Südafrika
Das Kap der neuen Hoffnung: eine neue politische Ära bricht an
Die Wahl am 29. Mai 2024 markierte einen historischen Wendepunkt in Südafrikas junger Demokratie: Der African National Congress (ANC), die einstige Partei des Freiheitskämpfers Nelson Mandela, verlor erstmals seit 30 Jahren seine parlamentarische Mehrheit. Südafrika wird künftig von einer Regierung der nationalen Einheit geführt. Die in den frühen Morgenstunden des 14. Juni durch ANC, der eine Mischung aus sozialdemokratischen und progressiven Prinzipien verfolgt, die liberale Demokratische Allianz (DA) und die sozial-konservative Inkatha Freedom Party (IFP) unterzeichnete Vereinbarung legte die Grundlage für eine Koalitionsregierung, die sich zu Verfassungstreue, Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit und der Bekämpfung von Armut verpflichtet. Das Schreckgespenst eines links-populistischen Bündnisses des ANC mit den marxistisch-leninistischen Economic Freedom Fighters, das in den vergangenen Wochen die Märkte verunsicherte, ist vorerst gebannt.
Erste Sitzung der Nationalversammlung
Am vergangenen Freitag trat nun die neu gewählte Nationalversammlung zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Diese konstituierende Sitzung, bei der die Abgeordneten vereidigt und entscheidende Positionen besetzt wurden, markierte den Beginn einer neuen Ära. Die Zeiten der ANC-Alleinregierung sind vorbei. Cyril Ramaphosa wurde zwar für eine zweite Amtszeit wiedergewählt, diesmal jedoch mit Unterstützung der vormaligen Oppositionsparteien DA und IFP. Thoko Didiza (ANC) und Annelie Lotriet (DA) wurden Parlaments- bzw. stellvertretende Parlamentspräsidentin. Diese Personalentscheidungen sollen die Stabilität der neuen Regierung sichern und unterstreichen das historische Wahlergebnis: eine breite und integrative Zusammenarbeit der Parteien ist unerlässlich, um das krisengeschüttelte Südafrika zu nachhaltiger politischer und wirtschaftlicher Stabilität zu führen. Zudem könnte die Regierung der nationalen Einheit dazu beitragen, dass Ramaphosa als erster Präsident nach dem Ende der Apartheid eine volle zweite Amtszeit absolviert. Das blieb seinen Vorgängern Jacob Zuma und Thabo Mbeki verwehrt.
Koalitionsbildung, ein historischer Meilenstein für Südafrika
Die Bildung der GNU stellt einen historischen Meilenstein in der südafrikanischen Politik dar. Sie legt den Grundstein für eine Regierungsführung, die auf breitem Konsens basiert, um die Stabilität und den Fortschritt des Landes zu gewährleisten. Die Einbindung der DA stärkt die liberale Stimme im politischen Spektrum des Landes. Mit der Besetzung der Position der stellvertretenden Parlamentspräsidentin übernimmt die DA eine Schlüsselrolle und kann nun maßgeblich die Richtung der neuen Regierungspolitik beeinflussen. Die Parteivorsitzende Helen Zille betonte: „Wir stehen vor einer beispiellosen Gelegenheit, liberale Werte in die Regierung einzubringen und damit die Grundlage für eine gerechtere und prosperierende Gesellschaft zu schaffen.“ Darüber hinaus gibt es Anzeichen dafür, dass die Regierung der nationalen Einheit auch auf kommunaler Ebene in Provinzen, wo keine Partei eine klare Mehrheit erreicht hat, Vorbildwirkung entfalten könnte.
Neue Regierung, alte Herausforderungen
Die neue Regierung steht vor einer Reihe bedeutender Herausforderungen: Die Bekämpfung von Armut, Arbeitslosigkeit und sozialer Ungleichheit, die weiterhin das Leben vieler Südafrikaner prägen, ist dabei von zentraler Bedeutung. Diese Themen sind eng miteinander verwoben und erfordern eine umfassende, kohärente Strategie, um die Kluft zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten zu verringern. Gleichzeitig muss die Regierung interne Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionspartnern, zum Beispiel bei außenpolitischen Fragen wie zum Beispiel die Haltung zum Russland-Ukraine-Krieg, überwinden und eine stabile Regierungsführung sicherstellen. Unterstützung könnte dabei von einigen kleineren Parteien kommen, die möglicherweise Rollen in der GNU übernehmen könnten.
