik, bei Arbeitsrechten und bei der Förderung des Black Economic Empowerment. Beide Parteien befürworten aber auch die Enteignung weißer Landbesitzer und die Verstaatlichung der Minen. Allein die hypothetische Aussicht darauf verunsichert ausländische Investoren. Die MK hat jedoch erklärt, dass sie nur bereit ist, mit dem ANC zu koalieren, wenn dieser nicht von Ramaphosa geführt werde.

 

Zukunftsperspektiven: Herausforderungen und Chancen für die neue Regierung

Die Zukunft des derzeitigen Präsidenten Cyril Ramaphosa ist unklar, da die MK-Partei als eine ihrer Bedingungen für eine Koalition seine Ablösung fordert. Dies unterstreicht den erbitterten Machtkampf zwischen Zuma und Ramaphosa. Die politische Landschaft Südafrikas ist massiv im Wandel, und die neue Regierung wird vor erheblichen Herausforderungen stehen, einschließlich der Bekämpfung von Korruption, der Stabilisierung der Wirtschaft und der Erfüllung der Erwartungen der Bevölkerung.

Der Ausgang dieser Wahlen und die Bildung künftiger Koalitionen sind nicht nur für Südafrika, sondern auch für Deutschland und Europa von Bedeutung. Südafrika bleibt trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten die stärkste Volkswirtschaft Afrikas und pflegt gute Beziehungen sowohl zu westlichen Ländern als auch zu Russland und China.

Entgegen dem landesweiten Wahlausgang zeigen sich in den Provinzen markante Unterschiede. Der ANC verliert die absolute Mehrheit nicht nur in der wirtschaftsstärksten Provinz Gauteng, sondern sinkt auch in KwaZulu-Natal, der einstigen ANC-Hochburg und zugleich Zumas Heimat, unter die 50%-Marke. Das Westkap, mit Kapstadt als Zentrum, wird bereits seit Jahren von der DA regiert, die dort mit über 50% erneut die Oberhand behalten. Diese vielfältigen regionalen Dynamiken spiegeln die Komplexität und Vielschichtigkeit des südafrikanischen politischen Gefüges wider.

All dies macht deutlich, dass Südafrika nun am Scheideweg steht. Die neue Regierung hat, wie nie zuvor, die Gelegenheit, das Land in eine positive Richtung zu führen, verkrustete politische Strukturen aufzubrechen und nachhaltige Reformen mit neuer Energie umzusetzen. Die Alternative mutet apokalyptisch an und zeichnet eine Dystopie von einer staatlich kontrollierten Wirtschaft und entschädigungsloser Enteignung. Wie auch immer die Wahl der Politik ausfällt, das Volk hat jedenfalls deutlich entschieden, dass sich etwas ändern muss.

Genesis Cleveland, LL.M. Berkeley, arbeit als Senior Consultant an Projekten im südlichen Afrika.
Wayne Alexander leitet die Liberale Werkstatt der Stiftung in Kapstadt.