Zeitgeschichte
Liberalismus und Kalter Krieg 1970-1990
Vor dreißig Jahren, genau am 3. Februar 1991, hielt Hans-Dietrich Genscher eine denkwürdige Rede in Davos. In „einer Vision für das ganze Europa“ sah er im „Aufbau einer gesamteuropäischen Friedensordnung in Verwirklichung der Charta von Paris“ die „zukunftsentscheidende Aufgabe“ in den 1990er Jahren. Er selbst trat gut ein Jahr später vom Amt des Außenministers zurück, das er rund 18 Jahre ausgeübt hatte. Begonnen hatte ein FDP-geführtes Außenministerium 1969 mit Walter Scheel, dem Genscher 1974 gefolgt war.
Auf die Ära beider liberaler Außenminister blickt nun das neue „Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung“ zurück. Denn im Jahr 2020 jährten sich der Moskauer Vertrag zum fünfzigsten und der Zwei-plus-Vier-Vertrag zum dreißigsten Mal. Das Archiv des Liberalismus und das Berliner Kolleg Kalter Krieg am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin nahmen diese Jubiläen zum Anlass, sich dem Thema „Freiheit, Sicherheit und Deeskalation – Liberalismus und Kalter Krieg 1970-1990“ zu widmen. In dem knapp 300 Seiten umfassenden Band wird in neun Beiträgen nach liberalen Deutungsmustern und Konzepten der Entspannung gefragt; zugleich werden die Erfolge, aber auch die Ambivalenzen und Grenzen liberaler Entspannungspolitik ausgelotet. Die Analysen sind breit angelegt: Sie reichen von der Afrikapolitik in den 1970er Jahren über das „Weltflüchtlingsproblem“ bis zu Genschers „Handschrift im Prozess der deutschen Einigung“.
Daneben behandeln weitere Beiträge des Jahrbuchs spezielle Felder der Liberalismus-Forschung, wie den französischen Liberalismus und amerikanischen Populismus im 19. Jahrhundert, die Motive der Freiheit und Bürgerrechte in der deutschen Amerika-Auswanderung, das Verhältnis des Liberalismus zum westlichen Christentum sowie die liberale Parteiarbeit und den Wahlkampf im Rheinland 1907.