Gleichzeitig wird die Regierung von einer aggressiven und manipulativen Opposition bedroht, die durch populistische Versprechungen versucht, die Stabilität zu untergraben. Insbesondere die radikalen Positionen der MK-Partei des ehemaligen Präsidenten Zuma und die der populistischen Economic Freedom Fighters stellen eine besondere Gefahr für die Einheit und Kohärenz der neuen Regierung dar. Die EFF versprachen entschädigungslose Enteignung von Großgrundbesitzern und die Verstaatlichung von Banken und Minen. Die MK-Partei monierte grundlos Wahlbetrug. Ihre 58 Abgeordneten blieben der ersten Parlamentssitzung fern, nachdem sie zuvor erfolglos versucht hatten, die Wahlergebnisse anzufechten und die Parlamentssitzung gerichtlich zu untersagen.
Wichtige Punkte der Regierungsvereinbarung
Die 7-seitige Regierungsvereinbarung betont die unverzichtbaren Grundsätze der Verfassungstreue und der Rechtsstaatlichkeit. Das Dokument unterstreicht zudem die Ablehnung von Rassismus und Geschlechterungleichheit. Die Koalitionspartner verpflichten sich, die folgenden zentralen Punkte umzusetzen:
- Die Koalition setzt sich für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ungerechtigkeit ein. Durch gezielte wirtschaftliche und soziale Programme soll die Armut reduziert und soziale Gerechtigkeit gefördert werden. Die Koalition plant Maßnahmen, die darauf abzielen, die Lebensbedingungen der benachteiligten Bevölkerungsschichten zu verbessern und die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern.
- Ein zentrales Element der Vereinbarung ist die Etablierung eines transparenten und verantwortungsvollen Regierungssystems. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung soll gestärkt werden. Gleichzeitig soll sichergestellt werden, dass politische Entscheidungen zum Wohl der gesamten Gesellschaft getroffen werden.
- Die Exekutivposten werden entsprechend den Wahlergebnissen verteilt. Diese Verteilung gewährleistet, dass die verschiedenen politischen Perspektiven in der Regierung vertreten sind und eine ausgewogene Entscheidungsfindung ermöglicht wird.
Die GNU wird einen umfassenden nationalen Dialogprozess einleiten, um die Beteiligung der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und anderer gesellschaftlicher Akteure zu fördern. Ziel ist es, einen nationalen Konsens zu entwickeln, der die Herausforderungen des Landes adressiert und die Weichen für eine nachhaltige Entwicklung stellt.
Frischer Wind für Südafrika?
Die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit in Südafrika birgt also erhebliche Herausforderungen. Sie bietet zwar die einzigartige Möglichkeit, die politische Stabilität zu festigen und die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln, indem sie eine breite Grundlage für eine effektive Regierungsführung schafft. Gleichzeitig muss sie aber die teils divergierenden politischen Ziele der Koalitionspartner in Einklang bringen und gemeinsam nachhaltige Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme finden. Die langjährige FNF-Partnerpartei Democratic Alliance spielt hierbei eine Schlüsselrolle. Als liberale Kraft kann sie ihre Überzeugungen von Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftlicher Freiheit in die nationale Politik einfließen lassen, um eine gerechtere und florierende Gesellschaft zu gestalten.
Die Parteien stehen vor einer Mammutaufgabe. Sie müssen das Vertrauen einer zunehmend entfremdeten Wählerschaft zurückzugewinnen und in einem schwierigen Balance-Akt Brücken zwischen den verschiedenen politischen Lagern schlagen sowie die drängenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme rasch angehen.
Südafrika durchlebt einen historischen Moment, in dem nicht nur die demokratischen Strukturen neu organisiert, sondern auch der Gesellschaftsvertrag dieser noch jungen Demokratie überdacht wird. Das ist eine einmalige Chance, die demokratische Kultur Südafrikas zu stärken und eine stabile Basis für eine blühende Zukunft zu schaffen.
Genesis Cleveland, LL.M. Berkeley, arbeit als Senior Consultant an Projekten im südlichen Afrika
Wayne Alexander leitet die Liberale Werkstatt der Stiftung in Kapstadt