Nicaragua
Das nicaraguanische Regime radikalisiert sich weiter - die Verfolgung der Kirche nimmt kein Ende
Schon 2018, als Studenten und Studentinnen gegen die Reformen des sozialen Sicherungssystems protestierten, spielte die katholische Kirche eine herausragende Rolle. Sie war Zufluchtsort für viele Nicaraguaner, die bei den Protesten vor Übergriffen der Polizei fliehen mussten. Die Reformen waren nur der Auslöser für die Proteste, die Unzufriedenheit der Bevölkerung beruhte eigentlich auf dem langjährigen Bestreben der Regierung, alle öffentliche Institutionen zu kontrollieren und damit die Macht in den Händen des Präsidenten Daniel Ortega und seiner Vizepräsidenten und Ehefrau Rosario Murillo zu konzentrieren. Bei den Protesten vom April 2018 wurden mehr als 300 Menschen getötet und viele wurden verhaftet. Damals wurden 700 politische Gefangene gezählt.
Lange Zeit war die katholische Kirche in Nicaragua Hoffnungsträger in der Suche nach einer Lösung des politischen Konfliktes. Für viele war sie der einzige mögliche Mediator für den Dialog zwischen Opposition und dem sandinistischen Regime. Das galt, bis sich Daniel Ortega jeglichem Dialog verschloss, die Kirche als Anstifter des angeblichen Staatsstreichs vom April 2018 und die Priester als „Teufel mit Soutane“ bezeichnete.
Kirche tritt als Kritiker auf
Damit nicht genug: Nach der Verhaftungswelle der wichtigsten Oppositionspolitiker im Jahr 2021 folgte eine massive Repression gegen Bischöfe, Priester und Ordensgemeinschaften. 2022 wurde der Orden der Missionarinnen der Nächstenliebe des Landes verwiesen, sie führten in Nicaragua vor allem Kinderheime. Im August wurde Rolando Álvarez, der Bischof von Matagalpa, der siebtgrößten Stadt des Landes, in Managua unter Hausarrest gestellt, während weitere fünf Priester und zwei Seminaristen ins Gefängnis El Chipote abgeführt wurden. In El Chipote wurden bis Februar 2023 die 222 freigelassenen politischen Gefangenen festgehalten. Im April 2022 verließ der Weihbischof von Managua, Silvio Baez, das Land. Der Papst konnte ihn rechtzeitig in den Vatikan bestellen, denn Baez war Zielscheibe verschiedener Morddrohungen und war schon 2018 von Regierungsanhängern verletzt worden.
Im vergangenen Jahr wurde auch der Apostolische Nuntius, Waldemar Sonnentag, ausgewiesen, und im März 2023 musste Marcel Diouf, Sekretär der Nuntiatur, Nicaragua verlassen. Daniel Ortega hatte schlicht weg entschieden, jegliche Beziehungen zum Vatikan abzubrechen, denn Papst Franziskus hatte das Regime als „ungezogene Diktatur“ bezeichnet.
Die Kirchenvertreter hatten – wie auch andere Oppositionelle – Kritik gegenüber dem sandinistischen Vorgehen geäußert, Bischof Álvarez forderte die Freilassung der politischen Gefangenen ebenso wie eine Wahlrechtsreform, was dem Regime missfiel. In unwürdigen Scheingerichtsverfahren wurden Haftstrafen verhängt. Im Falle von Bischof Álvarez beläuft sich das Urteil auf 26 Jahre Freiheitsstrafe. Die Delikte werden in jedem neuen Verfahren frisch erfunden und die offen diktatorische Regierung verletzt weiterhin ungestört Menschenrechte wie auch rechtsstaatliche Prinzipien.
Aus „Sicherheitsgründen“ hatte Ortega die Osterprozessionen verboten, was eindeutig gegen die Religionsfreiheit verstößt. Das Verbot war der Versuch, letzte Stimmen der Opposition zum Schweigen zu bringen. Den Bürgern sollte das Verbot der Prozessionen aus Sicht der Regierung die Macht des Regimes zeigen. Allerdings fanden entgegen aller Erwartungen dennoch vereinzelt Prozessionen in kleinen Ortschaften statt - ein Synonym des Bürgerwillens, sich vom Regime nicht unterdrücken zu lassen, selbst wenn dies beispielsweise die Verfolgung durch die Polizei bedeutet hätte.
Schließungen von Universitäten
Nun folgte kürzlich die Schließung der von Jesuiten geleiteten Universidad Centroamericana. Die Gebäude, aber auch die Bankkonten der Bildungsinstitution wurden enteignet und vom Staat Nicaragua beschlagnahmt. Der angebliche Grund für das harsche Vorgehen des Regimes liege darin, dass die Universität als terroristisches Zentrum fungiert habe, in dem kriminelle Gruppierungen organisiert wurden - ein völlig haltloser Vorwurf.
Die Universidad Centroamericana galt als letzte Hochburg freien Gedankenguts, nachdem bereits 27 Universitäten durch das Regime geschlossen worden waren. Aus Sicht der US--Regierung ist dieser Schritt Zeichen eines sich verschärfenden Autoritarismus gegen jegliche unabhängige Institution, jedoch könne die Schließung der Universität die Freiheit der Gedanken nicht ersticken.
Nicht die erste Verfolgung von Kirchenvertretern
Die zentralamerikanische Region war im Laufe der Geschichte oft Schauplatz von Kirchenverfolgungen. 1871 wurden die regierungskritischen Jesuiten in Guatemala des Landes verwiesen und ihr Eigentum dem Staat zugeführt, 1533 war Fray Bartolomé de las Casas in Mexiko ebenfalls aufgrund seiner Kritik am Vorgehen der Spanier gegen die Indigenen verhaftet und wegen Verrats verurteilt worden. 1872 wurden die einzigen zwei sich in El Salvador aufhaltenden Jesuiten des Landes verwiesen, ihnen wurde reaktionäres und anti-liberales Denken vorgeworfen. Schließlich wurden 1989 im salvadorianischen Bürgerkrieg Jesuiten in der Universidad Centroamericana José Simeón Cañas ermordet.
Die rabiate Verfolgung der katholischen Kirche in Nicaragua, also der so gut wie letzten unabhängigen Institution im Land und damit indirekt einer gläubigen Gesellschaft, verletzt die Religionsfreiheit und ist besorgniserregend. Die Bürger, die unter dem totalitären Joch leben, können nun nicht einmal mehr in einer Institution wie der Kirche Zuflucht suchen. So wird die Zivilgesellschaft in einem autoritären Staat mit allen Mitteln peu à peu zerstört und die dynastische Diktatur der Familie Ortega regiert nach dem Modell Nordkorea mit absoluter Macht und Willkür.
Elisabeth Maigler Kluesserath ist Projektleiterin des Büros Zentralamerika für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.